Anklage von Donald Trump: Ihn politisch zu schwächen ist etwas anderes

USA Der Gerichtsfall Donald Trump ist einzigartig, seine Bewegung schwächt es nicht. Die Rolle als kämpferischer Märtyrer gegen das Establishment stärkt seine Position in den Präsidentschafts-Vorwahlen der Republikaner
Ausgabe 15/2023
Der 4. April vor dem Manhattan Court House, einer möglichen Arena des nächsten US-Wahlkampfes um das Weiße Haus
Der 4. April vor dem Manhattan Court House, einer möglichen Arena des nächsten US-Wahlkampfes um das Weiße Haus

Foto: Paola Chapdelaine/Hans Lucas/AFP

Joe Biden ist Präsident, aber die US-Amerikaner kommen nicht los von Donald Trump, die Medien schon gleich gar nicht. Bei Trumps Ankunft zur Anklageverlesung jüngst in Manhattan waren gefühlt mehr Reporter und Kameraleute zugegen als Protestierende und Parteifreunde. Rechtskundige bewerten die Erfolgsaussichten der Klage unterschiedlich. Aus Sicht des abgewählten und nun erneut fürs Präsidentenamt kandidierenden Rechtspopulisten könnte die Anklage hilfreich sein. Wer ins Weiße Haus will, muss erst die Vorwahlen gewinnen. Und ein kämpferischer Märtyrer gegen das Establishment zu sein, das ist bei den heutigen Republikanern kein schlechter Ausgangspunkt.

Natürlich ist außerhalb der Republikanischen Partei die Häme groß. Jahrelang hatte Trump „Lock her up“ gefordert, seine Rivalin Hillary Clinton gehöre eingesperrt. Nun muss er selbst auf der Anklagebank Platz nehmen, es werden Fingerabdrücke genommen. Der New Yorker Bezirksstaatsanwalt Alvin Bragg wirft ihm die Fälschung von Geschäftsunterlagen vor. Der Angeklagte habe Aktivitäten zur Einflussnahme auf die Präsidentenwahl 2016 verbergen wollen, vornehmlich gelte das für eine 130.000 Dollar schwere Schweigegeldzahlung an die Porno-Darstellerin Stephanie Clifford, Pseudonym Stormy Daniels.

Medien sprechen von einem „historischen Ereignis“, weil ein ehemaliger Präsident angeklagt wird – offenkundig funktioniere der Rechtsstaat doch. Die Freude kommt einem bekannt vor. Erinnerungen drängen sich auf an die ebenfalls als „historisch“ gewürdigten Amtsenthebungsverfahren 2019 und 2021 gegen den Politiker, Immobilienunternehmer und Reality-Medienstar. Sie führten ausnahmslos ins Leere. Käme es jetzt zum Strafprozess, würde der sich hinziehen. Die nächste Anhörung mit Trump findet laut Richter Juan Merchan erst im Dezember 2023 statt. In den Wochen nach der Anklageerhebung hielten republikanische Politiker zu Trump, genauso wie sie Lügen von der gestohlenen Präsidentenwahl 2020 mitgetragen haben.

Für seine Anhänger ist die Anklage gegen Donald Trump nichts als eine Verschwörung

Um Glaubwürdigkeit an der Basis zu sichern, verurteilen potenzielle Vorwahlgegner die Anklage als liberale Willkür. Trumps mutmaßlicher Hauptkonkurrent Ron DeSantis, der republikanische Gouverneur von Florida, hat die „Nutzung des Gerichtssystems als Waffe“ gegen Trump verurteilt. Er werde den in Mar-a-Lago (Florida) residierenden Ex-Präsidenten nicht nach New York ausliefern. Donald Trumps Freunde sehen eine massive Verschwörung. Der schwarze Staatsanwalt Bragg werde von Finanzunternehmer George Soros unterstützt. Womit man wieder bei der seit langem erhobenen und in Trumps Welt effektiven Beschwerde über die liberale globale Elite wäre.

Bei Umfragen, was auch immer sie wert sind, liegt Trump vorn in seiner Partei. Stormy Daniels sagte dem britischen Moderator Piers Morgan, die Anklage gegen Trump sei „traurig“, hätten die USA doch diesen Mann zum Präsidenten gewählt. Die sie betreffende Schweigegeldzahlung sei nicht schwerwiegend genug, um Trump einzusperren. US-Gerichte sehen das womöglich anders, so schnell werden sie nicht fertig sein mit Donald Trump.

Ein Sonderermittler befasst sich mit den angeblichen Geheimdokumenten, die Trump in Mar-a-Lago versteckt haben soll. An der Existenz der Papiere gibt es keine Zweifel. Im Bundesstaat Georgia untersucht Staatsanwältin Fani Willis, ob Anklage erhoben werden soll wegen Trumps Bemühungen, das dortige Wahlergebnis zu manipulieren. Bekannt ist sein Telefongespräch mit dem in Georgia für die Auszählung zuständigen Regierungsvertreter Brad Raffensperger: Er solle „11.780 Stimmen finden“ für ihn, für Trump. Ende des Monats beginnt in New York die Zivilklage der Autorin Jean Carroll; sie fordert Schadensersatz, weil Trump sie vor mehr als 20 Jahren in der Umkleidekabine eines Kaufhauses vergewaltigt habe. Trump weist den Vorwurf zurück, Carroll sei ohnehin nicht sein Typ. Strafrechtlich ist die mutmaßliche Tat verjährt.

Was ist mit der juristischen Aufarbeitung des Sturms auf das Kapitol?

Bereits vor einem halben Jahrhundert standen die USA vor der Frage: Was tun mit einem korrupten Ex-Präsidenten? Der Republikaner Richard Nixon trat im August 1974 wegen „Watergate“ zurück. Damit gemeint waren schmutzige Tricks, Abhöraktionen, illegale Parteispenden und Justizbehinderung, zutage gebracht von Enthüllungsjournalisten und bei Kongressanhörungen. Auf seine eigene Art war Nixon geständig. Er fühle große Trauer, sagte er beim Rücktritt. Er habe manches falsch entschieden, aber gemeint, „im besten Interesse der Nation zu handeln“.

Viele Bürgerinnen und Bürger haben Nixon diesen Patriotismus nicht abgenommen, doch er kam ungeschoren davon. Präsident Gerald Ford hat seinen Vorgänger im November 1974 vollumfänglich begnadigt. Ford sprach von dem Geschehenen als einer „amerikanischen Tragödie“, unter die er einen Schlussstrich ziehen wolle, um fortgesetzte Polarisierung zu vermeiden. Jahrzehnte später genoss Nixon wegen seiner Abrüstungsverträge und eines bahnbrechenden Besuches in China 1972 den Nimbus des weitblickenden Staatsmannes.

Über den jetzigen Trump-Ermittlungen schwebt die etwas verblüffende Frage: Was ist eigentlich los mit den Ermittlungen zum trumpistischen Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021, als eine offizielle Bestätigung der Wahl gestoppt werden sollte? Hunderte Teilnehmer der gewalttätigen Aktion sind verurteilt worden. Kongressuntersuchungen haben Trumps zentrale Rolle dokumentiert, aber Generalstaatsanwalt Merrick Garland hat noch keine Anklage gegen Trump erheben lassen.

Steckt ihm Gerald Fords Entscheidung politisch in den Knochen? Bei Trump kommt dazu: Nixon hatte Rückhalt verloren in seiner Partei. Donald Trump nicht. Er ist kein irrlichternder Einzelgänger mit autokratischen Träumen. Trump vor Gericht zu stellen, ist das eine – ihn und seine Bewegung zu schwächen, etwas anderes. Er repräsentiert einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung. Ob US-Amerikaner das Modell Trump wollen, entscheidet sich in Wahlkabinen und nicht im Gerichtssaal. Die Demokraten hoffen: Auch wenn Trump mit seiner Märtyrerrolle bei Republikanern punktet, wird er doch viele demokratische und unabhängige Wählerinnen und Wähler vertreiben.

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