Das sei der „schlimmste einheimische Terroranschlag“ in der US-Geschichte, stand vor 25 Jahren in den Schlagzeilen nach dem zunächst offenbar unvermeidlichen Spekulieren über islamistischen Terrorismus. Doch war der Massenmord in Oklahoma das Werk eines Veteranen des Irak-Krieges von 1991 und seiner rechtsextremen Ideen, gewachsen auf amerikanischem Boden. Mit einer aus Düngemitteln gefer tigten Lastwagenbombe sprengte der 26-jährige Timothy McVeigh am 19. April 1995 das Vorderteil des neunstöckigen Alfred-P.-Murrah-Regierungsgebäudes in Oklahoma City in die Luft. 168 Menschen kamen um. Hunderte wurden verletzt, 300 umliegende Gebäude beschädigt. 19 Vorschulkinder starben in den Trümmern. Im „Murrah“ befand sich eine Tagesstätte, in der die gut 550 Beschäftigten tagsüber ihre Kinder lassen konnten.
Das „Murrah-Haus“, benannt nach einem örtlichen Richter, war typisch für regionale Bürogebäude der Regierung des Staates Oklahoma. Die Rentenbehörde war dort untergebracht, die Veteranenbehörde, die Anti-Drogen-Behörde DEA, dazu das Büro für Alkohol, Tabak und Schusswaffen sowie Rekrutierungsstellen der US-Armee. Die Bombe explodierte um 9.02 Uhr. 90 Minuten später wurde McVeigh festgenommen. Ein Highway-Trooper stoppte ihn auf der Autobahn, sein gelber Mercury Marquis hatte kein Nummernschild. McVeigh war bewaffnet. Auf seinem T-Shirt stand, der „Baum der Freiheit“ müsse gelegentlich durch das „Blut von Patrioten und Tyrannen erneuert werden“. McVeigh sei sehr höflich gewesen, sagte der Beamte, der ihn festgenommen hatte, später vor Gericht.
Timothy McVeigh, aufgewachsen in Pendleton im Norden des Staates New York, war unterwegs auf der amerikanischen Verliererstraße. Sein Vater arbeitet in einer Fabrik für Autozubehör. Seine Mutter, „Mickey“ gerufen, verließ die Familie, als Tim zehn Jahre alt war. Viel gab es nicht zu tun. Schon als Teenager übte der Junge das Schießen, der Großvater schenkte ihm sein erstes Gewehr. Nach der Schule und einigen Jobs fand McVeigh 1988 vorübergehend ein Zuhause in der Army und zog mit in den Irak-Krieg, Anfang 1991. Zeitweilig habe sich aus seiner Einheit der Personenschutz für General Norman Schwarzkopf, den Kommandeur der Operation „Wüstensturm“, rekrutiert, steht in der McVeigh-Biografie All-American Monster von Brandon Stickney. McVeigh erhielt Auszeichnungen und brachte es schnell zum Sergeant, aber nicht weiter. Er scheiterte am Aufnahmetest für das Elitestreitkorps der „Green Berets“. Ende 1991 quittierte McVeigh den Dienst, offenbar unzufrieden mit sich und der Welt.
Der Republikaner George H.W. Bush war damals Präsident und sollte 1992 gegen Bill Clinton verlieren, den jungen Mann aus Arkansas. McVeigh driftete nach rechts und schrieb Anfang 1992 in einem Leserbrief an seine Lokalzeitung Union-Sun & Journal: „Der ‚amerikanische Traum‘ der Mittelklasse ist fast verschwunden.“ Dann in Großbuchstaben: „AMERIKA IST IM SCHWEREN NIEDERGANG.“ Schließlich die Fragen: „Steht ein Bürgerkrieg bevor? Müssen wir Blut vergießen, um das gegenwärtige System zu reformieren?“
McVeigh habe viel gelesen in der Army, schrieb Biograf Stickney. Militärhandbücher, Magazine über Schusswaffen und den in extrem rechten Kreisen beliebten Roman The Turner Diaries, in dem ein einsamer Held gegen die korrupte Herrschaft liberaler, jüdischer und schwarzer Politiker vorgeht und einen Guerillakrieg „gegen das System“ anzettelt. Amerika solle wieder ein weißes Land werden. In der Army hatte McVeigh den etwas älteren Terry Nichols kennengelernt, einen Gleichgesinnten und Schusswaffenliebhaber. Nichols sollte McVeigh beim Bau der Bombe helfen; Letzterer wurde für den Massenmord von Oklahoma City zum Tode verurteilt und 2001 im Hochsicherheitsgefängnis Terra Haute (Indiana) vor den Augen von Überlebenden des Anschlages hingerichtet. McVeigh habe sich sein Schicksal selber gewählt, erklärte seinerzeit Präsident Bush. Nichols bekam lebenslänglich ohne Aussicht auf Bewährung und lebt heute im Maximum-Hochsicherheitsgefängnis von Florence (Colorado), wo viele Häftlinge 23 Stunden am Tag in ihren Zellen eingesperrt sind.
