Musiker und Literaturnobelpreisträger Bob Dylan, 80 Jahre alt, der 75-jährige Donald Trump und dessen Nachfolger, der inzwischen 79-jährige Joe Biden, waren jung in den aufregenden 1960er Jahren. Selbst wenn heute viele junge US-Amerikaner progressiver denken und handeln als ihre Eltern und Großeltern: Das Trio der alten Männer zeigt, dass „Generationszugehörigkeit“ nicht viel bedeuten muss. Das spiegelt sich in den gegenwärtigen Zerwürfnissen, von denen das Land politisch beherrscht wird. Auf den jungen Donald hat Dylans The Times They Are a-Changin’ mit der Hoffnung auf eine egalitäre und freiere Zukunft kaum abgefärbt. Eher das, was er offenbar von seinem Immobilienunternehmer-Vater der Gattung „Harter Hund“ über Dominanzstreben mitbekommen hat. Er sei der „klügste und am härtesten arbeitende Mann“ gewesen, den er gekannt habe, erinnerte sich Donald beim republikanischen Parteikonvent 2016, bei dem er zum Präsidentschaftskandidaten gekrönt wurde.
Im Cadillac durch Manhattan
Während Bob Dylan mit Blowin’ in the Wind und dem zornigen Masters of War seiner Generation eine Stimme verliehen hat, wurde Donald im Auftrag seines Vaters Fred auf der Suche nach Deals im Cadillac durch Manhattan chauffiert, wie seine Nichte Mary Trump 2020 in ihrem Buch Zu viel und nie genug: Wie meine Familie den gefährlichsten Mann der Welt erschuf erzählt hat. Der Vater gab dem Sohn 1968 einen hohen Posten im Trump-Unternehmen. Donald hatte an der katholischen Fordham-Universität in New York und an der Wharton Business School in Philadelphia studiert. Landesweit brodelte Opposition gegen den Krieg in Vietnam. Wharton sei „resolut unberührt“ geblieben, heißt es im Buch The Trumps von Gwenda Blair über drei Trump-Generationen, die von der Einwanderung aus Deutschland väterlicherseits und aus Schottland mütterlicherseits über den 1999 verstorbenen Vater Fred bis hin zum Sohn Donald reichen.
Protestiert worden sei in Wharton bestenfalls gegen das Canceln einer Party wegen rüpelhaften Benehmens der Studenten. Donald habe für sich selbst ein Image schaffen wollen, mit Blick auf die gesellschaftliche Oberschicht in Manhattan, der er „verzweifelt“ angehören wollte, schrieb Mary Trump. Beim linken Blick auf die Generation der 1960er wird gern verklärt, dass viele weiße US-Amerikaner die Proteste der Bürgerrechtler und sonstigen sozialen Bewegungen in Wirklichkeit ablehnten. 1968 wurde der Republikaner Richard Nixon zum Präsidenten gewählt. Bei einer Umfrage 1964 befand die Mehrzahl der weißen New Yorker, die Bürgerrechtsbewegung gehe zu weit.
Vater Fred Trump konnte pragmatisch sein. Er spendete an demokratische Politiker, die in New York City das Sagen hatten. Fred suchte Begünstigungen für Tausende von Wohnungen und Reihenhäusern. Donald und Fred wurden 1973 wegen Rassendiskriminierung beim Vermieten verklagt. Donald bestritt die Vorwürfe. Es kam zu einem Vergleich, und die Trumps mussten in Schwarzen-Zeitungen Reklame-Anzeigen drucken. Dabei hatte Fred Trump offenbar eine einschlägige Vergangenheit. Laut New York Times wurde er 1927 bei einer gewalttätigen Kundgebung des Hassverbandes Ku Klux Klan im Stadtteil Queens vorübergehend festgenommen. Sohn Donald behauptete 2015, das sei nie passiert.
