Die Selbstkritik des SPIEGEL

Relotius Außer einem Münchhausen nichts zwischen heutigem und ursprünglichem SPIEGEL?

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Gestern, am 19.01.2018, veröffentlichte SPON eine Reihe Berichte / Stellungnahmen und Ankündigungen wegen eines geltungsbedürftigen und mit Preisen überhäuften Redakteurs namens Relotius.

Sozusagen die Konrad Kujau-Affäre des SPIEGEL.

Während wiederholt Ethos und Devise "Sagen, was ist" des Gründers Rudolf Augstein angeführt und Treue zu dessen Journalismus und Vorsatz geradezu beschworen wird, hält sich die Umschreibung zugleich immer wieder an einer sprachlich und atmosphärisch beeindruckenden Schreiberei des enttarnten Relotius auf, mit dem er die berichtende Welt, SPIEGEL-, andere Redaktionen und Gremien betörte. Mit also Relotius publizistischem "Gold", wie es heißt.

Nicht lange nach Ableben des Herrn Augstein, schrieb ich einen damaligen Jungjournalisten namens Mario Kaiser wegen dessen auffallender Begabung in der Reportage "Auf Den Friedhöfen Goldener Träume " in GEO 08/2002 an, um ihm zu seiner Kunst zu gratulieren. Einer, welche jene des Herrn Relotius um einige eloquente und szenisch elegante Schuhgrößen voraus war.

Dies sei hier nur erwähnt, um zu unterstreichen, daß Kunst erzählerischen Fadens und sprachliche Gewandtheit auch einer zeternden Elster imponiert.

Doch ist stilistisches Können, laut gestriger Stellungnahme und redaktionellen Umschreibung bezüglich Verlaufs um Relotius Ritt auf der Kanonenkugel, im Journalismus von solch herausragender Bedeutung?

Nein.

Und, wenn es als solche aufgefaßt wird, dann stimmt mit dem Metier Entscheidendes nicht.

Müßig herauszustellen, daß Aufgabe informativen Reports und insbesondere des SPIEGEL-Hauses, welches behauptet, in investigativer Tradition des Gründers und damit einstiger Mannschaft zu stehen, nicht die hemingwaysche ist, einem Publikum daheim exotische Orte auf kurzweilige Weise näherzubringen.

Manch mit ehemalig Republik mitgestaltendem und Korruption ausmistendem SPIEGEL Vertrauter hat die heutige Redaktion, mit deren schepp vor sich hergetragenem Aushängeschild, daran erinnert, daß gebührliche Arbeit eine von Sklaven der Wahrheit wäre, während solche lange Jahre nicht mehr gängig ist.

- Ohne auch nur eine Antwort zu erhalten, um nicht erst von Anreiz zu Wiederkehr vergangenen Berufsethos zu reden.

Seit Mitte / Ende Neunziger vorigen Jahrhunderts ist jegliche Regierungsdevise und industriell vorgegebene Losung ohne Verzug stets zugleich die feschen SPIEGELs.

Deutschland als verkümmernder Industrie-Standort? Als sozialstaatliches Refugium fauler Arbeitsloser? Subventionsbedürftig gegen internationale Konkurrenz in Zeiten der Globalisierung? Demographisches Ungemach in Verzug? Automatisierung als Bedrohung?

Immer her mit Obrigkeitsparolen dräuender Zeichen, und Vorgabe.

Andererseits Konglomerate, Autokratie des Geldadels, ausufernde Megaprofite immer weiter zementierter Netzwerke, Geldeliten und Spezi-Wirtschaft? Ausgeräumte Staatssäckel, manische Privatisierung, Stuttgarter Bahnhof, BER? Offene Korruption und 6000 Industriekuriere um den Reichstag herum? Zentralisiertes Einsacken, Vettern- und Bestellwirtschaft in Brüssel? EU-parlamentarische Versiegelung von anonymem Geldverkehr und Schmiergeldkonten? Abschiebung von Glyphosat zu Bayer, wo deutsche statt amerikanischer Administration verläßlich Steigbügel hält. Sogar dahingehend, daß ein Minister Schmidt sich kurzerhand und eigenmächtig über EU-Abstimmung hinwegsetzt?

Da spätestens sah man Augsteins Crew im Geiste loslegen, persönliche Motivation zur kühnen Eigenmächtigkeit sowie stillen Umfelds aufs Korn zu nehmen.

Zeigt sich nicht erst jüngst, daß EU-Erweiterung um Staaten betrieben wurde, die haushälterischem Statut nicht entfernt zu entsprechen vermochten, weiß doch so an journalistischer Tradition orientierte Redaktion auch zu diesem Hintergrund nicht zu berichten oder erst zu fragen. Dabei hätte ein Blick in eigenes Archiv genügt, von dem heutige Scheuklappe als Hüter des Status quo weder mehr weiß noch wissen will.

Für unermüdlich und ungeniert Verpflichtung seiner Tradition betonenden SPIEGEL existiert weder Anlaß zur Sorge noch zu investigativer Recherche. Beschränkt sich Letztere doch ohnehin seit langem ersatzweise auf kleine Deals, falls doch einmal einer Sache gewahr geworden, der man nicht sollte. 'Ihr gebt uns die paar unverfänglichen Unregelmäßigkeiten und wir lassen das hier unterm Tisch', versteht sich.

Aktiv ist man doch bevorzugt pro, wo guter Schrieb nur ein argloser ist.

Z.B. zu Merkels "Wir schaffen das".

BDIs Bestellung einer Öffnung der Grenzen zu weiterem Gewinnwachstum auf Spitzenetagen? Umgekehrt keinerlei Regreß und Umschwung zu wirtschaftlicher Außenpolitik?

