Die Comicente mit der keck auf dem Kopf sitzenden Baseballkappe ist schon von weitem zu sehen. Das an die berühmte Disney-Ente erinnernde Wahrzeichen des Getränkekonzerns Pascual thront in Form einer runden Lichtwerbung auf einem soliden Metallmast. Vorwitzig blickt das Emblem über die mächtige Betonmauer, die das Werksgelände an der Straße Clavijero in Mexiko Stadt einfasst. Vor dem offenen Werkstor stehen zwei kleinere Lastkraftwagen, die mit frischer Ware beladen werden. Hinter ihnen ist der Eingang zur Halle zu sehen, in der mehrere große Trucks stehen, die entladen werden.
„Unser Stammsitz dient heute nur noch als Vertriebszentrum, die Produktion ist längst ausgelagert“, erklärt Salvador Torres. Der 52-Jährige im edlen Dreiteiler ist der Schatzmeister des Getränkeunternehmens und wird von den Wachleuten mit einem Schulterklopfen auf den Werkshof durchgewunken. Torres hat genauso wie sein Kollege Gregorio Orozco Rebollar ganz unten angefangen. „Mit 19 Jahren habe ich bei Pascual angeheuert. Ich war für den Verkauf beziehungsweise die Belieferung von Imbiss-Plätzen in einem bestimmten Planquadrat der Stadt zuständig. Torres lehnt sich an eine Palette mit Mangosaft aus dem Hause Pascual. Schon immer ein Verkaufsschlager, gehört das Getränk heute zu den beliebtesten Angeboten im Sortiment von Mexikos drittgrößtem Getränkekonzern. Der wird anders als die Konkurrenz von den Arbeitern dirigiert. „Hier in der großen Halle findet unsere Genossenschaftsversammlung statt. Das heißt, hier sind seit 1985 alle wichtigen Entscheidungen in Sachen Pascual gefallen“, erklärt der Schatzmeister und macht eine ausladende Armbewegung.
Längster Arbeitskampf
1985 endete der dreijährige Arbeitskampf den 1.500 Arbeiter gegen den Patrón Victor Rafael Jiménez Zamudio führten. „Er hatte das Unternehmen 1940 gegründet und war ein Patriarch der alten Schule“. Im Klartext heißt das so viel wie engstirnig, selbstherrlich und arrogant. Don Jiménez wie der Unternehmer in seinem aus mehreren Fabriken bestehenden Saft- und Soft Drink-Reich genannt wurde, ließ sich ungern etwas vorschreiben – nicht einmal von der mexikanischen Regierung. Die verfügte im Frühjahr 1982, den Mindestlohn anzuheben. „Wir Arbeiter haben das natürlich begrüßt, aber Don Jiménez widersetzte sich. Also protestierten wir und legten die Arbeit vorübergehend nieder“, so Gregorio Orozco Rebollar. Der schwergewichtige 48-Jährige erinnert sich noch gut an die wohl aufregendste Zeit seines Lebens. „Das war am 20. Mai 1982, und als wir uns am 31. Mai mit Arbeitern aus anderen Fabriken des Unternehmens in einem Park in Mexiko-Stadt trafen, tauchten sechs große Pascual-Lastwagen auf, aus denen Schlägertrupps heraus sprangen und auf uns losgingen.“ Eine Stunde später waren zwei Arbeiter tot und 17 verletzt.
Es begann der längste Arbeitskonflikt, den Mexiko bis dahin erlebt hatte. Als die Arbeiter am 18. Juni durch Vermittlung der Regierung wieder in die Fruchtsaftfabriken zurückkehrten, hatte Don Jiménez schon die nächste Überraschung parat. „96 unser gewählten Vertreter mussten draußen bleiben – sie erhielten ihre Entlassungspapiere“, erinnert sich Salvador Torres. „Mit der Entlassung waren die Vorraussetzungen zum Streik geschaffen und den riefen wir dann aus“. Rund 1.800 Arbeiter waren damals bei Pascual angestellt – rund 1.500 bildeten den harten Kern der Streikenden, die fortan verhinderten, dass im Werk produziert werden konnte. Zugänge wurden überwacht, Anwälte eingeschaltet, die bei Gericht Druck machen sollten, damit der Arbeitskonflikt möglichst zügig verhandelt wurde. „Das Gegenteil war jedoch der Fall. Es sollte drei Jahre dauern, bis der Konflikt beigelegt war“.
Alle Zweifler widerlegt
Ohne Unterstützung aus den Stadtteilen hätte das nie funktioniert: „Wildfremde Menschen haben für uns Geld gesammelt, um die Anwälte oder auch einmal den Arzt für einen kranken Genossen zu zahlen“, erzählt Salvador Torres. Lächelnd reibt er sich über den schwarzen Schnurrbart und deutet auf eines der Streikbilder, die in dem kleinen Pförtnerhäuschen hängen, das neben dem Eingangstor zum Werksgelände steht. Hier müssen sich die Besucher anmelden – damals wie heute. Nur hat Don Jiménez seit dem Mai 1985 bei Pascual nichts mehr zu sagen. „Wir haben den gesamten Laden mit allen Marken- und Patenrechten gekauft“, sagt Salvador Torres mit einem strahlendem Lächeln. Das war nur möglich, weil Unternehmer Jiménez die Rechte der Arbeiter schlicht nicht akzeptieren wollte und Schlichtungsvorschläge aus dem Arbeitsministerium ignorierte. „Schließlich gab das Arbeitsministerium in Absprache mit den Banken alles zum Verkauf frei, wogegen wir wiederum protestierten. Schließlich konnten wir uns durchsetzen und das Unternehmen mit den ausstehenden Löhnen von drei Jahren Streik kaufen“, so Orosco.
In Mexiko ein bis dahin noch nie praktiziertes Experiment. Bestenfalls ein halbes Jahr werde die Genossenschaft überleben, vermuteten damals Regierungsvertreter, als am 27. Mai 1985 nach langer Zeit die ersten Paletten mit Säften, Fruchtgetränken und anderen Durstlöschern ausgeliefert wurden. Mit 170 Arbeitern wurde die Produktion angefahren – nach einem Jahr waren alle der 1.500 Streikenden wieder in Lohn und Brot und die Wagen mit der lachenden Comicente in ganz Mexiko Stadt unterwegs. „Wir hatten alle Zweifler widerlegt“, sagt Salvador Torres, streicht das Jackett glatt und weicht einem Gabelstapler aus, der mit einer Palette Boing auf einen LKW zusteuert. Boing und Lulú sind zwei der traditionellen Marken; Woopy, Néctasis und Pascualín kamen dazu. Unter Regie der Genossenschaft ist Pascual hinter Coca-Cola und Pepsi zum drittgrößten Getränkeproduzenten Mexikos mit einem Marktanteil von 15 Prozent geworden.
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