Crash der Fluglotsen

Zeitgeschichte Der Sommer 1981 wird zum Desaster für die US-Gewerkschaften. Präsident Ronald Reagan kennt keine Skrupel. Selten zuvor ist auf einen Streik so aggressiv reagiert worden

Oben in den Musik-Charts der USA standen Diana Ross und Lionel Richie mit dem schmachtenden Endless Love und Kim Carnes mit Bette Davis Eyes. Der Elektronikkonzern IBM brachte den Personal-Computer auf den Markt. In den Kinos wurde Steven Spielbergs und George Lucas’ Raiders of the Lost Ark gespielt. Und in Washington trat der Ex-Schauspieler Ronald Reagan die Hauptrolle an. Das Jahr 1981 sollte für die US-Gewerkschaften ein katastrophal schlechtes werden. Ausläufer des damaligen Bebens sind noch heute zu spüren.

Am Montag, den 3. August 1981, zogen Streikposten vor den Flughäfen auf, ausgestattet mit Schildern, auf denen einfach stand: PATCO. On Strike. PATCO, das war die Professional Air Traffic Controllers Organization, das Syndikat der Fluglotsen. Man war zuversichtlich. Die 14.000 Lotsen hatten mit großer Mehrheit für den Streik votiert nach ewig langen Tarifverhandlungen mit ihrem Arbeitgeber, der Behörde Federal Aviation Administration (FAA). Die Berufsgruppe verdiente seinerzeit zwischen 20.000 und 50.000 Dollar im Jahr – 10.000 sollten es mehr sein. Vorrangig aber ging es um kürzere Arbeitszeiten (32 statt 40 Stunden), bessere Arbeitsbedingungen, eine bessere Altersversorgung. Der Stress im Job sei groß gewesen, „dass es kaum einer bis zum gesetzlichen Rentenalter durchhielt“, erzählt heute Ron Taylor, 1981 Vorstand des PATCO-Verbandes in West Palm Beach (Florida).

Gesicht der Entschlossenheit

Etwa 80 Prozent der Lotsen schlossen sich dem Streik an. Tausende Flüge fielen aus. Eine „außerordentliche Leistung“, diese Solidarität, sagt Taylor. Man müsse sich das mal vor Augen halten: „Das war nicht einfach ein Streik, bei dem man eine zentrale Fabrik stilllegt.“ PATCO habe in der ganzen Nation verstreut arbeitende Fluglotsen mobilisiert. Aber der Mann im Weißen Haus – in seinen Hollywood-Jahren zeitweise Chef der Schauspielergewerkschaft Screen Actors Guild – hatte offenbar beschlossen, bei dieser Gelegenheit auf John Wayne zu machen. Ronald Reagan trug ein Gesicht der Entschlossenheit, als er am ersten Streiktag vor die Kameras trat. Er wolle sich bei all den Fluglotsen und Managern bedanken, die zur Arbeit gekommen waren. Der Streik sei illegal, denn nach dem Gesetz dürften Regierungsangestellte überhaupt nicht streiken. Am Nationalflughafen in Washington sei ein Fluglotse aus der Gewerkschaft ausgetreten, erzählte Reagan den Reportern, weil dieser in den Augen seines Kindes kein Gesetzesbrecher sein wolle. Diese Entscheidung sei doch „ein großartiger Tribut an Amerika“. Und dann sprach Reagan Klartext: Fluglotsen, die nicht innerhalb von 48 Stunden zur Arbeit kämen, hätten keinen Job mehr. Mittwoch, elf Uhr, sei absolute Deadline, soufflierte Verkehrsminister Drew Lewis.

Eine solche Massenentlassung von Regierungsangestellten habe es noch nie gegeben, kommentierte der Historiker Joseph McCartin, Autor eines in Kürze erscheinenden Buches über den Streik der Professional Air Traffic Controllers Organization. Juristisch gesehen habe Reagan recht gehabt, aber selten zuvor reagierte eine Regierung auf solche Konflikte dermaßen aggressiv. „Selbst Nixon hat 1970 niemanden entlassen, als die Postboten in den Streik traten“, so McCartin, obwohl Stabschef Haldeman das empfohlen habe.

Die PATCO-Streiker rechneten offenbar nicht mit Massenentlassungen. PATCO-Präsident Robert Poli warnte Flugpassagiere vielmehr vor großer Gefahr am Himmel, sollten Maschinen trotz des Streiks starten. Die Fluglotsen glaubten, Reagan sei ihnen gewogen. War PATCO doch eine der ganz wenigen Gewerkschaften gewesen, die ihn im Wahlkampf gegen den Demokraten Jimmy Carter unterstützt hatten. Robert Poli erhielt einen freundlichen Brief von Reagan, der zwei Wochen vor der Präsidentschaftswahl im November 1980 wissen ließ, er werde einen „Geist der Kooperation zwischen dem Präsidenten und den Fluglotsen schaffen“. Er wisse um ihre schlechten Arbeitsbedingungen.

