Heute wird gestaunt über Donald Trumps langes Klammern an die Macht. Ein Regierungswechsel in den USA verläuft nicht immer so mustergültig, wie deren Gründer das wollten. Ronald Reagans Amtsantritt vor 40 Jahren und das, was danach kam, hatten es in sich. Denn es gab eine „Oktoberüberraschung“. Auf die wartet die US-Politik alle vier Jahre vor der Präsidentschaftswahl Anfang November, verbunden mit der Frage: Zaubert ein Anwärter auf der Zielgeraden ein Kaninchen aus dem Hut? Trump ist das im Oktober 2016 gelungen mit einem explosiven Brief von FBI-Direktor James Comey über neue E-Mails seiner demokratischen Kontrahentin Hillary Clinton.
Prototyp der „Oktoberüberraschung“ war der Wahlkampf 1980, den der Republikaner Ronald Reagan gegen den Demokraten Jimmy Carter gewann. Beide Kandidaten waren angeblich beunruhigt, der jeweils andere würde ihn überraschen. Reagans Wahlmanager Bill Casey, später Direktor des Geheimdienstes CIA, machte sich Sorgen, Amtsinhaber Carter werde kurz vor der Wahl die Freilassung der seit November 1979 in der US-Botschaft in Teheran festsitzenden US-Diplomaten erwirken. Manche von Carters Leuten wollten nach Reagans Sieg wissen, ob Casey & Co. dafür gesorgt hatten, die Freilassung zu verzögern.
Der Konflikt, den zwei ungleiche Mächte vor 40 Jahren austrugen, steckt der US-Politik bis heute in den Knochen. Die Geiselnahme im Iran der Islamischen Revolution wurde in den USA als nationale Demütigung erlebt. Jeden Abend liefen Sondersendungen. In Teheran brannten US-Flaggen. Diplomaten wurden mit verbundenen Augen vor iranische Fernsehkameras geführt. Im April 1980 scheiterte eine militärische Rettungsaktion in einem Sandsturm. Seither gilt der Iran vielen US-Politikern als der Feind schlechthin, was für die Islamische Republik umgekehrt genauso zutrifft. Das Ganze hat viel mit dem von der CIA und britischen Stellen inszenierten Staatsstreich 1953 zu tun, der Schah Mohammad Reza Pahlavi an die Macht brachte.
Es war der 20. Januar 1981. In Washington drängten sich Privatjets auf dem Nationalflughafen, und in Teheran standen zwei Maschinen der Algerian Airlines auf dem Mehrabad-Airport. Die Maschinen in Washington hatten Freunde und Lobbyisten des an jenem Tag vereidigten neuen Präsidenten Reagan zum Feiern in die Hauptstadt gebracht. Zugleich sollte an jenem Tag eine algerische Boeing die 52 US-Botschaftsangehörigen ausfliegen. Die 444 Tage in der Gewalt von „militanten Studenten“, die mit dem Segen von Revolutionsführer Ayatollah Ruhollah Chomeini handelten, waren vorbei. Ronald Reagan (69), Ex-Gouverneur von Kalifornien und früher einmal Schauspieler (unter anderem Kings Row, Hellcats of the Navy, Bedtime for Bonzo) legte den Amtseid ab und konnte weniger als eine Stunde später das Ende einer nationalen Krise bekanntgeben. „Vor etwa 30 Minuten haben die algerischen Flugzeuge mit unseren Gefangenen den iranischen Luftraum verlassen“, verkündete er.
Für die Diplomaten seien die letzten Stunden in Teheran wie folgt abgelaufen, erinnert sich Geschäftsträger Bruce Laingen in einem Interview: Gegen 17 Uhr hätten die Iraner informiert, dass es in 20 Minuten losgehe, doch dann seien aus Minuten Stunden geworden. Schließlich hätten die Geiselnehmer die 52 Männer zum Flughafen gebracht. „Man hat uns aus den Bussen gedrängt, die Augenbinden wurden abgerissen, und wir mussten Spießrutenlaufen zwischen pöbelnden Militanten.“ Die hätten das letzte Wort über die Geiseln haben wollen. Über Athen, Algier und Wiesbaden, wo der scheidende Präsident Carter die Heimkehrer abholte, ging es zurück in die Vereinigten Staaten. Begonnen hatte die „Geiselkrise“ im Januar 1979. Schah Reza Pahlavi verließ seinen Palast und floh ins Ausland vor einer Revolution, die sich auf den Islam berief, ansonsten von ihrer Richtung her noch nicht absehbar war. Präsident Carter war überrumpelt, hatte er doch den Iran eben noch als „Insel der Stabilität“ bewertet. Der Schah ging erst nach Marokko, dann nach Mexiko. Carter wollte ihn nicht in die USA lassen. Das sei nicht im nationalen Interesse.