Anweisungen zum Nichtprotokollieren bei der Polizei? Manipulierte Auslegung von eh schon frisierten Statistiken? Erkleckliche Nebenverdienste in Auslandsvertretungen bei wundersam zurückhaltender Aufsicht?

In EU und Kanada ansässige Vermittler gelobter Destinationen und deren Visafreiheit für hundertsoundsovielsiebzig Länder, die wohlstandsfunkelnde TV-Werbung im Orient schalten. Manche gleich mit jeweils horrender Preisangabe für Junggesellen, Pärchen, fünfköpfige Familie.

Muß das Augstein folgende Presse interessieren?

Aber nicht doch.

Bei Millionen Ankömmlingen ist es des SPIEGELs ausgewogene Pflicht, Serie schülerzeitungsartiger Berichte zu motiviert beflissenen Individuen und deren beglückten Ausbildern und Arbeitgebern aufzusetzen.

Nicht aber zu Eigentümlichkeit.

Nicht bis hin zu gemeingefährlich medizinischem Personal, das eine Approbation daheim bei Versagen käuflich erstehen durfte. Oder auch nur in anderen Branchen Berufsabschlüsse auf Niveau, das sonst keine IHK in Deutschland anerkannte.

Sitten und Ethik kommen schon gar nicht in Betracht. Nicht sie sind etwa unziemlich, sondern ihre Erwägung.

So bemüht ist der SPIEGEL, daß er Orientalisten beschäftigt.

Die wissen um Errungenschaften des Islam. Wie auch immer diese sich ausnehmen sollen.

Von Kriminalität indessen, sagenhafter Anzahl an Gerichtszimmern (wo man sich Säle bei gemeinem Andrang nicht leisten könnte), überfüllten Gefängnissen, unterdrückter Wahrnehmung von Sexualdelikten in verhärmter Sitte und ausgeprägter Bigotterie; Heiratsschwindel, um 5000 jährliche Ehrenmorde auch an eigenen Kindern oder Riten der Rache, Bildungsresistenz ... Folgen für beherbergende Gastländer kann und will man bei verklärtem und auch schreibendem Spezialistentum nicht ausmachen.

Wozu des Gründers einstiges Haus sich verpuppte, zeigt auch kommerzielle Umkrempelung.

Was nach eines SPIEGEL heutiger Lehranstalt klingt, in der womöglich betagte Garde an Haudegen Wissen dazu weitergeben könnte, wie die Welt sich dreht und wie man dem als Berichter nachspürt, flirrt statt dessen Renditeprojekt, und das auch gleich nach Regentschaftsgeschmack.

In der "SPIEGEL Akademie" werden "Business Intelligence, Change Management, Professional Communication oder Industrie 4.0" gelehrt.

Zweige, die mit Aufklärung und hehrem Informationswesen nicht nur nichts gemein haben, sondern, wo in Bezug, auch noch entgegenstehend sind.

Als Erweiterung von Firmenportfolio stolzes Siegel juvenil-dynamischer Machergenies, die es zu Facebook weiterzog, um sich zu perfektionieren.

Der SPIEGEL, seit gestern aufrichtig erschüttert über blumig fabulierenden Kujau, hat teils vorsätzlich sowie aus mangelnder Qualifikation zu tieferem Wissen über Mechanismen unsozialer und Demokratie unterminierender Welt, keine Notiz davon, was außer Märchen wie des Relotius sonst noch davon abhält, dem "Sagen, was ist" nachzukommen.

Seine Leser sind aufgefordert, ihm den Widerspruch vorzuführen. Denn während es früher international berechtigter Weise hieß: "SPIEGEL-Leser wissen mehr", ringt begrabener Ethos sehr lange schon um Beistand der Leserschaft.

Tilgte eine Forumsmoderation keinen erheblichen Teil kritischer Kommentare und auch sonst gern Informatives und Erweiterndes unter Zuschriften (wobei einige Moderatoren berücksichtigt sein wollen, welche Souveränität und Sportgeist echter Demokraten beweisen), zeitigte sich zugleich, daß es an bewußter und ergänzender Teilnahme der Konsumenten auch nicht mangelt.

Tatsächlich zeichnet sie sich bereits unterm Kahlschlag deutlich ab.

Es indiziert sich mentale und demokratische Rückentwicklung auch darin, wie man abseits des Nötigsten, überhaupt autoritäre Zensur für obligat und zeitgemäß hält.

Auch wieder Anti-Augstein-Police, welcher trotz persönlichem Konservativismus als Demokrat wie kaum ein Zweiter breites Spektrum politischer Gesinnung bis an die Ränder bei sich versammelt hatte.

Heute hingegen gleichgeschaltete Majorität windschnittiger Konservativer und Reaktionäre wie Obrigkeit sie sich wünscht, unter denen eine Minderheit an Progressiven von Zeit zu Zeit auch einmal Meldung machen darf.

Der SPIEGEL, wie er heute ist, sollte sich entscheiden, entweder altehrwürdigen Namen abzulegen oder unverkennbare Anzeichen dazu aufzunehmen, was sich wandeln muß, um zu ursprünglich anspruchsvoller Spiegelung zurückzukehren.

So wäre z.B. u.a. statt glitzernder Immobilien und Beteiligungen einebnender Verlage und Konzerne ehemaliges Korrespondentennetz wieder aufzubauen, um von allzu einäugigen Depeschendiensten unabhängig zu werden.

Vielleicht ist dann und nach so Manchem noch zu "Sagen, was ist".

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Knossos

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Knossos

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