Anfang September reist Barack Obama als erster US-Präsident nach Laos. In der Hauptstadt Vientiane begegnet er den Regierungschefs der Assoziation Südostasiatischer Nationen (ASEAN), auch dem laotischen Präsidenten Bounnhang Vorachith. Der Besuch erlaube es, „komplizierte Beziehungen“ zu normalisieren, vermeldet CNN. Das Wort „kompliziert“ verniedlicht. Die USA haben vor 50 Jahren während des damaligen Indochinakrieges weite Teile von Laos verwüstet. Bei sagenhaften 580.000 Angriffen warf die Air Force von 1964 bis 1973 mehr als zwei Millionen Tonnen Bomben auf das rund drei Millionen Einwohner zählende Land, das etwa halb so groß ist wie Deutschland. Die Militärs wollten den teilweise durch Laos führenden Ho-Chi-Minh-Pfad von Nord- nach Südvietnam blockieren und die königliche Regierung gegen die Guerilla der Pathet Lao stärken, die Teile des Landes kontrollierte.
Nirgendwo auf der Welt wurden nach 1945 im Verhältnis zur Einwohnerzahl eines Landes mehr Bomben abgeworfen als auf das kleine Laos. Die Zahl der Toten und Verletzten ist nicht einmal bekannt. Zugleich betrieb der Geheimdienst CIA in dem an China, Vietnam, Kambodscha, Thailand und Myanmar angrenzenden Land „die größte paramilitärische Operation“ ihrer Geschichte, wie es heute auf der Webseite der CIA steht. Auch da ist die Zahl der Opfer nicht bekannt.
Es war am 26. September 1969, als Präsident Richard Nixon eine Routinepressekonferenz zum Thema Indochina bestritt. In Vietnam kämpften seinerzeit der kommunistische Norden und die Nationale Befreiungsfront (Vietcong) gegen die südvietnamesische Regierung und die US-Armee. Gut 40.000 amerikanische Soldaten waren bereits gefallen. Was Nixon von den vielen Antikriegskundgebungen im eigenen Land halte, wollte ein Reporter wissen. Es sei ihm schon klar, dass es Opposition gebe, räumte Nixon ein. „Jedoch werde ich mich unter keinen Umständen davon beeinflussen lassen.“ Allerdings solle die Präsenz von derzeit 536.000 US-Soldaten in Südvietnam innerhalb eines Jahres auf nur mehr 335.000 reduziert werden. Zwei Fragen betrafen Laos. Die Besorgnis wachse über eine zunehmende US-Verwicklung in Kampfhandlungen dort, meinte ein Journalist. Es gebe keine US-Einheiten in Laos, erwiderte Nixon. Es seien aber 50.000 Nordvietnamesen dort. Die zweite Frage: Was habe es auf sich mit den US-Luftstreitkräften, die den Ho-Chi-Minh-Pfad bombardieren?
Vielleicht auch einige andere Aktivitäten
Das brachte den Präsidenten in Schwierigkeiten. „Nun, Laos hat sehr viel mit Vietnam zu tun, weil der Ho-Chi-Minh-Pfad durch Laos führt. Unter diesen Umständen ist es notwendig, dass die Vereinigten Staaten das zur Kenntnis nehmen. Wir betreiben Luftaufklärung; wir unternehmen vielleicht auch einige andere Aktivitäten. Ich werde diese Aktivitäten aber jetzt nicht diskutieren.“
„Die Flugzeuge kamen jede Nacht, um Bomben auf uns zu werfen. Wir lebten in Erdlöchern, um uns zu schützen. Ich sah meinen Cousin auf dem Feld sterben. Alle Kühe und Büffel waren tot. Bis man nichts mehr sehen konnte außer der roten Erde unter ihren Leibern“, so eine damals 33-jährige Augenzeugin über den Kriegsalltag in Laos, während Nixon auf seiner Pressekonferenz abwiegelte.
Trotz aller Dementis der US-Regierung: Seit Mitte der 60er Jahre gibt es an manchen Tagen bis zu 300 Bombenangriffe, bei denen Anfang 1970 auch die schweren B-52-Machinen zum Einsatz kommen. Das Weiße Haus wollte das geheim halten, war doch 1954 bei der Genfer Indochinakonferenz über die Neuordnung einer ganzen Region Laos als neutral klassifiziert worden: Keine ausländischen Streitkräfte durften dort Flagge zeigen.
