Winziger Ausschnitt ökologischer Ignoranz

Mikroökologie Überraschende Praxis

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Als meinersich Wing Tsun trainierte, und dazu ein Zimmer bei einer alten Frau in Baden-Württemberg gemietet hatte, müffelte das gesamte Haus nach Ausdünstungen eines in der Garage gelagerten Insektizids; und der Sohn, welcher allenthalben vorbeikam, um das Grundstück zu besprühen, war offenbar noch nie darauf gekommen, daß sein entsetzlich pockennarbiges Gesicht damit in Zusammenhang stehen mochte.

Vertreter der Chemiebranche hatten in dem Bundesland ganze Arbeit geleistet.

Weiter nach Dröhnland.

Hier läßt sich die Chemiebranche vom Staat pampern.

Kommunale Sprühtrupps sprühen landesweit, was das Zeug hält. Gern auch von der Straße aus so, daß Grundstücke eingenebelt werden. Ob sich darin Haustiere oder vielleicht in die Sonne gesetzte Kleinkinder aufhalten, treibt keine Trupps um, die auch in Parks zugange sind, während Menschen unter eingenebelten Bäumen sitzen.

Denn wie einst auch bei uns, glauben die Leute, die Chemiekeule sei so zuvorkommend, sich auf Insekten oder Unkraut zu beschränken.

Vor etwas über einem Jahr zog ich in ein Haus mit Garten. Der war von Tieren weitgehend unbelebt. Alle Weile einmal sah oder hörte man einen vereinzelten Piepmatz, oder eine Elster. Und außer Wadenstechern erspähte man kaum einmal Etwas krabbeln.

Dieses Frühjahr dann schwärmte ein Nachbar darüber, daß Dank Corona nun wieder Vögel in Mengen zu sehen seien, wie zuletzt vor Jahrzehnten. Die Epidemie wird zu einem gewißen Grad in der Tat beigetragen haben, da Fleischpreise umgehende Schützen in der Zeit weniger unterwegs gewesen sein dürften, um Wildvögel abzuknallen.

Doch ahnt der Mann etwas Anderes nicht.

Die Tatsache, daß sein neuer Nachbar NICHT zweimal jährlich Gift sprüht.

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Ich setze diesen Artikel auf, um Effekt einer Renaturierung zu beschreiben, der mich selbst überrascht hat.

Wird so eine toxische Unsitte eingestellt, fängt es sehr bald an, wieder zu Kreuchen und zu Flattern. Insekten kehren zurück, und damit die Vögel. (Die haben dann zwar Großteil meines Obsts gefuttert oder zerstört, doch gibt es Wichtigeres.)

Hinzugesellt sich, die primäre Unfähigkeit zur Beobachtung wo das Land trocken und offene Gewässer kontaminiert sind, während die Menschen nicht auf den Gedanken kommen, Vogeltränken aufzustellen.

Von Anbeginn für etwas Behelfsmäßiges gesorgt, achte ich auf Beständigkeit davon, seit mich Umstand der Weintrauben ins Grübeln brachte.

Von denen habe ich sehr viel, jedoch bleiben nur wenige Prozent davon erhalten. Die Vögel picken die Beeren an, so daß keine einzige Traube verschont und davon geringster Teil erhalten bleibt.

„Warum ist das bei uns anders?“, fragte sich mich.

Es ist wohl der Durst der Vögel.

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Mangels Produktpalette hält lediglich ein Blumentopfuntersetzer als Tränke her, der sich etwa fünf Schritte entfernt davon befindet, wo just die Tastatur klackert.

Und so finden sich Spatzen, andere Meisen, wilde Tauben, Spechte und Krähenvögel ein, welche außer bei Visite Letzterer oft alle gemeinsam zu Dutzenden trinken und täglich mehrmals ausgiebiges Bad nehmen. Mit meist etlichen Kollegen drum herum hockend, bis jene, die gerade in viel zu kleiner Wanne planschen, wieder heraushüpfen.

Sehr beeindruckend, Friedfertigkeit und Geduld wilder Tauben, die sich selbst noch von manch bossigen Spatzen mobben lassen, ohne Gram aufkommen zu lassen. Erahnen lassend, warum diese Spezies uns zum Symbol wurde.

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„Ja“, könnte nun ein Einheimischer fragen, wo Schädlinge so virulent sind, wie ich es noch nirgends gesehen habe: „- was aber ist z.B. mit jenen Larven, die so viele Bäume vernichtet und kaum einen unbeschadet gelassen haben?“

Die schlüpfen aus Eiern, welche im Herbst an unterem Teil von Stämmen angelegt werden. Daraus kommen Larven hervor, die bald fingergroß und mit ihren Beißwerkzeugen wehrhaft sind. Sie leben anschließend bis zu 28 Jahre lang im Holz der Bäume. (Und hier siehst du kaum einen großen Baum, dem daher nicht mächtige Äste abgesägt worden sind, um dem Fortschreiten des Absterbens Einhalt zu gebieten.) Größere Vögel wie Hühner, oder Krähenvögel und Spechte werden diesen Larven jedoch Herr, bevor sie in den Baum eindringen.

Und die Letzteren kommen eben vor allem vor, wo nicht gesprüht wird.

Sie glauben kaum, was soeben alles vor mir herumhüpft und flattert. Schon die Spatzen fliegen manchmal in ganzen Hundertschaften ein.

Die verschiedenen Flattermänner latschen inzwischen teils auch vor den Nasen meiner Hunde herum, hehe. (Die Elstern necken sie ihrem Wesen entsprechend gezielt.) Und Spechte habe ich in dieser Provinz noch nicht vorher gesehen.

Oder umgekehrt gesagt (und bei uns landläufig schon bekannt): Starker Befall kommt oft überhaupt erst durch falsche Herangehensweise als Monokulturen und Giftkeule auf, welche Freßfeinde der Schädlinge ausmerzen und Schädlinge resistenter machen.

Wer studieren wollte, wie extrem sich falsche Methode auswirken kann, der müßte einmal hierher kommen, wo die Menschen ob herbeigeführter Virulenz der Schädlinge schon im Glauben sind, ohne Sprühen ließe sich überhaupt kein Grünzeug mehr halten.

Bevor wegziehend, werde ich Versuchen, der Nachbarschaft nahe zu legen, daß erlebte Vermehrung von Vögeln nicht nur an Corona lag. Ihnen Ersatz von Pestizid durch Spülmittellösung und Tabakwasser sowie Vogeltränken und Winterfütterung nahelegen.

Doch aller Erfahrung nach, wird es kaum Wirkung zeitigen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Knossos

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Knossos

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