An der Wiege der Seuche

USA Wegen der Schweinegrippe steht die heimische Mastindustrie im Kreuzfeuer. Doch die Kritik ficht sie kaum an, denn in Asien warten neue Märkte

Ob die Schweinegrippe beziehungsweise die Influenza H1N1 so schlimm wüten wird, wie die U-Bahnpassagiere mit den Gesichtsmasken in Washiungton befürchten? Die Amerikaner ­waschen die Hände im Wechselbad von virusbedingten Schulschließungen, Pandemie-Panik und den Analysen der Gesund­heitsbehörde Centers for Disease Control (CDC). Aus denen geht hervor, dass man vieles einfach noch nicht weiß. Um die Verwirrung anzuheizen: Am vorigen Wochenende berichteten kanadische Behörden, ein grippekranker Bauer aus der Provinz Alberta habe vermutlich nach einer Mexiko-Reise seine Schweineherde angesteckt.

Auf jeden Fall geht der Schweinefleischkonsum in den USA und in Mexiko zurück, obwohl man Schweinegrippe nicht von Rippchen und Bratwurst bekommt. Die Schweinefarmer hätten eine „schwere Woche“ erlebt, bedauerte National Hog Farmer, ein Fachblatt der Schweine­industrie. Aber man müsse sich jetzt zusammenreißen, die Sonne werden wieder scheinen.

C. Larry Pope verdient über vier Millionen Dollar im Jahr als Präsident von Smith­field Foods, dem größten Schweineschlachter und Schweinefleischvermarkter der USA, dem Prototypen der modernen Fleischindustrie. Im Sender CNBC gab sich Pope Anfang Mai irritiert. Der Herrscher über Millionen in Mastanlagen zusammengepferchter Schweinen fühlte sich offenbar missverstanden. Smithfield sei doch bitteschön nicht Schuld am Ausbruch der Schweine­grippe, die ohnehin gar keine Schweine­grippe sei, denn das betreffende Virus sei noch in keinem einzigen Schwein gefunden worden! In einem Schreiben an die mehr als 50.000 Beschäftigten bei Smithfield ­beklagt Pope, dass die Öffentlichkeit „bombardiert“ werde von „unbegründeten Meinungen, nicht-wissenschaftlichen Aussagen und hemmungslosen Internetmedien“.

Dem Freihandel sei Dank

Die schlechte Presse für Smithfield, das in Westeuropa als Campofrio Food Group tätig ist und im polnischen Poznan als Agri­Plus sowie im rumänischen Timisoara als Smithfield Ferme Megaschlachtereien betreibt, begann mit Zeitungsberichten in Mexiko Anfang April über eine „Epidemie der Atemwegserkrankungen“ in dem Ort La Gloria, unweit einer riesigen Schweinemastanlage, die von einem mexikanischen Konzern und Smithfield Foods betrieben wird. Bewohner klagten seit Jahren über den entsetzlichen Gestank von riesigen Teichen, in denen Kot und Urin der Tiere lagern. Und in La Gloria wurde dann wohl auch der erste mit Schweinegrippe infizierte Menschen gefunden, der sehr fotogene fünfjährige Edgar Hernandez, der sich inzwischen wieder erholt hat.

Die Bewohner von La Gloria können sich bei Bill Clinton bedanken: NAFTA, das von seiner Administration ausgehandelte Nordamerikanische Freihandelsabkommen, trat Anfang 1994 in Kraft und erleichterte US-Investitionen in Mexiko. Smithfield kam schon im gleichen Jahr mit seiner Schlachterei, denn der Standort Mexiko versprach noch weniger Umwelt-, Tierschutz- und Arbeitsschutzrichtlinien als die USA. Dabei war Smithfield in den Staaten durchaus profitabel zurecht gekommen, auch wenn die Umweltschutzbehörde 1997 eine 12,6-Millionen-Dollar-Geldstrafe verhängte – Smithfield hatte in North Carolina Gülle von den Schlachthäusern in die örtlichen Gewässer geleitet. Die Hauptschlachterei des Tycoons, das weltgrößte Schweineschlachthaus, steht in Tar Heel (North Carolina). Dort werden die Schweine mit Gas getötet. Das sei weniger traumatisch, führe zu weniger Muskelstress bei den Tieren, und mache das Fleisch zarter, sagte Firmensprecher Dennis Pittman kürzlich der örtlichen Zeitung The News Observer.

Die Schweinegrippe hat Smithfields Aktien nach unten gezogen, 17 Prozent Verlust in der letzten Aprilwoche. „Ärger“ hat der Konzern auch mit den Gewerkschaften: Smithfield verlor Ende 2008 eine Urabstimmung, die 4.500 Beschäftigten in Tar Heel entschieden sich nach 16 Jahren hartem Arbeitskampf (nach Angaben eines Gewerkschafters waren dabei zuweilen Beamte der Einwanderungsbehörde im Schlachthaus aufgetreten, um „illegale Wanderarbeiter“ festzunehmen), ihre Interessen von der Gewerkschaft vertreten zu lassen.

Vogel- und Schweinegrippe

Die US-Gesundheitsbehörde CDC teilt unterdessen mit, das Virus sei eine ungewöhnliche Kombination aus Schweine- und menschlichen Genen. Tierschützer und industriekritische Wissenschaftler sind nicht überrascht. Wegen der „massiven Konzentration“ der Schlachttiere könnten verschiedene Schweinegrippeviren schnell mutieren und auch auf andere Arten überspringen, warnt Michael Greger, Experte beim Tierschutzverband Humane Society. In den USA stehen derzeit 65 Millionen Schweine in industriellen Mastanlagen, während immer mehr kleine Betriebe ruiniert werden. In North Carolina sei die Zahl der Schweinefarmen zwischen 1986 und 2000 von 15.000 auf 3.600 geschrumpft, berichtet eine Studie der dortigen Duke Universität.

Smithfields Sprecher Dennis Pittman hat vermutlich nicht viel Verständnis für Kritiker der Massentierhaltung. „Wir bieten ein Qualitätsprodukt zu einem vernünftigen Preis an“, gibt er im The News Observer zu verstehen. „Ohne Agrobusiness, wie ich es gern nenne, könnte man das nicht tun.“ Der Verbraucher sei eben finanziell nicht in der Lage, den Schweinebraten beim Bio-Bauern zu kaufen, wo sich die Tiere vor ihrem Tod glücklich im Matsch suhlen.

Smithfield blickt nach Osten: Die chinesische Staatsfirma COFCO hat nach Angaben des US-Wirtschaftsmagazins Forbes im Sommer 2008 fünf Prozent von Smithfield gekauft und den Weg für Ausfuhren in die Volksrepublik geebnet. Inmitten der Schweinegrippepanik zirkulieren in der US-Presse Gerüchte, COFCO wolle Smithfield ganz übernehmen, auch wenn der dementiert. Noch kommen in China die meisten Schweine von Kleinbauernhöfen, doch laut Forbes will COFCO von den amerikanischen Produktionsmethoden lernen. Vielleicht treffen sie sich bald – die Vogel- und die Schweinegrippe.

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