Total ungewöhnlich waren McVeighs Gedanken nicht Anfang der 1990er. Unter der Oberfläche schwelte rechtsextreme Unruhe, mancherorts mit Hang zum Paramilitärischen. Die Regierung werde den Bürgern ihre Waffen wegnehmen, fürchtete man. Eine „Einweltregierung“ drohe. Die Trilaterale Kommission kontrolliere die USA hinter den Kulissen. Präsident Clinton habe das Militär unter das Kommando der UNO gestellt. Die Rede war von nicht weiter markierten schwarzen Hubschraubern und Konzentrationslagern.
Mancherorts in den USA taten sich selbst ernannte Milizen zusammen. Schwer abzuschätzen, ob das frustrierte Männer waren, die gern Krieg spielten, oder gewaltbereite Extremisten. Auch wenn manche nur Krieg spielten: Die Waffen waren echt. McVeigh reiste Mitte März 1993 nach Waco in Texas, auf dem Pkw einen Sticker mit der Aufschrift: „Ein Mann mit einem Gewehr ist ein Bürger, ein Mann ohne Gewehr ein Untertan“.
Unweit von Waco schienen die Ängste mancher Rechter wahr zu werden. Das FBI und Sicherheitskräfte belagerten das Hauptquartier der Branch-Davidians-Sekte. Mitglieder dieser Endzeitgruppe hatten auf Mitarbeiter des Büros für Alkohol, Tabak und Schusswaffen gefeuert, die einen Durchsuchungsbeschluss vollstrecken wollten wegen des Verdachts auf unerlaubten Waffenbesitz. Vier Beamte und sechs Davidianer kamen ums Leben. Am 19. April 1993 dann die Apokalypse in Waco: Nach 51 Tagen stürmte das FBI das Hauptquartier, ein Feuer brach aus (die genauen Umstände blieben unklar), mehr als 70 Sektenmitglieder starben. Zwei Jahre später auf den Tag genau wurde McVeigh zum Massenmörder. In Interviews nach einer Festnahme gab er Auskunft über seine Motive. Von Bedauern war nichts zu spüren. Er habe so unbarmherzig zuschlagen wollen wie die Regierung selber.
Bis heute gelten McVeigh und Nichols in der allgemeinen Erinnerung als Einzeltäter, was McVeigh, der sich als aufrechter Kämpfer sah, offenbar gern akzeptiert hat. Die FBI-Sondereinheit OKBOMB will bei den Ermittlungen mehr als 28.000 Interviews geführt und keine Hinweise auf Komplizen gefunden haben. Die Milizen selbst sind unterschiedlich umgegangen mit Oklahoma City. Manche schienen schockiert, dass jemand die regierungsfeindliche Rhetorik auf so blutige Weise ernst genommen hatte. Die Vorstellung von der Regierung als Feind und einer Verschwörung der Elite gegen das patriotische Amerika hat sich gehalten. Sie bekam Auftrieb, als Barack Obama 2008 zum Präsidenten gewählt wurde. Man distanzierte sich von offener Gewalt, spielte aber bis in den „respektablen“ Schusswaffenverband NRA hinein mit dem Gedanken, Waffen seien letztlich die Garantie gegen die nach Macht greifende Regierung.
Donald Trumps Wahlsieg hat das rechte Narrativ bedient. Trotz der angeblich mächtigen Elite ist mit ihm ein Mann Präsident, der sich über diese Elite und den „deep state“ beschwert, gegen „die Medien“ hetzt, den Schusswaffenbesitz feiert, Ausländer fernhalten will und 2017 nach dem Nazi- und Milizenaufmarsch in Charlottesville (Virginia) von „sehr guten Leuten“ sprach, die auf „beiden Seiten“ anzutreffen seien, bei den Rechten wie den Gegendemonstranten.
Die Corona-Katastrophe zerschlägt mutmaßliche Gewissheiten. Trump und seine America-First-Freunde machen China verantwortlich, doch das Feindbild ist nicht griffig. Das FBI hat laut örtlichen Medienberichten Ende März im Bundesstaat Missouri bei einer Festnahme einen 36-jährigen Mann erschossen. Er habe geplant, mit einer Autobombe ein Krankenhaus zu zerstören und inmitten der Corona-Krise eine große Zahl von Menschen umzubringen. Die Verdachtsperson sei motiviert gewesen von Rassismus und einer regierungsfeindlichen Haltung, hieß es.
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