Es geschah in der publizistischen Steinzeit – vor Edward Snowden, vor Wikileaks, vor dem Internet, vor dem Laptop. Um zu lesen, musste man das Druckerzeugnis kaufen, um zu verstehen, weshalb im März 1967 das kalifornische Monatsmagazin Ramparts weltweit für Aufsehen sorgte. Es ging um einen Text unter der drögen Überschrift: „Ein kurzer Bericht über internationale Studentenpolitik und den Kalten Krieg mit besonderem Hinweis auf die NSA, CIA usw.“ Das Periodikum kostete 75 Cent, auf dem März-Titelblatt war ein archetypischer Hippie mit dem Zitat abgebildet: „Möge das Jesuskind deinen Verstand öffnen und deinen Mund schließen.“ CIA-Direktor Richard Helms wusste vorzeitig von der Enthüllungsgeschichte. Es sei einer seiner „schwärzesten Tage“ gewesen, schrieb er später in seinen Erinnerungen.
Mit dem Kürzel NSA in der Überschrift war nicht die National Security Agency, sondern die National Student Association gemeint, ein eher links temperierter US-Studentenverband, aktiv an vielen Universitäten und international verbunden mit der 1950 gegründeten International Student Conference (ISC), die ihr Hauptquartier in den Niederlanden hatte. Sie war im Kalten Krieg das Gegenstück zu der in Prag ansässigen International Union of Students.
Was Ramparts offenbarte, war Folgendes: Die CIA sei finanzieller Sponsor der NSA. Deren Führungskader hätten Geheimhalteverpflichtungen unterzeichnet. Noch immer säßen „ehemalige NSA-Vertreter, die wissentlich mit der CIA kooperiert hatten“ auch im Sekretariat der ISC. Auf diese Weise sammle die National Student Association Informationen für die CIA über Studenten und politische Bewegungen. Wie sich herausstellte, wussten die meisten NSA-Aktivisten nichts von den CIA-Geldern. Offiziell kamen die Spenden von „Stiftungen“. Doch waren die vom US-Geheimdienst eingerichtet worden. Ramparts – so befürchtete CIA-Boss Helms – könnte „den wichtigsten verdeckten Projekten seit zwei Jahrzehnten schaden“.
Wie zu erwarten, schlugen die Enthüllungen ein wie der sprichwörtliche Blitz aus fast heiterem Himmel. Die US-Öffentlichkeit wusste damals nur wenig über die CIA. Und die Verleger der US-Leitmedien sahen sich als Mitwirkende im Kampf gegen den Kommunismus. Der Journalist Carl Bernstein (der Bernstein von „Woodward und Bernstein“ bei der Watergate-Affäre) beschrieb 1977 im Magazin Rolling Stone detailliert, wie führende Publikationen und Fernsehsender, inklusive New York Times, CBS, NBC und ABC, Kontakte mit der CIA pflegten. Rund 400 US-Journalisten hätten „in den vergangenen 25 Jahren im Geheimen CIA-Aufträge ausgeführt“, schrieb Bernstein.
Patriotischer Verrat
Eine CIA-Kritik gab es kaum in den 50er und zu Beginn der 60er Jahre. 1964 hatten die Journalisten David Wise und Thomas Ross zwar ein auf die Geheimdienste bezogenes Buch mit dem Titel Die unsichtbare Regierung veröffentlicht, und 1966 bohrten von der New York Times publizierte Artikel in dem Schutzwall rings um die CIA. Doch wirklich spektakuläre Enthüllungen über die Geheimdienste gab es erst nach Ramparts. Sie wurden möglich durch den Vietnamkrieg (1965 – 1975), als man bei den Abendnachrichten den Kollaps der „Sicherheitspolitik“ sah, und viele Amerikaner das Vertrauen in Führungskraft und Integrität der US-Regierung verloren.
Wie sehr die Ramparts-Offenbarungen die Regierenden beunruhigten, zeigte die Reaktion des Weißen Hauses. Präsident Lyndon B. Johnson richtete eine Untersuchungskommission ein. Amerikanische Institutionen müssten „sich an der Weltgemeinschaft beteiligen“, ließ Johnson über den Kommissionsvorsitzenden und stellvertretenden Außenminister Nicholas Katzenbach verlauten. Die „Unversehrtheit und Unabhängigkeit“ von Bildungseinrichtungen müssten erhalten bleiben. Richard Helms saß auch im Komitee. Es gab Kongressanhörungen. Ende März erteilte Johnson Weisung, geheime Subventionen an „studentische und Freiwilligen-Organisationen“ müssten aufhören.