Doch der ehemalige Herrscher in Teheran, verlässlicher Öllieferant, Käufer von US-Rüstungsgütern und Befehlshaber der Geheimpolizei SAVAK, hatte gute Freunde in Washington, vornehmlich Ex-Präsident Nixon, Sicherheitsberater Henry Kissinger und David Rockefeller, Milliardär dank des Standard-Oil-Vermögens, Chef der Chase Manhattan Bank und Begründer der Trilateralen Kommission. Die drei wollten nicht hinnehmen, dass ihr Freund wie ein „Fliegender Holländer“ durch die Welt irrte. Am 22. Oktober 1979 wurde der an Krebs erkrankte Schah in ein Krankenhaus in New York eingeliefert.
Im Iran reagierten Demonstranten empört. Viele hätten offenbar das Gefühl, erklärten US-Medien, die USA würden den Schah zurückbringen wollen. Dann kam der 4. November. Die in der Botschaft tätige Dolmetscherin Fereshteh Emamy beschrieb den Vorgang im US-Fernsehsender ABC: Die jungen Leute seien einfach auf das Botschaftsgelände gekommen, niemand habe sie aufgehalten. Es seien keine Schüsse gefallen und die Studenten „nicht bewaffnet gewesen“, abgesehen von ein paar Stöcken. Sofort begann eine Medienschlacht. Die Studenten feierten die Übernahme eines „Spionagenests“ und klebten geschredderte Geheimdokumente zusammen. Ayatollah Chomeini nutzte die Besetzung der Botschaft, um seine Macht zu festigen. Durch die USA geisterten die medialen Warnungen vor einem militanten Islam. Das progressive Amerika schwankte zwischen der Freude über eine Revolution und der Frage, was man von deren klerikaler Grundtönung halten sollte. Der Sturm auf eine diplomatische Vertretung ließ sich nicht rechtfertigen.
Dass die Geiseln fast zeitgleich mit Ronald Reagans Amtsantritt freigelassen wurden, interpretierten manche republikanische Politiker als Zeichen dafür, dass dieser Präsident im Gegensatz zu Carter von seinen Gegenspielern in Teheran respektiert wurde. Das Lager der Demokraten wiederum glaubte nicht an Zufälle. Gary Sick, seinerzeit hochrangiger Mitarbeiter in Jimmy Carters Nationalem Sicherheitsrat, schrieb 1991 über glaubhafte Hinweise auf Zusammenkünfte Bill Caseys mit iranischen Vertretern. Das Angebot: Sollte Reagan gewinnen, würde er die in den USA eingefrorenen iranischen Konten auftauen, dazu Rüstungsgüter und Ersatzteile liefern. Carter forderte 1991 unabhängige Ermittlungen. Reagan war 1989 aus dem Amt geschieden, im Weißen Haus saß der Republikaner George H. W. Bush.
Ein überparteilicher Ausschuss des Repräsentantenhauses kam 1993 zu dem Schluss, dass die in Frage kommenden Zeugen für eine Verschwörung nicht verlässlich seien. Casey war 1987 verstorben, und seine Witwe Sophia Casey forderte eine Entschuldigung für die „unverschämten“ Verschwörungstheorien. Was konnte man glauben? 1986 war eine außerordentliche Geheimoperation der Reagan-Regierung mit dem Iran aufgeflogen: Sie hatte Anti-Panzer und Flugabwehrraketen an Teheran verkauft, das sich im Gegenzug für die Freilassung von US-Geiseln im Libanon einsetzen sollte. Die Profite der Exporteure flossen an Contra-Rebellen, die mit Hilfe der CIA in Nicaragua gegen die linke Regierung der Sandinisten kämpften. Diese Verschwörung hat Reagan zugegeben.
Joe Biden war während der Geiselkrise Senator von Delaware. Er warnte vor Militäraktionen zur Befreiung, meinte aber, die USA müssten ihre bewaffnete Präsenz in der Region ausbauen. Der 34-jährige Donald Trump, Immobilienunternehmer und milchgesichtiger Playboy in Manhattans Promi-Szene, sagte in einem Interview, Amerika müsse sich wieder Respekt verschaffen. Es sei „absolut lächerlich und ein Horror“, dass die USA die Geiselnahme erlaubt hätten. Man hätte militärisch eingreifen müssen. Er wolle allerdings nicht US-Präsident werden. Problematisch für die US-Politik sei die Macht des Fernsehens.
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