In nahezu jedem Büro, Klassenzimmer und vielen Privatwohnungen Kubas hängt das Bild. Der langsam genesende 80-jährige Revolutionsführer ist trotz Krankheit noch immer die Ikone der kubanischen Revolution und bringt derzeit alle Biografen zur Verzweiflung. Und auch die Kubaner wollen Klarheit und warten auf den vielleicht letzten großen Auftritt des Comandante en Jefe.
Kommt er oder kommt er nicht? Wird er wie in all den Jahren zuvor am 26. Juli ans Rednerpult treten und zum 54. Jahrestag des Sturms auf die Moncada-Kaserne eine seiner Reden halten? Oder wird es sein Bruder Raúl sein, der in diesem Jahr in Camagüey, der drittgrößten Stadt Kubas, sprechen wird? Das ist die Frage, die viele Kubaner seit Wochen umtreibt, denn schließlich wollen sie wissen, wie es weitergeht. Wird Fidel Castro wieder die Macht von seinem jüngeren Bruder übernehmen oder wird sich Kubas Comandante en Jefe damit begnügen, als elder statesman dem Jüngeren über die Schulter zu schauen?
Auf Antworten hoffen die 11,2 Millionen Kubaner, die seit der Machtübergabe von Fidel an Raúl vom 31. Juli 2006 vor allem eines tun: warten. Ein Land hängt an den Lippen seines máximo líder. Ein Bild, das Fidel Castro wohl gefallen würde, denn 47 Jahre lauschte die Bevölkerung dem wortgewaltigen Mann - die einen willentlich, die anderen widerstrebend und viele aus Routine. Und vielleicht hat der 80-jährige Mann seinen Spaß daran, alle Welt im Unklaren zu lassen über seine politische wie persönliche Zukunft. Passen würde es zu ihm, denn vom Katz-und-Maus-Spiel mit den Medien und dem Klassenfeind im Norden konnte der Sohn eines galizischen Einwanderers nie genug bekommen.
Und so ein - womöglich letzter - großer Auftritt will gut vorbereitet werden. Da muss jedes Detail sitzen und die Kontrolle dabei ist das A und O. Nur zu gut wissen Jürgen Neubauer und José de Villa, zwei Castro-Biografen, wie ungern Kubas Comandante en Jefe die Dinge aus der Hand gibt. Exemplarisch dafür ist der Sturz Fidel Castros nach einer Rede vor Studenten am 21. Oktober 2004 in Santa Clara. Als der wie immer in seiner gründen Uniform gewandete Berufsrevolutionär das Podium verließ, stolperte er und schlug der Länge nach hin. Schnell rappelte er sich wieder hoch, war bemüht, sich von den Schmerzen nichts anmerken zu lassen, und bat um ein Mikrofon. Dann entschuldige er sich für den Sturz und beruhigte die Bevölkerung mit den Worten "Ich bin noch ganz". Wenig später wurden im Krankenhaus komplizierte Brüche an der Kniescheibe und am Ellenbogen diagnostiziert. Doch als die Ärzte dem damals 78-jährigen Castro ihre Pläne zu Operation erklärten, verweigerte der ihnen die Zustimmung zur Vollnarkose. Eine örtliche Betäubung, mehr war nicht drin, denn Castro wollte die Kontrolle behalten und seine Pistole, wenn nötig, auch bedienen können.
Die Anekdote, die Castro selbst während einer Rede an der Universität von Havanna genüsslich erzählte, sagt viel aus über den Charakter des kubanischen Staatschefs. Bloß die Zügel in den Händen behalten und weiter an und für sein Lebenswerk arbeiten. Das Lebenswerk heißt Revolution und seit 54 Jahren bastelt der als uneheliches Kind eines Zuckerbarons an seiner Vision einer gerechten Gesellschaft. Erst verließ sich der gelernte Jurist auf Paragrafen und Gesetzestexte, später - als sich Fulgencio Batista 1952 an die Macht putschte - nur noch auf sein Gewehr und einige wenige Getreue. Und schon damals, nach dem gescheiterten Angriff auf die Moncada-Kaserne, verstand es Castro sich vor Gericht perfekt in Szene zu setzen. Sein Satz "Die Geschichte wird mich freisprechen", die er den Richtern am Ende seines Plädoyers entgegenschleuderte, gingen um die Welt. Und diese unumstößliche Haltung hat viel dazu beigetragen, dass aus dem wahnwitzigen Angriff auf die Kaserne letztlich wirklich der Auftakt der Revolution wurde, die Castro wie kein Anderer geprägt hat. Castro ist die Identifikationsfigur, der Transmissionsriemen und die Seele seiner Revolution. Daran lassen Jürgen Neubauer und José de Villa keinen Zweifel in ihrer Biografie über den obersten Führer Kubas.
