Bei den Vorwahlen trat Donald Trump vor Monaten für das Registrieren von Muslimen ein, was Erinnerungen an eine Zeit im Zweiten Weltkrieg weckte. Seinerzeit hatte die amerikanische Regierung Zehntausende, darunter auch Kinder, wegen ihrer ethnischen Identität erfasst und eingesperrt. Die dafür maßgebende Executive Order trug die Nummer 9066 und die Unterschrift des Präsidenten Franklin D. Roosevelt, datiert war das Dekret auf den 19. Februar 1942. Zehn Wochen zuvor hatten Streitkräfte des Japanischen Kaiserreiches den US-Marinestützpunkt Pearl Harbor in Hawaii angegriffen und rund 20 Kriegsschiffe zerstört. Roosevelts E. O. 9066 autorisierte Kriegsminister Henry Stimson (heute heißt dieses Amt Verteidigungsminister), „zum Schutz vor Spionage und gegen Sabotage“ bestimmten Personen den Zugang zu oder den Aufenthalt in bestimmten Zonen zu verwehren.
Es war ziemlich offensichtlich, wer und was gemeint war: Bald nach Roosevelts Unterschrift ließ das neue Western Defense Command der US-Streitkräfte, zuständig für die Verteidigung der westlichen Bundesstaaten, Plakate aufhängen, so wie jene am 1. April 1942 in San Francisco. Denen war zu entnehmen: Alle Personen japanischer Herkunft in der Stadt – US-Bürger und Nicht-US-Bürger gleichermaßen – sollten sich für eine „Evakuierung“ bereithalten, Stichtag sei der 7. April um zwölf Uhr mittags. Ähnliche Anweisungen ergingen von Alaska bis hinunter nach Washington, Oregon und Kalifornien.
Etwa 120.000 Menschen japanischer Abstammung, zwei Drittel davon Staatsbürger, lebten in den angeblich von Japan bedrohten Evakuierungszonen am Pazifischen Ozean. Evakuierung bedeutete, dass die US-Armee alle Betroffenen zum Verlassen ihrer Wohnungen zwang und in zehn rasch erbaute Lager abtransportierte – sie lagen in Arkansas, Utah, Colorado, Idaho, Arizona und im Osten von Kalifornien. Auf Fotos sieht man Frauen, Männer und Kinder, viele im Sonntagsstaat, die unter Bewachung bewaffneter Soldaten Züge und Busse besteigen. Sie durften mitnehmen, was sie tragen konnten.
Als Schulkind „evakuiert“
Kay Sakai Nakao war Schulkind auf der Insel Bainbridge vor der Küste von Seattle im Staat Washington, als sie im Frühjahr 1942 „evakuiert“ wurde. Ihre Erinnerungen sind festgehalten auf densho.org, der Webseite des Japanese American Legacy Project. Dort heißt es, ein großer Armee-Lastwagen habe mehrere Familien zum Hafen gebracht und zur Fähre. „Ich kann das Gefühl bei der Abfahrt gar nicht beschreiben, als wir weiter und weiter weggefahren sind von der Insel. Es war so einsam. Wenn man normalerweise irgendwohin reist, weiß man, wohin – aber wir haben nichts gewusst, und das hat alles noch schlimmer gemacht.“ Von der Fähre ging es in einen Zug. Viele Stunden Fahrt in Waggons mit schwarz verhängten Fenstern, angeblich zum Schutz der Passagiere. Dann wurde in Busse umgestiegen. Durch das Fenster des Fahrers konnte Kay Sakai hinausschauen und eine Wüstenlandschaft sehen. Es sei immer wärmer geworden, und sie habe zu ihrem Sitznachbarn gesagt: „Ich bin wirklich froh, dass ich nicht an einem solchen Ort wohne.“ Dann habe der Bus angehalten. „Mein Herz sank bis hinunter in meine Zehen ... Wenn man von einer Insel kommt, mit dem Wasser, den Bergen und den grünen Bäumen, und dann bist du in der Wüste und in der Hitze ...“
Nach dem Aussteigen habe jeder einen Sack bekommen. „Wir sollten ihn mit Stroh füllen für Matratzen.“ Der Zielort knapp 400 Kilometer nördlich von Los Angeles war das Internierungslager Manzanar im staubtrockenen Owens Valley am Rande der Sierra-Nevada-Berge. 500 Baracken, umringt von einem Zaun und acht Wachtürmen mit Suchscheinwerfern. Gut 10.000 Menschen waren in Manzanar eingesperrt.
