Marvin Del Cid steht am Fenster seines Büros in Guatemala-Stadt und blickt nachdenklich auf den Platz der Verfassung, der dem Nationalpalast direkt gegenüberliegt. Südlich des einstigen Regierungssitzes, heute eine Kultureinrichtung, liegen Ministerien, das Haus des Präsidenten und das Parlament, in dem Del Cid immer wieder zu tun hat. „Mein Kollege Sonny Figueroa und ich, wir recherchieren gerade für ein brisantes Buch über Korruption, Machtmissbrauch und Vetternwirtschaft in und um die Regierung von Präsident Alejandro Giammattei“, erzählt der 45-jährige Reporter. Spätestens im Mai soll das Buch erscheinen. Aus dem Erlös hoffen die beiden Investigativ-Journalisten weitere Recherchen finanzieren zu können.
Ob der Plan aufgeht, kann Del Cid derzeit nicht sagen: „Gegen uns wird genauso wie gegen Dutzende von Kollegen ermittelt. Zudem steht die Zeitung ‚El Periódico‘ kurz vor dem Aus.“ El Periódico gilt als das Flaggschiff eines regierungskritischen Journalismus in Guatemala. Immerhin mehr als 150 Autoren und Redakteure arbeiteten noch Ende 2022 für das Blatt, das im direkten Umfeld von Staatschef Giammattei recherchierte und Dutzende von Korruptionsfällen aufdeckte.
El-Periódico-Gründer José Rubén Zamora in Gewahrsam
Den Mächtigen auf die Finger schauen, so die Devise von José Rubén Zamora, Gründer und Präsident von El Periódico. Bei ihm handele es sich um einen der versiertesten Autoren in Zentralamerika, so Marvin Del Cid, der rund sechs Jahre an der Seite Zamoras stand und die investigative Abteilung von El Periódico leitete. Die gibt es freilich längst nicht mehr, denn die Justiz hat das Blatt und José Rubén Zamora im Visier. „Geldwäsche“ lautete der Vorwurf und bot die Handhabe, damit am 29. Juli 2022 ein schwer bewaffnetes Spezialkommando der Polizei das Privathaus Zamoras stürmen und den 66-Jährigen in Haft nehmen konnte. Seitdem sitzt der in Untersuchungshaft, die El-Periódico-Konten sind eingefroren, das Erscheinen der Druckausgabe musste eingestellt werden, 140 Mitarbeiter wurden entlassen.
Schlüssige Beweise für eine Anklage wegen Geldwäsche sei die Staatsanwaltschaft bisher schuldig geblieben, bemerkt Julia Corado, einst Ressortleiterin bei El Periódico. Auch gegen sie ermitteln die Behörden wie gegen acht weitere Kollegen. In diesem Fall lautet die Anschuldigung, sie hätten Falschinformation verbreitet. Für die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen ist das ein Grund, Stellung zu beziehen und zu erklären: „Die Unerbittlichkeit, mit der die Justiz gegen ‚El Periódico‘ vorgeht, versetzt der Pressefreiheit in Guatemala einen schweren Schlag.“ Auch die US-Botschaft in Guatemala-Stadt, das US-amerikanische Außenministerium und Menschenrechtsverbände bezogen deutlich Stellung – bislang ohne Erfolg.
Für Anwälte wie Héctor Reyes, in Guatemala Direktor der Menschenrechtsorganisation CALDH, ist das keine Überraschung. „Die Regierung von Alejandro Giammattei versucht mit allen Mitteln, die Presse unter ihre Kontrolle zu bekommen: Sie agiert immer diktatorischer und hat die Justiz oder besser wachsende Teile davon zu einem willfährigen Instrument umgebaut.“ Die Kriminalisierung von Andersdenkenden sei Teil einer perfiden Strategie, hinter der korrupte Politiker, die ökonomisch potenten Familien und das Militär stehen würden. „Pakt der Korrupten“ wird dieses Dreieck der Macht in Guatemala seit Jahren genannt. Dieses Netzwerk hat sich in exemplarischer Weise Einfluss auf die Justiz und in staatlichen Instituten verschafft.
Generalstaatsanwältin Consuelo Porras auf Honorarliste des „Paktes der Korrupten“
Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns, so das Mantra dieser Klientel, für die Generalstaatsanwältin Consuelo Porras eine Schlüsselrolle spielt. Sie steht auf der Honorarliste des „Paktes der Korrupten“ ganz oben, ist in den USA längst zur „unerwünschten Person“ geworden und lässt ihr eigenes Personal – Richter wie Staatsanwälte – bei Bedarf fallen. International angesehene Juristen wie Miguel Ángel Gálvez oder der Antikorruptionsspezialist und Staatsanwalt Juan Francisco Sandoval sind die prominentesten unter etwa 30 bekannten Fällen. Aus denen geht hervor, dass Personen häufig fluchtartig das Land verlassen mussten, da gegen sie aus rein politischen Motiven juristisch vorgegangen wurde. Dass dadurch die Unabhängigkeit der Justiz untergraben wird, steht außer Frage. Deren Erosion ist weit fortgeschritten, wie ein Skandal im Nationalen Wahlgericht offenbart.
Diese Instanz ist dafür verantwortlich, die Kandidaten für die am 25. Juni anstehenden Präsidentschaftswahlen auf Herz und Nieren zu prüfen. Dabei sind mit Thelma Cabrera und Jordán Rodas zwei vielversprechende Bewerber aussortiert worden. Cabrera, indigene Aktivistin, die bereits beim Präsidentenvotum von 2019 als Viertplatzierte mit gut zehn Prozent der Stimmen überraschte, kandidierte gemeinsam mit Jordán Rodas, bis zum August 2022 Ombudsmann für Menschenrechte. Rodas sollte für das Amt des Vizepräsidenten antreten. Das progressive Duo hatte ein Mandat der linken Partei Bewegung für die Befreiung der Völker (MLP). Es verkörperte für viele Guatemalteken so etwas wie die letzte Hoffnung im Kampf gegen den „Pakt der Korrupten“, der seinen Machtambitionen Geltung verschafft, indem er ein ganzes Land zu kontrollieren sucht.
Diese „Cooptación“ wurde von Jordán Rodas immer wieder angeprangert. Womöglich war das der Grund dafür, dass gegen ihn wegen des Umgangs mit öffentlichen Mitteln in seiner Zeit als Ombudsmann ermittelt wird. Stichhaltige Beweise liegen zwar nicht vor, gleichwohl hat das Wahlgericht mit Verweis auf eine Beschwerde und laufende Untersuchungen Cabrera und Rodas nicht zur Wahl zugelassen.
Kein Einzelfall. Vier weitere Kandidaten, darunter auch konservative Anwärter, seien ebenfalls ausgeschlossen worden, sagt Marvin Del Cid. „Das Wahlgericht ist zu einem Instrument geworden, mit dem schon vor dem Urnengang manipuliert und betrogen wird“, kritisiert der Journalist. Er sehe das Risiko, dass durch diese Praktiken politische Gewalt entfacht werde, und denke darüber nach, Guatemala erneut zu verlassen. Bereits zwischen Dezember und Februar hatte er sich mit dem Kollegen Sonny Figueroa aus Sicherheitsgründen in Mexiko aufgehalten.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.