Nur ein paar hundert Lotsen folgten ­Reagans Ultimatum, die Arbeit wieder aufzunehmen. Wer weiter streikte, wurde prompt entlassen und bekam lebenslang Berufsverbot. Dutzende Gewerkschafter wurden verhaftet. „Ich erinnere Sie daran, dass Reagan damals die Solidarnosc in Polen hoch gelobt hat“, merkt Taylor 30 Jahre später an. Nur hatte der Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO keinen Magen für einen Konflikt mit dem Weißen Haus. Teilweise aus Eitelkeit, denn AFL-CIO Präsident Lane Kirkland war nicht glücklich über den Alleingang der Fluglotsen, die sich mit ihrer Wahlhilfe für Reagan von anderen Gewerkschaften distanziert hatten. Und es gab Fragen, ob denn ein Streik in diesem Fall wirklich die beste Strategie war. Die PATCO-Picket-Lines wurden ignoriert von Piloten, Flugbegleitern und Flughafenpersonal. „Reagan war seinerzeit sehr beliebt in den USA“, erinnert sich der Historiker McCartin. Er erholte sich eben erst von dem Attentat am 30. März. Kaum jemand verstand zudem PATCOs Beschwerden über den hohen Stress.

Auch galt ein 10.000-Dollar-Gehaltsplus als überhöht. Das Durchschnittseinkommen in den USA lag damals bei 21.000 Dollar. Das Genick gebrochen hat dem Streik allerdings das Vermögen der US-Regierung, ein von PATCO angedrohtes Flugchaos abzuwenden. Manager der Federal Aviation Administration (FAA) übernahmen Lotsendienste, es sprangen Helfer aus Militärflughäfen ein, kleine Kontrolltürme wurden geschlossen. Während der Tarifverhandlungen vor dem Streik hatten die FAA und die Fluggesellschaften Zeit zur Vorbereitung. Letzteren kam der PATCO-Streik sowieso recht gelegen: Jimmy Carter hatte die Industrie dereguliert. Die Gesellschaften durften wenig profitable Strecken streichen und auf nicht ausgelasteten Routen gedrosselt fliegen. Jetzt war das den Fluggästen gegenüber mit dem Streik zu begründen.

Das macht Schule

Hunderttausende PATCO-Unterstützer kamen am 21. September 1981 nach Washington zu einer der größten Kundgebungen in der Geschichte der US-Hauptstadt. Der AFL-CIO hatte zu diesem „Solidaritätstag“ aufgerufen. Redner schimpften über Reagan, dessen gewerkschaftsfeindliche Politik und den vorhersehbaren sozialpolitischen Kahlschlag, doch blieb Kirkland auf Distanz zu den Gesetzesbrechern. Jahre danach drückte Tony Mazzocchi von der Gewerkschaft Öl, Chemie und Atom etwas wehmütig sein Bedauern aus. „Wir haben Ronald Reagan ins Auge geschaut, und gezwinkert. Wären wir stattdessen zum Nationalflughafen gegangen – wir 850.000 – und mit den PATCO-Arbeitern soldarisch gewesen, stünde es heute anders um die Gewerkschaftsbewegung.“ Im Weißen Haus war man in Siegesstimmung. Justizminister Ed Meese meinte hinterher: Rea­gans Entschlossenheit beim PATCO-Streik habe mehr als alles andere im ersten Amtsjahr das Ausland, „inklusive der sowjetischen Führung, überzeugt, dass sie es hier mit einem Schwergewicht zu tun hatten“. Am 22. Oktober 1981 wurde PATCO per Gerichtsurteil aufgelöst. Was Schule machte, sagt Ron Taylor. Wenn eine Regierung vorführt, dass es OK ist, Streikende zu entlassen, nimmt sich die Wirtschaft ein Beispiel. So endet 1986 ein Ausstand gegen den Fleischkonzern Hormel in Minnesota mit der Auflösung des Ortsvereins der Gewerkschaft. 1992 widersetzt sich der Maschinenhersteller Caterpillar einem Streik, indem er die Produktion in andere Fabriken verlagert. 1995 ersetzt der Reifenhersteller Bridgestone-Firestone 2.000 Streikende mit Streikbrechern.

Die PATCO-Streikenden verloren ihre wirtschaftliche Existenz. Manche fanden Lotsenjobs in Australien oder Europa. Doch erst 1993 hob Präsident Clinton das Einstellungsverbot für die Streikenden von 1981 auf. Inzwischen existiert PATCO wieder – wenn auch in stark verkleinerter Form – und plant Mitte August eine nationale Konferenz. Man werde sich im Reservat der Seminolen in Florida treffen, sagt Ron Taylor. Das sei das einzige Volk der Indianer, das sich nie ergeben habe.

Konrad Ege hat als Zeitgeschichtsautor zuletzt über Reagans Iran-Politik geschrieben

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden