Alcatraz: Aus dem Hochsicherheitsgefängnis gab es kein Entrinnen
Zeitgeschichte 1963 entscheidet US-Justizminister Robert Kennedy, die Vollzugsanstalt zu schließen. Begründung: zu teuer. Der inhumane Strafvollzug war weniger ausschlaggebend für diesen Schritt
„Sicherer als San Francisco“: Blick von der Insel, 1956
Foto: Getty Images
Nirgendwo sonst gibt es so viele Strafgefangene wie in den USA, derzeit rund zwei Millionen. Die Gesellschaft zeigt eine Härte, die in Deutschland nicht vorstellbar ist. Das Hochsicherheitsgefängnis Alcatraz auf der gleichnamigen Felseninsel in der Bucht von San Francisco war einst ein berüchtigtes Modell. In Spielfilmen, unter anderem Der Gefangene von Alcatraz von 1962 mit Burt Lancaster, Flucht von Alcatraz, gedreht 1979 mit Clint Eastwood, und Fels der Entscheidung von 1996 mit Sean Connery, begegnen sich Schwerverbrecherromantik und Unmenschlichkeit.
Vor sechzig Jahren, am 21. März 1963, ließ Justizminister Robert Kennedy das Gefängnis schließen. Die letzten 27 Gefangenen wurden in andere Haftanstalten verlegt. Die Kinowochenschau zeigte Bilder von M&
Kinowochenschau zeigte Bilder von Männern in Handschellen und Fußketten auf dem Weg zur Fähre „Warden Blackwell“, die sie abtransportierte. Wächter mit Gewehren passten auf. Heute besuchen Touristen die rund acht Hektar große Insel mit spektakulärer Aussicht auf die Golden-Gate-Brücke und die Stadt San Francisco. Absolut ausbruchsicher sollte die 1934 eröffnete Anstalt für etwa 300 Häftlinge sein. Die Strömung rings um die Insel war zu stark und das Wasser zu kalt für eine Flucht. Für die Schlimmsten sei Alcatraz reserviert, hieß es, für Mörder und Bankräuber, für Gangster wie Al Capone, George „Machine Gun“ Kelly und Robert Stroud, den legendären „Birdman“ (Vogelkundler), die dort zeitweilig einsaßen. Nach Alcatraz kamen Männer, die aus anderen Gefängnissen ausgebrochen waren. Alles war auch ein Stück PR – die Regierung wollte „gesetzestreuen Bürgern vermitteln, dass sie es ernst meinte mit der Verbrechensbekämpfung“, steht in einer offiziellen Geschichte des Gefängnisses.Robert Luke landete von 1954 bis 1959 in Alcatraz nach einem Banküberfall und einem Ausbruchsversuch in Kansas. Eine Zeit lang hat er auf dem nach 1963 zum Tourismusort umfunktionierten Gelände Besucher unterhalten mit Geschichten von damals. Alcatraz bedeutete Kontrolle, sagte er. Das Ausmaß sehe man in den Verhaltensvorschriften, den „Rules & Regulations“, die bis ins letzte Detail alles regelten: zwei Briefe schreiben pro Woche, am Muttertag einen extra an die Mutter. Zu Weihnachten waren vier Karten erlaubt. Was man auf dem Teller hatte, war aufzuessen ohne Widerrede. Laute Gespräche blieben verboten. Unmittelbar nach dem Aufstehen musste man das Bett machen. Ein Besucher pro Monat durfte kommen zur Besuchszeit zwischen 13.30 bis 15.10 Uhr an Wochentagen.Einmal habe er aus Frust in seiner Zelle randaliert, Strafe waren 29 Tage Dunkelhaft, berichtete Robert Luke. Er habe Brot und Wasser bekommen und jeden dritten Tag eine Kartoffel. Ein Loch im Fußboden sei die Toilette gewesen. Die normalen Einzelzellen in Alcatraz waren in etwa so groß wie der Stellplatz für einen Pkw, ausgestattet mit Waschbecken, Toilette, Matratze, Regal, Klapptisch und Stuhl. Die Männer verbrachten einen Großteil des Tages in den Zellen. Arbeiten in der Küche, beim Putzen oder in einer Werkstatt galt als Begünstigung. Zweimal im Monat wurde ein Film gezeigt, an Wochenenden war Hofgang auf einem Betonplatz. Und man durfte in die Gefängnisbücherei.Insider-Beschreibung von AlcatrazRobert Kennedy machte Alcatraz wegen der hohen Kosten dicht. Die Witterung hatte dem Gefängnisbau zugesetzt, die Feuchtigkeit, das Salzwasser. Der Betrieb pro Häftling war dreimal so teuer wie der in anderen Vollzugsanstalten. Lebensmittel, Wasser, Ausrüstung, alles für das tägliche Leben musste per Boot gebracht werden. Rund 60 Familien der Wärter wohnten auf der Insel, darunter Jolene Babyak, die als Kind dorthin kam. In ihren Erinnerungen Eyewitness on Alcatraz schreibt sie über eine idyllisch anmutende Zeit. Ihr Vater habe nicht von seiner Arbeit gesprochen, stattdessen immer wieder erklärt, Alcatraz sei sicherer als San Francisco. Manche Bewohner hätten nicht einmal ihre Wohnungen abgeschlossen.Eine Insider-Beschreibung der Haftanstalt lieferte der Ingenieur und Kommunist Morton Sobell, 1951 zu 30 Jahren Haft verurteilt als „Atomspion“ für die Sowjetunion, zusammen mit Ethel und Julius Rosenberg, die 1953 in New York hingerichtet wurden. Sobell wurde im November 1952 nach Alcatraz verlegt, steht in seiner Gefängnisakte. Dies geschah wegen eines gravierenden Verbrechens, bei dem er Geheimnisse verraten habe an den „Feind, der eines Tages Millionen freiheitsliebende Menschen zerstörten könnte ...“ Als Verräter und Spion brauche es bei Sobell die „maximale Haft“. Er sei für seinen ersten Job zum Wachsen und Bohnern des Speisesaals eingeteilt worden, schrieb Sobell in seinen Erinnerungen On Doing Time (1974). Bessere Jobs gab es in den Werkstätten, wo die Männer Besen, Kleiderbügel und Bodenbeläge für Postämter herstellten. Das Essen sei ausreichend gewesen sein, sogar mit Salat und Gemüse. Die Männer speisten an gemeinschaftlichen Tischen; Wärter zählten nach der Mahlzeit die Gabeln und Löffel. Messer gab es nicht.Placeholder image-1In der Zelle habe er, so Sobell, bis zum Ausschalten der Beleuchtung um 21.30 Uhr gelesen. Ersehnt sei die Zeit auf dem Hof gewesen, obwohl es dort oft kalt, windig und neblig war. An sonnigen Tagen habe er von einer Treppe die Golden-Gate-Brücke sehen können. „Es war grandios.“ Der Anblick habe seiner Stimmung gutgetan.Viele Männer auf Alcatraz waren laut Sobell erdrückt von den Zuständen. Alcatraz war sein drittes Gefängnis. Was er antraf, habe er nirgendwo so erlebt. „Die Männer machten einen so niedergeschlagenen Eindruck wie in einer Grabstätte für lebende Seelen.“ Er habe die ganze Zeit gelesen, „sonst hätten meine Gedanken verrückt gespielt“. Bücher seien die einzige Zuflucht vor „dem inneren Aufruhr gewesen, der mich sonst überwältigt hätte“. In den Medien wurde stets viel über gescheiterte Ausbruchsversuche aus Alcatraz berichtet. Zum tödlichsten kam es im Mai 1946. Sechs Gefangene nahmen mehrere Wärter als Geiseln. Drei Häftlinge und zwei Bewacher starben. Zwei Teilnehmer des Fluchtversuchs wurden zum Tode verurteilt und in einer kalifornischen Gaskammer hingerichtet.Supermax-Bundesgefängnis Florence ist „Alcatraz in den Rockies“Morton Sobell verbrachte fünf Jahre in Alcatraz, bevor er verlegt und 1969 aus der Haft entlassen wurde. Er starb 2018 im Alter von 101 Jahren. „Atomspion“ war er keiner. Verurteilt wurde er wegen „Verschwörung zur Spionage“ bei seiner Tätigkeit in der General Electric Company während der 1940er Jahre. Auf der ganzen Welt haben später Menschen Freiheit für Sobell gefordert. In einem Interview mit der New York Times nahm Sobell 2008 erstmals davon Abstand, seine totale Unschuld zu beteuern. Er habe der Sowjetunion Information über defensives Material geliefert, doch das sei ein „großer Unterschied zu Sachen, die benutzt werden könnten, um unser Land anzugreifen“.In den 1960er Jahren forderten immer mehr US-Menschenrechtsaktivisten einen humaneren Strafvollzug, bei dem es auch um Rehabilitierung gehen sollte. Doch sind die Gefängnisse bis heute nicht allzu weit von Alcatraz entfernt. Als eines der schlimmsten und gefährlichsten gilt das Supermax-Bundesgefängnis Florence (Colorado) am Fuß der Rocky Mountains, das „Alcatraz in den Rockies“. Die Einzelzellen sind aus Beton und Stahl, die Männer verbringen darin 22 oder 23 und manchmal 24 Stunden am Tag. Das Fenster ist zehn Zentimeter breit. Menschlicher Kontakt ist auf ein absolutes Minimum reduziert. Wie in den meisten US-Gefängnissen sind Isolationszellen üblich. Nach Angaben des Menschenrechtsverbandes solitarywatch.org verbüßen in den nationalen und Gefängnissen der Bundesstaaten gut 75.000 Menschen ihre Strafen in Einzelhaft, Zehntausende mehr als in örtlichen Gefängnissen.Die touristische Tour nach Alcatraz, Fähre inklusive, kostet 50 Dollar. Kindertickets sind billiger. Man solle zweieinhalb Stunden einplanen, heißt es auf der Website der Tourbetreiber. Alcatraz-Enthusiasten könnten eine längere Tour buchen, die extra kostet.