Nach Pearl Harbor waren US-Amerikaner japanischer Abstammung ein zweckdienliches Angriffsziel. In Zeitungen lasen politisch Interessierte zwar schon seit langem von wachsenden Spannungen zwischen den USA und dem expansionsorientierten Japan. Doch hatte der „unangekündigte und vorsätzliche Angriff“ (Roosevelt) am Morgen des 7. Dezember 1941 mit 353 Flugzeugen, die von vier Flugzeugträgern gestartet waren, die Nation offenbar kalt erwischt. 2.335 amerikanische Soldaten und Matrosen kamen um. Es gab noch keine effektive Luftaufklärung, der Radar steckte in den Kinderschuhen. Bis heute, ein Dreivierteljahrhundert nach diesem „schandvollen Tag“ (Roosevelt), prüfen und spekulieren Historiker, warum die US-Streitkräfte und -Geheimdienste die Attacke nicht verhindern konnten. Im Grunde genommen, so fasst es Pulitzer-Preisträger Steve Twomey in seinem neuen Buch Countdown to Pearl Harbor zusammen, habe die US-Regierung den „asiatischen Gegner“ unterschätzt und in ihrer Überheblichkeit geglaubt, eine Nation wie Japan würde es nie schaffen, einen derart komplizierten Angriff auszuführen.
„Die japanische Rasse ist eine Feindesrasse“
Bei der Schuldzuweisung kam die Suche nach dem inneren Feind – einer „fünften Kolonne“ – gerade recht. An der Westküste wähnten sich viele tatsächlich in Gefahr vor einem Luftangriff. Los Angeles erließ vorübergehend Verdunkelungsvorschriften. Bewohner kauften die Regale in Lebensmittelläden leer. Noch am 7. Dezember 1941 begann das FBI mit Hausdurchsuchungen und Festnahmen von Menschen japanischer Herkunft. Binnen zweier Tage waren mehr als 1.000 verhaftet. Marineminister Frank Knox, dem man seine ungenügenden Verteidigungsvorbereitungen hätte vorwerfen können, machte bei einer Pressekonferenz am 15. Dezember 1941 japanischstämmige Bürger verantwortlich. Die „fünfte Kolonne“ in Hawaii habe außerordentlich erfolgreich gearbeitet, sagte Knox, ohne dafür Beweise vorzulegen. In Presse und Politik häuften sich die Rufe nach Internierung von Japanern. Fake News, würde man heute sagen, über Lichtsignale von U-Booten und Ähnlichem kursierten. Belege dafür, dass von den häufig in der Landwirtschaft und beim Fischfang beschäftigten Bewohnern japanischer Abstammung eine Gefahr ausging, gab es keine. Für Sabotageakte gleich gar nicht.
Eine Schlüsselfigur bei der Internierungsdebatte war Generalleutnant John DeWitt, Chef des Western Defense Command. Mitte Februar 1942 begründete er die Internierung in einem Memorandum an das Kriegsministerium: „Die japanische Rasse ist eine Feindesrasse, und obwohl viele aus der zweiten und dritten Generation der in den USA geborenen Japaner Staatsbürger und ‚amerikanisiert‘ worden sind, bleiben ihre Rassenmerkmale unverändert erhalten. Die Tatsache, dass bisher keine Sabotage verübt wurde, ist ein beunruhigender und bestätigender Hinweis darauf, dass mit solchen Handlungen zu rechnen ist.“ Autor Richard Reeves schrieb in seinem Buch Infamy über die Internierungen: Regierungsbeamte hätten gar in Waisenhäusern nach „japanisch aussehenden Kindern“ gesucht. Von einer Masseninternierung bei Deutschamerikanern war nie die Rede.
In Roosevelts Kabinett gab es unterschiedliche Ansichten zum Wegsperren der Japaner. Der Justizminister war anfangs skeptisch, First Lady Eleanor Roosevelt erst recht, doch der Präsident unterschrieb seine Order, und die Massendeportationen nahmen ihren Lauf. Das letzte der Lager in Tulelake (Kalifornien) wurde im März 1946 geschlossen.
1980 rief der US-Kongress eine Kommission ins Leben, um die Beweggründe für die Internierung zu untersuchen. In ihrem Abschlussbericht steht, es seien schon damals keine „dokumentierten Beweise für Spionage und Sabotage vorgelegt worden“. Als historische Gründe seien zu nennen: „Rassenvorurteile, Kriegshysterie und ein Versagen der politischen Führung“. Die US-Regierung hat sich später entschuldigt. Ronald Reagan, der im Krieg als Hauptmann bei einer Propagandaeinheit im kalifornischen Culver City gedient hatte, erklärte 1988 als US-Präsident, das mit der Internierung sei nicht richtig gewesen. Jeder der noch Lebenden solle 20.000 Dollar Entschädigung erhalten.
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