Bulldozer ohne Bremsen

USA Die Architekten des Irak-Krieges sitzen fest im Sattel, die Demokraten werden als "nationale Minderheit" belächelt

Die republikanischen Wahlsieger genießen ihrem Triumph. Präsident George W. Bush konsolidiert seine Macht. Wer in den vergangenen vier Jahren nicht hundertprozentig mitgemacht hat, muss gehen oder meldet sich freiwillig zum Abgang. Absolute Loyalität scheint das Hauptkriterium für einen Posten in der zweiten Amtsperiode. Colin Powell ist weg, er hatte den Freunden der USA im Ausland zumindest die Illusion erlaubt, es gebe eine "andere" Stimme in der Regierung. Condoleezza Rice, die bisherige Sicherheitsberaterin, die am lautesten Amen gesungen hat in der Hymne zum Irak-Krieg, wird ihn beerben Der Washingtoner Bulldozer fährt nun fast ohne Bremsen.

Nostalgie war vergangene Woche angesagt, als Bill Clinton in Arkansas in strömendem Regen seine Presidential Library eröffnete. Sogar George W. Bush kam und hatte Lobendes zu sagen über seinen Vorgänger im Ruhestand. Clinton zeigte sich erkenntlich: Bush sei genauso wie der unterlegene demokratische Kandidat John Kerry ein "guter Mensch". Kerry und Bush sähen die Welt halt mit verschiedenen Augen. In Washington verabschiedete sich Tom Daschle, der bei der Wahl vom 2. November geschlagene Chef der Demokraten im Senat, mit einem Appell an seine Partei, eine "gemeinsame Mitte" zu suchen.

Zu Falludscha nichts Kritisches

Ansonsten sucht man in der Demokratischen Parteiführung vergebens nach Politikern, die den 2. November als Anstoß zu einem gründlichen Neuanfang begreifen. Daschles Nachfolger ist Senator Harry Reid, der oft - etwa bei Abstimmungen über den Irak-Krieg - mit den Republikanern gemeinsame Sache machte. Die Hälfte der demokratischen Abgeordneten votierte gerade für das neue Haushaltsgesetz, das soziale und umweltpolitische Kürzungen vorschreibt. Zur Zerstörung von Falludscha wollte man nichts Kritisches sagen. Joseph Biden, die demokratische Nummer Eins im Außenausschuss des Senats, fand sogar positive Worte für Bushs Nominierung von Alberto Gonzales - bisher Rechtsberater im Weißen Haus - zum neuen Justizminister. Das ist der Gonzales, der die rechtlichen Grundlagen entwarf für Guantánamo, der die Genfer Konvention als "veraltet" bezeichnete und viel dazu beitrug, Folter salonfähig zu machen. So nahm Gonzales 2002 ein Memorandum in Empfang, in dem mitgeteilt wurde, Folter sei nur dann Folter, wenn sie Schmerzen erzeuge, die "in ihrer Intensität vergleichbar (sind) mit Schmerzen, die durch eine schwere Verletzung hervorgerufen werden, wie etwa Organversagen, die Beeinträchtigung von Körperfunktionen oder auch den Tod." Gonzales hatte schon in Texas als Berater von Gouverneur Bush Karriere gemacht; damals war er für die Gnadengesuche bei Todesstrafen zuständig. Aber von Gnade wollte der Boss nichts hören - und Gonzales fand keine Gründe für Gnade.

Kerry, der "verlogene Verräter"

Die Architekten des Irak-Krieges sitzen augenscheinlich fest im Sattel. In der CIA, in der manche Beamte Zweifel angemeldet haben, räumt der neue Direktor Peter Goss auf. Er erwarte, dass die Beamten "die Politik der Regierung unterstützen". Hochrangige Vertreter der Agency treten zurück. Auch im Repräsentantenhaus konsolidieren die Republikaner ihre Macht. Sie schaffen vorsorglich die Vorschrift ab, Parteiführer müssten im Fall eines Strafverfahrens ihre Ämter niederlegen. Das schützt den Parteiführer Tom "The Hammer" DeLay, der in Kürze mit einer Anklage wegen illegaler Geld- und Wahlgeschäfte rechnen muss.

DeLay meinte großzügig, er "verstehe" die "Frustration" der Demokratischen Partei, die sich an ihren Status als "nationale Minderheit" gewöhnen müsse. In rechten Publikationen wird schärfer formuliert: Er sei ganz einfach glücklich, dass bei den Wahlen "ein verlogener Verräter verloren und ein aufrechter Patriot" gewonnen habe, schrieb ein pensionierter Admiral in free republic. Das Volk habe es den linken Medien gezeigt, dem liberalen Hollywood und dem CBS-Nachrichtenmann Dan Rather. Der gehöre in die Hölle. Fernsehprediger Jerry Falwell hielt den Augenblick für gekommen, seine seit Jahren reklamierte "moralische Mehrheit" als "Koalition für Werte und Glauben" wieder zu beleben.

Nach einer CNN-Umfrage Mitte November haben 60 Prozent der Amerikaner ein "positives" Bild von Präsident Bush, der seine Männlichkeit unter Beweis gestellt habe. Eine Studie des US-Landwirtschaftsministeriums im November, wonach sich "zwölf Millionen US-amerikanische Familien" aus finanziellen Gründen Sorgen um das tägliche Brot machen müssten, erregte weniger Aufmerksamkeit als Bushs offenkundiges Bemühen, europäische Vorurteile vom "Cowboy" ein für allemal zu bestätigen. In 3,9 Millionen amerikanischen Familien bleiben Menschen gelegentlich hungrig. Seit 1997 ist in den USA der Mindestlohn nicht erhöht worden. Aber der Präsident hat weitere Steuererleichterungen in Aussicht gestellt.


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