Bob Dylan wurde Anfang der 1960er Jahre in den Kaffeehäusern, Schallplattenläden und Clubs von New Yorks Greenwich Village zum Leitstern der Musikszene. Er sei „eine Kreuzung aus Chorknabe und Beatnik“, stand in einem Zeitungsfeature. Folksänger Pete Seeger schrieb an seinen Vater, es gebe wohl keinen Songwriter, der Dylans „unabhängiger Originalität“ das Wasser reichen könne. Dylan sang auch für den schon damals legendären Folksänger und linken Politaktivisten Woody Guthrie – viele Jahre Kolumnist der KP-Zeitung Daily Worker –, der wegen seiner Huntington-Krankheit nicht mehr auftreten konnte (Hey, hey Woody Guthrie, I wrote you a song), im Krankenhaus lag und 1967 verstarb.
Guthrie, Autor von This Land Is Your Land, hatte Anfang der 1950er Jahre in New York in einem Trump-Mietshaus gewohnt. Der britische Amerika- und Literaturwissenschaftler Will Kaufman fand den Mietvertrag vor mehreren Jahren im Archiv des Woody-Guthrie-Zentrums in Oklahoma mit den Unterschriften von Fred Trump und Woody Guthrie. „Keine Paarung könnte unwahrscheinlicher sein“, kommentierte Kaufman im Magazin theconversation.com. Guthrie verfasste ein wütendes Lied mit dem Titel Old Man Trump über die Wohnanlage „Beach Haven“. Der alte Trump habe Rassenhass verbreitet, im Lied hieß es: „Beach Haven ist Trumps Turm, wo keine schwarzen Leute kommen dürfen. Nein, nein, Old Man Trump …“
Nancy Pelosi ist 81
Joe Biden wuchs rund 200 Kilometer entfernt von Manhattan auf, in der Industriestadt Scranton in Pennsylvania und in einem Vorort von Wilmington in Delaware. Bidens irische Vorfahren kamen Mitte des 19. Jahrhunderts nach Amerika, zu einer Zeit, als katholische Iren in den vom Protestantismus geprägten USA Bürger zweiter Klasse waren. Die Iren wählten demokratisch und hofften bescheiden. Im Wahlkampf 2020 sprach Biden über Berufswünsche damaliger Altersgenossen: Polizist, Feuerwehrmann, Priester. Die 1960er, sofern man damit Protestbewegungen meint, sind irgendwie an Biden vorbeigegangen. „Andere Leute sind marschiert“, soll er 1987 auf die Frage geantwortet haben, wo er seinerzeit gewesen sei. Man hatte ihn 1972 im Alter von 29 Jahren zum Senator von Delaware gewählt. Er vertrat einen kleinen Staat an der Ostküste, Hauptquartier des Chemiekonzerns Dupont und wegen freundlicher Gesetze Sitz vieler Banken.
Heute wirkt Biden wie ein Demokrat aus einer anderen Zeit, der glaubt, die weiße Arbeiterschicht zu verstehen und durch Kompromisse mit den Republikanern regieren zu können. Im Wahlkampf 2020 wurde er wegen der Aussage kritisiert, er habe in den 1970er Jahren auch mit Befürwortern der Rassentrennung zusammengearbeitet. Man sei selten einer Meinung gewesen, „doch wir haben etwas zustande gebracht“. Bidens Generation demokratischer Politiker fällt es offenkundig so schwer wie der britischen Königin Elisabeth, das Zepter an Jüngere zu übergeben. Es wird sogar spekuliert, dass Biden 2024 noch einmal kandidiert. Allerdings sind auch andere Politiker aus der demokratischen Führungsetage gehobenen Alters. Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses, ist 81. Entscheidend bleibt, dass die Wählerinnen und Wähler das Gefühl haben müssen: Es hat sich gelohnt, Joe Biden zu wählen.
Bei den Demokraten ist die Kernwählerschaft ziemlich jung, weniger weiß als zu Zeiten des Senators Biden. So manche junge US-Amerikaner erleben, dass für sie das amerikanische Wirtschaftsmodell nicht funktioniert. 2020 haben laut Nachwahlbefragung 60 Prozent der Wähler zwischen 18 und 20 für Biden gestimmt. Bei den Senioren über 65 waren es 47 Prozent. Junge Menschen treiben fortschrittliche Bewegungen von Black Lives Matter bis Klimaschutz und Mindestlohn an. Alter ist nicht automatisch verbunden mit „konservativ“ – siehe Bernie Sanders, der ebenfalls so alt ist wie Bob Dylan –, nur sieht die Realität junger Progressiver anders aus als die eines 80-Jährigen, der als junger Mensch nicht demonstriert hat. Die Generation Biden hat im wachsenden Wohlstand nach dem Zweiten Weltkrieg und später erlebt, dass der Kapitalismus für sie funktioniert.
Die Generation der Trump-Republikaner von heute prägt ein an Macht orientierter Nihilismus – von einer „Nach uns die Apokalypse“-Haltung zu Klimawandel und Demokratie bis hin zum Covid-Leugnen. Demokratiefeindliche Ausschreitungen wie die am 6. Januar 2021 beim Sturm auf das Kapitol wurden zur Normalität in Donald Trumps Partei. Dass man sich nicht an politische Spielregeln und rechtsstaatliche Prinzipien hält, passt zu den Trumps, denen es um sich selbst, um Bewunderung, Macht und Geld geht.
Und der heute als enigmatisch eingestufte Bob Dylan? Er hat die Rechte an seinen Liedern dem Konzern Universal Music Publishing Group verkauft. Und ist ins Werbegeschäft eingestiegen, unter anderem für Chrysler, IBM und vor gut einem Jahrzehnt für Pepsi. „Every Generation Refreshes the World“ („Jede Generation erfrischt die Welt“) verkündete der Pepsi-Spot. Im Film singt der junge Dylan Forever Young – für immer jung.
Kommentare 6
Wer frei von Widersprüchen ist, werfe den ersten Stein ... oder das erste Wattebäuschchen.
Bob Dylan soll auch schon zu Zeiten des Vietnamkriegs Aktien von Dow Chemical besessen haben. Wodurch haben die sich in den 1960ern und frühen 1970ern ein goldenes Näschen verdient? Genau. Agent orange. Ein Entlaubungsmittel.
Für den Hinweis zum Thema 'Generationenzugehörigkeit' ergebenen Dank. Er wird vermutlich nur die erreichen, die es eh schon wissen - oder bereit sind, sich verunsichern zu lassen.
Wenn ich auf bekannte Personen meines Geburtsjahrgangs schaue, müsste ich den Strick aus dem Keller holen und mich erschießen. Mache ich aber nicht. Ich erfreue mich meiner ANDERSartigkeit.
>>Und der heute als enigmatisch eingestufte Bob Dylan? Er hat die Rechte an seinen Liedern dem Konzern Universal Music Publishing Group verkauft. Und ist ins Werbegeschäft eingestiegen, unter anderem für Chrysler, IBM und vor gut einem Jahrzehnt für Pepsi.<<
Das ist kapitalistische Normalität. Der angeliche Arbeitersänger Bruce Springsteen (72) verkaufte kürzlich seine Songrechte für ca. 500 Millionen Dollar an Sony. Gut, deutsche Popsänger kriegen das nicht hin. Es gibt jedoch genügend Politiker, die in den 60ern und 70ern kommunistisch gedacht haben und heute Nato-konform den US-Kapitalismus und dessen Vasallen verherrlichen.
Auch im Artikel wird klar: Eine Generationenfrage also solche scheint nur ein soziologisches Produkt zu sein, an dem sich die Politik gerne delektiert, wenn es darum geht, soziale Einschnitte zu rechtfertigen.
Auch die FFF-Bewegung wird sich einfangen lassen und in bürgerlichen Parteien Karieren anstreben, falls einige politisch aktiv bleiben sollten. Ansonsten wird ihnen der Markt für diverse berufliche Laufbahnen offen stehen. Irgendwann reift die "Erkenntnis": Es war ja nicht so gemeint.
Wahrscheinlich ist es einfach vorteilhaft für die Karriere in der oberen Mittelschicht in der Jugend auf irgendeine Art ein bisserl rebellisch gewesen zu sein. Die in der Jugend schon farblos-Angepassten kommen meistens nicht so weit.
---
Zu FfF: Eine Mehrheit wird sicher diesen vorgezeichnteten Weg gehen. Eine (kleine) Minderheit, die weiter denkt könnte sich möglichweise zu Exponenten einer noch entstehenden neuen Opposition weiterentwickeln. Aber das wäre ja auch eine Art Karriere, eben eher nach der Art von Friedrich Engels ;-)
Das Problem der Nonkonformen (das sich allerdings für die Rechten ganz anders stellt als für die Linken): in der Dauerdissonanz von Wunsch und Wirklichkeit zu stehen. Das zermürbt und führt bei vielen zur Resignation oder Anpassung ans System, bei manchen zur Überanpassung. Und der Dauerstress führt zu Verhärtungen, so daß oft Veränderungen der Wirklichkeit nicht mehr registriert werden, der Kampf sich ritualisiert, etwas Donquichotteskes annimmt. Dylan war intuitiver Revolutionär, mehr von der Jugend der Welt getragen als von der amerikanischen Gesellschaft, er erkannte früh die Aussichtslosigkeit der outlaw-Haltung in ihr, hat den revolutionären Gestus in der euphorischen Phase, als alles möglich schien, zum Markenkern BD gemacht, dann den Revolutionär in die Requisitenkammer zurückgestellt und sich dazu bekannt, Entertainer zu sein und nichts anderes sein zu wollen. Auf diese Weise mußte er sich nicht ganz aufgeben. Auf seine Weise hat er sich gebogen, um nicht zu brechen oder im Club 27 zu enden. Und dauerhaft Erfolg und eine ultimative Ehrung erreicht. Aber BD ist ein Unikat.
Biden steht für die optimistischen Etablierten der Gesellschaft, Trump für die Loser, die underdogs, die es dennoch schaffen (bzw einen von ihnen finden, der es den feinen Herren einmal zeigt). Die Linke ist fast überall auf der Welt perspektiv- und sprachlos geworden, aber auf Werbung mit dem jugendlichen Zauber wollen die Saturierten und die Frustrierten doch nicht verzichten.
"Jede Generation folgt in erster Linie der eigenen zeitgeistlichen Tendenz."
Ich bin mir da nicht so sicher wie Sie.
Als jemand, der Rand-68er war, meine ich mich daran erinnern zu können, dass die 68er real niemals jener monolithische Block waren, als der sie medial häufig dargestellt wurden. Der damalige Konformismus besaß halt andere Merkmale als der früherer - oder auch späterer - Zeiten.
Ich habe in 'meiner' Generation neben den Vertretern der 'long hair, blue jeans' , später 'sex and drugs and rock'n roll' auch andere Gruppierungen erlebt. Zum Glück. Wen hätte ich sonst herausfordern, provozieren, mit wem mich streiten können? In den 1970ern und frühen 1980ern musste Vielfalt nicht erst explizit herbeigeschrieben und mit bunten, funkelnden Etiketten behangen werden. Sie wurde gelebt - und zeigte sich.
Es ist immer problematisch, eine Zeit aus der Rückschau betrachtet mit einer anderen zu vergleichen, in der man gerade lebt. Die Verklärung der 'guten alten Zeit' ist immer mit Vorsicht zu genießen, Novalis (In der Ferne wird alles zur Poesie) wusste das.
Auf alle Fälle hilft es heute lebenden jungen Erwachsenen wenig, stets verklärte Berichte von damals heruntergeleiert zu bekommen. Darüber zu reden, kontrovers und ergebnisoffen zu reden, könnte hilfreich sein.
Mein Beitrag dazu: ich habe die Zeit von 1965 bis 1985 als eine kämpferische erlebt. Jammern, Wehklagen und Opfer-Rankings erinnere ich nicht in ausgeprägtem Maße. und #s habe ich nicht vermisst.
Ich knabbere an Ihrem Schlußsatz.
Die Nennung 'Die Linke' und 'Jugendlicher Zauber' in zwei Halbsätzen irritiert mich, weil sie eine Nähe suggeriert, die ich seit langem nicht mehr erkenne.
Dass Die Linke sprachlos geworden sei, teile ich nicht. Linke sabbeln genauso mit wie alle Anderen, finden aber - aus welchen Günden auch immer - nicht mehr früheres Gehör.
Der Aspekt der Überforderung (wissenschaftlich schon mal von Relevanz) könnte weiterhelfen beim Verstehen.
Mir vergeht zusehends die Lust am Reden und Schreiben. Die Abgrenzung von fremdmotivierten Auftragsschreibern aller Art und Hohlköpfen wird immer anstrengender. Ich nähere mich dem Satz "Sollen Sie doch an ihrem eigenen Gesülze ersticken."
° _ °