Anfang März 2015 hat die Autorin Karen Paget eine lange Version der Geschichte von CIA und NSA in ihrem 552-Seiten-Buch Patriotic Betrayal (Patriotischer Verrat), erschienen im Verlag Yale University Press, veröffentlicht. Sie schreibt, ihr Ehemann und sie seien in den 60er Jahren zum Studentenbund NSA gestoßen. Im August 1965 habe sie sogar Protokoll geführt bei einem Studentenmeeting mit Vizepräsident Hubert Humphrey. Sie habe sich gefreut, dass sie als Frau auf der Bühne sitzen und helfen durfte, falls Humphrey „einen Schluck Wasser brauchen sollte“. Ihr Ehemann bekam einen Job in der internationalen Abteilung der NSA. Eines Tages sei sie – gerade 20 Jahre alt – zu einem Gespräch mit einem „NSA-Veteranen“ eingeladen worden: Der habe ihr mitgeteilt, er komme von der CIA und sei der Führungsoffizier ihres Mannes (Deckname Tante Alice). Die CIA finanziere das internationale Programm der NSA. Von ihr erwarte man, dass sie ein Geheimhaltungsversprechen unterzeichne.
Patriotic Betrayal beschreibt ein anscheinend effektives Geheimdienstprojekt. NSA-Aktivisten besuchten internationale Jugendveranstaltungen, organisierten Konferenzen, luden Studenten aus der ganzen Welt in die USA ein – und tippten Berichte für die CIA. Im Laufe der Zeit hätten NSA-Mitarbeiter über Tausende ausländische Studenten Bericht erstattet, die künftige politische Elite ihrer Länder. Paget schreibt auch von Dossiers über iranische Studenten, die in den USA gegen den Schah auftraten. Man wisse nicht, was davon möglicherweise an den Geheimdienst dieses Regimes gelangt sei, seinerzeit ein wichtiger Verbündeter der USA im Nahen Osten.
Die National Student Association war auch ideologisches Instrument. Die jungen Aktivisten kamen der CIA gerade recht. In den 60er Jahren sei der Antikommunismus in den USA eben nicht nur der rechte Antikommunismus von Joseph McCarthy und Barry Goldwater gewesen, sondern auch der liberale Antikommunismus, der progressiv eingestellten Menschen eine politische Heimat bieten wollte. Um etwas gegen die Sowjetunion zu tun und gegen die kommunistischen Parteien in Westeuropa – so ein 2007 online gestellter Aufsatz in den von der CIA herausgegebenen Studies in Intelligence –, habe der Nachrichtendienst damals auch „Mitglieder der nichtkommunistischen Linken unterstützt“. In Europa wurde der Kongress für kulturelle Freiheit gefördert. Gleiches galt für das Magazin Encounter und andere Zeitschriften. Man wollte dagegenhalten: Auch die Sowjetunion habe ihr nahestehende Verbände unterstützt.
Adam Hochschild, 1976 Mitbegründer der linken Zeitschrift Mother Jones, war während der Enthüllungen Mitarbeiter bei Ramparts. Die Redaktion sei nervös gewesen, als man an der Geschichte gearbeitet habe, schrieb Hochschild für die jüngste Ausgabe des Magazins Harper’s in einer Besprechung von Patriotic Betrayal. Damals seien manche Anrufe nur noch aus öffentlichen Telefonzellen gemacht worden. Die Redaktion habe einen Sicherheitsdienst eingestellt. Hauptquelle für die Enthüllungen sei der in der NSA für Fundraising zuständige Mitarbeiter Michael Wood gewesen, dem die nicht existierenden Stiftungen aufgefallen waren. Schmeichelhaft sei, räumt Hochschild heute ein, dass ihn ein inzwischen freigegebenes CIA-Dokument über Ramparts als „Nadel gegen die Behörde“ bezeichnet habe.
Sol Stern, Autor von „Ein kurzer Bericht über internationale Studentenpolitik und den Kalten Krieg mit besonderem Hinweis auf die NSA, CIA usw.“, sieht die Sache inzwischen anders. Mit Ramparts habe er schon bald nichts mehr anfangen können, schrieb er vor Jahren. Die Zeitschrift habe sich in Richtung Extremismus verrannt. Er nicht – ihm sei klar geworden, dank der CIA-Programme habe man den Kalten Krieg gewinnen können. Ramparts wurde 1975 eingestellt. Hochschild schreibt von Streit und Unprofessionalität in der Redaktion. Auch sei das Geld ausgegangen.
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