Nixon hatte Laos quasi von seinen Amtsvorgängern geerbt. John F. Kennedy warnte im März 1961, zwei Monate nach Amtsantritt, Laos sei das dringlichste Problem, das er vorgefunden habe. „Laos ist weit weg von Amerika, aber die Welt ist klein.“ Die Sowjetunion lieferte den von Nordvietnam unterstützten Pathet Lao Waffen, und die USA sollten in Laos bald über eigene Bodentruppen verfügen. Laut der Studie „CIA Air Operations in Laos, 1955 – 1974“ auf der CIA-Webseite hatte Präsident Eisenhower bereits Ende der 50er Jahre CIA-Hilfe beim Aufbau antikommunistischer Guerilla-Einheiten in Laos autorisiert. Kennedy ließ den Konflikt eskalieren, sodass Ende 1963 angeblich 20.000 Kämpfer der Hmong-Minderheit „nordvietnamesische Versorgungsdepots sprengten, Hinterhalte legten und Straßen verminten“, schreibt die CIA in ihrer Studie. Nachschub lieferte die CIA-Fluglinie Air America.
„Nach 1968 wurde jeden Tag angegriffen“
Es sei unglaublich, dass die US-Regierung all dies, besonders den Bombenkrieg, so lange geheim halten konnte, schrieb später das Air Force Magazine. Reporter reisten kaum in die bombardierten Gebiete, laotische Zeugen galten als nicht zuverlässig, und US-Medien ließen sich mit offiziellen Erklärungen abspeisen, dass die Air Force „seit 1964 Aufklärungsflüge über Laos durchführt in Begleitung bewaffneter Flugzeuge“.
Der junge Amerikaner Fred Branfman lebte Ende der 60er Jahre als Mitarbeiter der Hilfsorganisation International Voluntary Services in einem Dorf unweit von Vientiane in einer von der Regierung kontrollierten Zone. Als Übersetzer für einen Journalisten habe er im September 1969 erstmals mit Flüchtlingen aus dem von der Pathet Lao gehaltenen Gebiet gesprochen und sei schockiert gewesen, erinnerte sich der 2014 verstorbene Branfman. Ihm sei von unerbittlichen Bombenangriffen auf die Zivilbevölkerung erzählt worden. Branfman dokumentierte die Aussagen, wie die über den umgekommenen Cousin in einem Buch mit dem Titel Voices from the Plain of Jars (Stimmen von der Ebene der Tonkrüge), und sagte 1971 bei einer Kongressanhörung aus: „Die Bombardierungen begannen 1964 und wurden von Jahr zu Jahr stärker“, habe man ihm berichtet. „Nach 1968 wurde jeden Tag angegriffen.“ Dorfbewohner hätten geschildert, wie Angehörige und Freunde lebendig verbrannt seien oder verschüttet wurden: Vor allem alte Menschen, Frauen und Kinder seien umgekommen. Bewaffnete hätten sich in den Wäldern verstecken können.
Für die US-Regierung entfalteten die Angriffe auf Laos eine fatale Eigendynamik. Es wurde bombardiert, weil man das konnte. Als Präsident Lyndon B. Johnson 1968 einen Stopp des Luftkrieges gegen Nordvietnam anordnete, wollte die Luftwaffe ihre Maschinen nicht auf den Pisten stehen lassen und verschaffte ihnen Einsätze über Laos. Johnsons Nachfolger Nixon wusste offenbar schon bald vom begrenzten militärischen Effekt dieser Operationen. Für das Buch The Last of the President’s Men (2015) übergab Nixons Mitarbeiter Alexander Butterfield dem Autor Bob Woodward stapelweise Dokumente aus dem Weißen Haus, darunter eine Geheimnotiz von Nixon an Sicherheitsberater Henry Kissinger vom 3. Januar 1972: „K., wir haben jetzt seit zehn Jahren Kontrolle des Luftraums in Laos und V.Nam. Das Resultat = Nichts. Es stimmt etwas nicht mit der Strategie der Luftwaffe.“
Die im Krieg hart umkämpfte Ebene der Tonkrüge sei mysteriös und einzigartig, heißt es in Reiseführern. Die zahlreichen „Krüge“ seien bis zu drei Meter hohe Steinkonstruktionen, gut zweitausend Jahre alt, und wahrscheinlich zu Bestattungszwecken errichtet worden. Bis heute sind sie kaum für Touristen zugänglich, denn die Air Force warf dort auch Streubomben ab, die oft nicht explodierten. Nach dem Ende des Indochinakrieges im Jahr 1975 sind nach Angaben der Hilfsorganisation Legacies of War 20.000 Laoten von diesen und anderen Blindgängern verwundet oder getötet worden. Angeblich will Obama bei seinem Laos-Trip mehr Geld für das Entschärfen von Munitionsresten zusagen. 1995 bis 2015 haben die USA im Schnitt bis zu fünf Millionen Dollar pro Jahr bereitgestellt, 2016 nun 9,5 Millionen. Der Boston Globe zitierte kürzlich John Kerry – Vietnamveteran, Kriegsgegner, Außenminister – mit einem Ausspruch von 1971: „Wir dachten, wir seien eine moralische Nation, doch nun betreiben wir das blindwütigste Bomben in der Geschichte der Menschheit.“
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.