Für den deutschen Journalisten und den mexikanischen Professor für Publizistik von der Autonomen Universität Mexiko City ist der bärtige Comandante vor allem ein gewiefter Machiavellist. Ständig, so schreiben sie, habe er die zentralen Führungspositionen neu besetzt und auch keinen Nebenbuhler geduldet. Wer ihn, seinen Machtanspruch und den vorgegebenen Kurs in Frage stellte, wurde beiseite geschoben. Das zeige nicht nur das Beispiel des populären Generals Arnaldo Ochoa. Als der Oberbefehlshaber der Truppen in Angola in vertrauter Runde über "den unflexiblen alten Mann in Havanna, der nicht in der Lage sei, die Zeichen der Zeit zu erkennen" lästerte, drang das schnell zu Fidel. Und fortan ließ er Ochoa und den in umgebenden Kreis von hochrangigen Militärs vom Geheimdienst überwachen. Die kubanischen Schlapphüte stießen, so die Autoren, auf Beweise für die Unterschlagung von Geldern, die für die kubanischen Truppen im Ausland bestimmt waren und - weitaus schlimmer - für Drogenschiebereien. Ochoa und 14 weitere Offiziere wurden verhaftet und wenig später wurden der General und vier seiner engsten Vertrauten in einem Aufsehen erregenden Prozess zum Tode verurteilt. Ein unliebsamer Konkurrent, der für Reformen und die unliebsame wirtschaftliche Öffnung, die Perestroika Gorbatschows, eintrat, war ausgeschaltet.
Den Alptraum der ökonomischen Öffnung musste Castro jedoch selbst im Dienste der Revolution wenig später initiieren. Ohne das ökonomische Sicherheitsnetz, welches die Sowjetunion aufgespannt hatte und welches den wirtschaftlichen Dilettantismus Castros allzu oft abfederte, konnte Kuba allein nicht existieren. Ausländische Investoren wurden ins Land geholt, die Währung des Klassenfeindes war plötzlich zugelassen. Obendrein wurden private Kleinbetriebe legalisiert. Eine dicke Kröte für Castro, der sich aber immer wieder flexibel zeigte, wenn es sein musste. Seine Haltung zum "Prager Frühling", ein Kniefall vor dem großen Bruder, der Sowjetunion, ist dafür genauso ein Beispiel wie die ungeliebte Wiedereinführung der freien Bauernmärkte.
Diese Maßnahme, vom Bruder Raúl 1994 verkündet, sorgte für Entspannung, denn fortan gab es wieder Nahrungsmittel in den Straßen Havannas, die zuvor selbst für US-Dollar kaum zu bekommen waren. Derartigen Entscheidungen hat Castro es zu verdanken, dass er beziehungsweise sein Bruder bis heute an der Spitze der Revolution steht. Mythos und politisches Stehaufmännchen ist Castro in Personalunion, und selbst die lange tabuisierte Diskussion über die eigene Nachfolge hat der für die systematische Repression der Opposition verantwortliche Revolutionsführer letztlich persönlich in die Hand genommen. Im November 2005 fragte er erstmals öffentlich nach der Zukunft der Revolution und warb für deren Ideale. Die haben sich, so monieren die Autoren am Ende der überaus komprimierten und nicht gerade lückenlosen Biografie, seit den siebziger Jahren nur wenig geändert. Und ob jemand in die übergroßen Fußstapfen des Berufsrevolutionärs, der wie kein Anderer die kubanische Revolution verkörpert, treten kann, bezweifeln sie. Gleichwohl werden einige der potenziellen Kandidaten sowie die US-amerikanischen Übergangsszenarien vorgestellt. Doch letztlich ist es die kritische und hoch qualifizierte Jugend des Landes, die über die Revolution und den Mythos Castro befinden wird. Und ob sie den máximo líder vor der Geschichte freisprechen wird, wie von ihm einst prognostiziert, wird sich dann zeigen. Für Neubauer und de Villa bleibt hingegen die Aufgabe die letzten Kapitel zu überarbeiten und genau zu beobachten, ob Fidel Castro in Camagüey nicht doch ans Pult treten wird.
José de Villa/Jürgen Neubauer: Máximo Líder - Fidel Castro eine Biographie. Econ, Berlin 2006, 270 S., 19,95 EUR
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.