Dieser Präsident weist in der Regel kritische Anschuldigungen entrüstet zurück, er habe beim Entführen und Foltern vermeintlicher Terroristen oder beim Zusammenfabulieren der Rechtfertigung des Irak-Krieges gegen die US-Verfassung und internationales Recht verstoßen. Auf kürzliche Enthüllungen allerdings, der für ausländische Überwachung zuständige Geheimdienst National Security Agency (NSA) höre auf allerhöchste Weisung ohne richterliche Erlaubnis in den USA terrorismusverdächtige Telefongespräche ab, reagierte George Bush anders: Natürlich habe er das autorisiert, in Kriegszeiten sei er dazu befugt. Und er werde weiterhin abhören lassen. Denn: "Wenn Sie jemand von al-Qaida anruft, wollen wir wissen, warum."
Das NSA-Programm soll so supergeheim sein, wird gemunkelt, es habe nicht einmal einen Namen. Das US-Justizministerium ermittelt jetzt, wer die Informationen darüber gesetzwidriger Weise der Zeitung New York Times zugesteckt hat. Dabei liegt der Verdacht sehr nahe, dass es vornehmlich der Präsident war, der mit dem Programm Gesetz und Verfassung gebrochen hat. Denn - und das hat das Oberste US-Gericht schon 1972 festgestellt - Telefonabhörung ohne richterliche Anordnung verstößt gegen den Verfassungsparagraphen zum Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung und der Person. Um die Arbeit der Spionagebehörden nicht zu behindern, richtete der US-Kongress 1978 einen im Geheimen tagenden Gerichtshof für Genehmigungen zur Überwachung "ausländischer Mächte" ein. Dieses Gericht hat inzwischen Tausende Lauschangriffe abgenickt und nur eine Handvoll abgelehnt. Unbeantwortet bleibt, warum Bush diesem freundlichen Gericht keine Anträge vorlegte.
Eine außerordentliche Anpassungsfähigkeit hat US-Administrationen schon oft vor Krisen bewahrt: Tendiert eine Regierung zu stark in eine Richtung, kommt oft ein korrigierender und wieder in die Mitte zurück steuernder Ethos zum Tragen. Die pragmatischen Bürger mucken beim allzu drastischen Verlassen der mittleren Fahrbahn auf. Die politische und wirtschaftliche Klasse realisiert, dass zu dick aufgetragene Ideologie der eigenen Macht schadet. So löste der Reformpräsident Franklin Roosevelt 1932 den konservativen Republikaner Herbert Hoover ab. Der antikommunistische Demagoge Senator Joe McCarthy stürzte Mitte der fünfziger Jahre. Der Machtpolitiker Richard Nixon ("wenn es der Präsident tut, heißt das, dass es nicht illegal ist", meinte der) kam einem Amtsenthebungsverfahren nur durch seinen Rücktritt zuvor. Der Reaganismus wurde gezügelt, als die damalige Administration den nicaraguanischen Contras beim Kampf gegen die Sandinisten half und dabei die Gesetze brach.
Im europäischen Ausland fragt man sich schon lange, wie und warum die Amerikaner diesen nach eigener Ansicht von Gott auserwählten Politiker Bush so lange haben gewähren lassen. Die Kritiker im Inland lamentieren über den immer enger werdenden politischen Spielraum, denn die Demokratische Partei betreibe keine Oppositionspolitik, sondern konzentriere sich allein auf die Suche nach "wählbaren" Kandidaten und Kandidatinnen, die rechts nicht anecken: Erst kam der Vietnamkriegsveteran John Kerry, und seit Neuestem wird Senatorin Hillary Clinton hoch gehandelt, die den Irak-Krieg noch heute verteidigt und anscheinend nichts Besseres zu tun hat, als einen Verfassungszusatz zum Verbot des Flaggenverbrennens vorzustellen. Im wesentlichen beschränkt sich die Oppositionspolitik der Demokraten auf das Warten. Vielleicht zerstört sich George W. Bush doch noch selber.
Dessen Abhöranweisung stößt nun freilich selbst bei Republikanern auf Kritik. Das gehe zu weit. "Traditionelle" Republikaner legen Wert auf das verfassungsmäßige "Gleichgewicht der Macht" zwischen Exekutive, Legislative und den Gerichten. Der Vorsitzende des Justizausschusses im Senat - ein Republikaner - hat Anhörungen angekündigt. Mehrere prominente republikanische Politiker warnen, die Rechtsstaatlichkeit dürfe nicht dem "Krieg gegen den Terrorismus" zum Opfer fallen. Aktivisten vom linken Spektrum sprechen von der Notwendigkeit eines Amtsenthebungsverfahrens. Das ist allerdings kaum denkbar: Im Repräsentantenhaus und im Senat haben die Republikaner die Mehrheit; zu Zeiten Richard Nixons gaben dort die Demokraten den Ton an. So hoffen George Bushs Kritiker nun auf die Wahlen im kommenden November; dann werden alle Mitglieder des Repräsentantenhauses und ein Drittel der Senatoren neu gewählt.
Die Kritik an der NSA-Bespitzelung wird aber nicht zwangsläufig zu einer Kurskorrektur führen. Denn verändert haben sich seit Nixon und Reagan nicht nur die Mehrheitsverhältnisse. Seit dem Ende des Kalten Krieges fällt es der US-Regierung - obwohl militärische Weltmacht Nummer Eins - nicht mehr so leicht, ihren Einfluss geltend zu machen, und zu Hause das Wahlvolk bei der Stange zu halten. Im Ausland trotzen selbst einstige Verbündete; im Hintergrund drängen sich die neuen Riesen nach vorn - China und Indien vor allem, nicht zuletzt auch Europa. Im Inland kann nur das Gespenst des Terrorismus rechtfertigen, warum es nicht anders gehen könne - ohne großes Militär und mit weniger Sicherheitsstaat. Der Sicherheitsstaat ist es, der den Platz auf der Weltbühne gegen die wirtschaftlichen und politischen Konkurrenten verteidigt; daher hat er viele Freunde in den Eliten von Politik, Wirtschaft und Medien. Vielleicht sind die bereit, auch ein bisschen mehr Überwachungsstaat in Kauf zu nehmen. Und die republikanischen Stammwähler, auf die George Bush besonders achtet, die christlich und sozial Konservativen, scheren sich keinen Deut um abgehörte Telefongespräche.
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