Spione starben vor Sonnenuntergang“, „Atomspione hingerichtet“, so die Schlagzeilen damals. 60 Jahre ist es her seit der Hinrichtung von Ethel und Julius Rosenberg am 19. Juni 1953, einem Freitag, kurz vor Sonnenuntergang eben, wie es hieß. Die Rosenbergs, er Ingenieur, sie Hausfrau, beide Kommunisten, waren Juden. Man habe Rücksicht genommen und den Strom zum elektrischen Stuhl nicht am Sabbat eingeschaltet, so die US-Behörden.
Diese Justizmorde bleiben ein Trauma der US-Linken. Die Suche nach der Wahrheit oder den Wahrheiten ist schwergefallen. Auch weil man eigene linke Geschichte hinterfragen musste. Richter Irving Kaufman behauptete, die Rosenbergs hätten „den Russen die A-Bombe in die Hände“ gespielt; das habe „zur kommunistischen Aggression in Korea geführt, mit mehr als 50.000 Todesopfern“. Und wer wisse, „wie viele Millionen unschuldiger Menschen noch den Preis für Ihren Verrat zahlen müssen“, so Kaufman an die Rosenbergs gewandt. Tatsächlich waren Julius und Ethel Rosenberg keine Top-Atomspione. Das zeigen selbst die beim sogenannten Venona-Projekt von US-Geheimdiensten abgefangenen und Ende der vierziger Jahre entschlüsselten sowjetischen Geheimkommunikationen. Bekannt gewordene Gerichtsunterlagen offenbaren weiter, dass die Staatsanwaltschaft ihre Spionagethese vor Prozessbeginn entsprechend zurechtgebügelt hat. Der Kronzeuge David Greenglass, Ethels jüngster Bruder, selber Mitte der vierziger Jahre Agent für die Sowjetunion, sagte 2001 dem New York Times-Reporter Sam Roberts, er habe vor Gericht gelogen und seine Schwester beschuldigt, um die eigene Frau zu decken. Und wohl auch sich selber zu helfen: Er bekam nur 15 Jahre Haft.
Auf Kommunistenjagd
FBI-Direktor J. Edgar Hoover sprach beim Rosenberg-Prozess vom „Verbrechen des Jahrhunderts“. Es waren die frühen fünfziger Jahre. In Korea standen US-Soldaten nordkoreanischen Einheiten gegenüber und im Kalten Krieg die Zeichen auf Permafrost. Die Sowjets hatten 1949 ihre erste Atombombe gezündet, und in den USA wurden Strahlenschutzbunker gebaut. In Schulen zeigte man Kindern den Zivilverteidigungsfilm Duck and Cover, der mithilfe von Bert, der Schildkröte, erklärte, wie man sich bei einem Atomangriff schützt.
In Washington machten sich Senator Joseph McCarthy und Hoover auf Kommunistenhatz und jagten tatsächliche und vermeintliche „rote Spione“. Verdrängt war die amerikanisch-sowjetische Allianz gegen Hitler. „Onkel Joe“, wie er während des Krieges genannt wurde, mutierte zum Diktator Joseph Stalin. Für den Oscar wurde 1953 der Film Ich war ein Kommunist für das FBI nominiert, ein Streifen über einen FBI-Informanten in einer kommunistischen Parteigruppe in Pittsburgh.
Trotz der feindseligen Atmosphäre und der Veranstaltung eines Schauprozesses gegen die Rosenbergs 1951 in Manhattan – die so lange von vielen Sympathisanten geglaubte und von den Rosenbergs in einem Abschiedsbrief an ihre damals sechs- und zehnjährigen Söhne Robert und Michael vertretene Behauptung der vollkommenen Unschuld lässt sich im juristischen Sinn nicht halten. „Denkt immer daran, dass wir unschuldig sind und nicht gegen unser Gewissen handeln konnten“, schrieben Ethel und Julius wenige Stunden vor ihrer Hinrichtung im Sing-Sing-Gefängnis.
Die von US-Geheimdiensten geknackten sowjetischen „Venona-Dokumente“ entlasten die Rosenbergs zwar von der Atomspionage, lassen aber auch erkennen, dass Julius Rosenberg von 1942 an Kundschafter für die Sowjetunion war. Ethel hat wohl davon gewusst; doch aktiv ist sie nicht gewesen. Julius und Ethel fanden schon als junge Menschen Kontakt zur KP – nichts Ungewöhnliches im von der Depression gezeichneten New York der dreißiger Jahre. Viele glaubten, in der Sowjetunion entstehe eine neue Welt, die auch sie hoffen lasse. Es war seinerzeit keineswegs ungewöhnlich, dass sich KP-Mitglieder in den USA für sowjetische Geheimdienste betätigten. Die US-Spionageabwehr kannte Details dieser Verbindung spätestens seit 1946, als es den eigenen Diensten gelang, die ersten von vielen hundert abgehörten sowjetischen Geheimbotschaften zu entschlüsseln. Man fand Namen und Decknamen. Den Dokumenten zufolge arbeiteten mehr als 300 Amerikaner mit den Sowjets zusammen, so die Historiker John Earl Haynes und Harvey Klehr. Auch Julius Rosenberg, geführt unter den Codenamen Antenna und Liberal. Er hat Moskau mit technischen Rüstungsdaten versorgt und Parteigenossen für die unsichtbare Front rekrutiert, anscheinend auch den späteren Kronzeugen David Greenglass, einen Maschinenschlosser im Los-Alamos-Nationallabor (New Mexico), wo US-Militärs die Atombombe bauten. Beim Prozess gegen die Rosenbergs und den Mitangeklagten Morton Sobell, der 30 Jahre Haft bekam, waren US-Geheimdiensten augenscheinlich die belastenden Venona-Spionagedepeschen über Julius Rosenberg bekannt, aber auch Dokumente, die ihn vom Vorwurf des „Verrats der Atombombe“ entlasteten. Sie wurden nicht verwendet vor Gericht, denn der KGB sollte nichts wissen von den Venona-Entschlüsselungen. Bis 1995 wurden die Dokumente unter Verschluss gehalten; mutmaßlich in den Archiven des Gemeindienstes National Security Agency (NSA) in Fort Meade, wo gerade der Prozess gegen den WikiLeaks-Informanten Bradley Manning stattfindet.
Morton Sobell selber hat sich jahrzehntelang als unschuldiges Opfer einer antikommunistischen Justiz dargestellt. Erst 2008 erklärte der damals 91-Jährige in einem Interview, er und Julius Rosenberg hätten für die Sowjetunion gearbeitet – nicht als Atomspione, sondern als „Lieferanten technischer Rüstungsdaten“. Und Ethel? „Sie wusste, was er getan hat“, so Sobell in der New York Times. „Aber worin bestand ihre Schuld? Dass sie mit Julius verheiratet war“. In einem Leserbrief schrieb Sobell: „Ich habe einem unserer Verbündeten im Zweiten Weltkrieg geholfen (zugegebenermaßen illegal). Ich beschloss, 1950 nicht mit der Regierung zu kooperieren.“
Eisenhowers Unbehagen
Es sind stapelweise Bücher geschrieben worden über die Rosenbergs. Die Söhne Robert und Michael – sie wurden vom Ehepaar Anne und Abel Meeropol adoptiert und tragen nun deren Namen – erreichten unter Verweis auf das Informationsfreiheitsgesetz die Freigabe von FBI-Dokumenten. Michael Meeropols Tochter Ivy drehte 2004 einen Film über ihre Familie: Heir to an Execution („Erbin einer Hinrichtung“), in dem sie mit der Kamera am bescheidenen Wohnhaus von Ruth und David Greenglass vorbeifährt, doch nicht an der Tür klingelt. Sie habe nicht den Wunsch verspürt, ein Urteil über Schuld und Unschuld zu fällen. „Geschichte ist nicht schwarz und weiß“, so Ivy in einem Fernsehinterview. Geschichte werde von Menschen gemacht, und bei der Aufarbeitung seien „Grauzonen am interessantesten und wichtigsten“. Robert und Michael Meeropol kamen zu ihren eigenen Schlussfolgerungen: Ihr Vater habe in den vierziger Jahren „nicht-atomare“ Spionage betrieben, so Robert, doch sei er so wenig wie ihre Mutter Teil eines Spionagerings zum Stehlen des Atomgeheimnisses gewesen. Die US-Regierung habe gewusst, dass Ethel Rosenberg keine Agentin gewesen sei und Julius kein Atomspion. Aber man habe sie trotzdem hingerichtet.
Als der Exekutionstermin im Frühsommer 1953 näher rückte, baten Menschen auf der ganzen Welt um Gnade, auch der Papst, vor allem für Ethel, Mutter zweier Kinder. Doch solange die Rosenbergs nicht aussagten und dem FBI Informationen über Mitwisser gaben, war Gnade nicht vorgesehen. Die beiden Todesurteile sollten Zeichen setzen, schrieb Präsident Dwight Eisenhower an seinen Sohn, obwohl es ihm eigentlich „gegen den Strich“ gehe, eine Frau hinrichten zu lassen. David Greenglass sah das ähnlich: Die Rosenbergs hätten sich retten können, hätten sie nur ausgepackt. Aber das war wohl undenkbar für Ethel und Julius Rosenberg. Und ob es sie gerettet hätte, weiß man letztlich auch nicht.
Konrad Ege schrieb hier zuletzt über die Branch-Davidians-Sekte 1993 in Texas
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