Das Kreuz in die Fahne wickeln

USA Nicht nur rechte Christen ringen um die "amerikanische Seele"

"Betet für unsere Streitkräfte", steht auf einem meterhohen Banner an einer Kirche in Houston. In Süd Dakota bejubeln christliche Verbände ein neues Gesetz, das Schwangerschaftsabbruch in fast allen Fällen verbietet: Fünf Jahre Haft für den "Abtreibungsarzt". Und Präsident Bush lässt in vielen Reden zumindest bruchstückhaft Bibelsprüche einfließen: Vieles erweckt den Eindruck, dass in den USA die "rechten Christen" das Heft in der Hand haben. Allmählich geben freilich "linke" Christen und ansonsten spirituell Bewegte zu verstehen, die Rechten sprächen nicht für alle. Das ist nicht ohne Belang, denn entscheidende Auseinandersetzungen über das Schicksal der Nation werden in den USA auf religiös-spiritueller Ebene ausgetragen. 80 Prozent der Bevölkerung bezeichnen sich als Christen, mehr als ein Drittel geht sonntags in die Kirche, etwa zwei Drittel sind der Ansicht, die USA seien eine "christliche Nation".

Viele Republikaner hatten anfangs keinen Magen für religiöse Oberaufseher

Kirchen, die heutzutage den Mund aufmachen gegen die dominierenden rechten Politiker und Pastoren, die das Kreuz in die Fahne wickeln, müssen noch gewaltig aufholen. Rechte Christen sind der wichtigste Wählerblock der Republikanischen Partei, konservative Gläubige bestimmen die Themen der öffentlichen Debatten. Christen aus der Arbeiterschicht wählen republikanisch und damit gegen ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen. Dabei ist das rechte Christentum in den USA ein relativ neues Phänomen, standen doch Christen einst in vorderster Linie progressiver sozialer Strömungen, von der Bürgerrechts- bis zur Anti-Vietnamkriegsbewegung. Der Umschwung begann Ende der Siebziger. Man war verunsichert durch das Desaster in Vietnam, die sozialen Umwälzungen, den Fall des republikanischen Präsidenten Richard Nixon. Ein paar wortgewaltige Fernsehprediger und kluge Geldgeber mobilisierten einen bis dahin politisch nicht sonderlich aktiven Bürgerblock: Die so genannten evangelikalen Christen - sie nahmen die Bibel mehr oder weniger wörtlich, fühlten sich zur Verkündigung berufen und betrachteten Weltliches mit viel Skepsis. Sie machten sich stark im Kampf gegen den "moralischen Zerfall" und suchten bei den Republikanern ihre Verbündeten.

Die waren anfangs nicht durchweg begeistert, obwohl die neuen Wähler ihr Kreuzchen auf der rechten Seite machten: Viele Republikaner hatten keinen Magen für religiöse Oberaufseher. Doch ohne die rechtschristlichen Wähler ging es bald nicht mehr - Ronald Reagan gewann mit ihren Stimmen, George W. Bush verdankte ihnen seine Wahlsiege. Das freimarktwirtschaftliche Programm der Republikaner allein wäre nicht mehrheitsfähig gewesen, vor allem in den Jahren nach dem Kalten Krieg, als der ideologisch vereinende Antikommunismus das Zeitliche segnete. Es kam eine außerordentliche Koalition zu Stande: Die Freimarktwirtschaftler auf der Suche nach Profiten und dem Imperium, und die rechten Christen auf der Suche nach "Moral". Das Konservativ-Christliche gab vielen Halt in einer Welt, in der ein kaum gezügelter Kapitalismus die Lebensgrundlagen gefährdete und spirituelle Werte zerstörte. Zusätzlichen Halt und vermeintliche Sicherheit boten unter dem selbsternannten Kriegspräsidenten Bush sicherheitsstaatliche Maßnahmen und der Krieg gegen den "extremistischen Islam".

Es reicht nicht, wenn Demokraten nun vorbringen, sie seien doch auch Christen

Der Rabbiner Michael Lerner, Redakteur des Magazins Tikkun, warnt schon seit Jahren, dass die Demokraten und die Linke es nicht verstünden, mit den Widersprüchen in der republikanischen Wählerkoalition und der tief in den Graswurzeln verankerten rechtschristlichen Bewegung umzugehen. In einem eben erschienenen, viel beachteten Buch The Left Hand of God: Taking the Country Back from the Religious Right postuliert Lerner, die Linke müsse unterscheiden zwischen dem harten Kern der Rechten und den Millionen, die Zuflucht im Zelt der Rechten gefunden hätten vor den sozialen Umwälzungen. Kirchengemeinden verschafften diesen Menschen Gemeinschaft und Lebenssinn in einer zunehmend von Konsum und Egoismus geprägten Gesellschaft. Lerner spricht von einer "spirituellen Krise": Was Protest gegen das Wirtschaftssystem und dessen Nutznießer hätte sein können, wurde umgelenkt auf einen Protest gegen die vermeintliche intellektuelle und kulturelle Elite, die Säkularen und Andersdenkenden, etwa durch den Kampf gegen Abtreibung, gegen die Homo-Ehe und gegen das Lehren der "unbiblischen" Evolutionstheorie in den staatlichen Schulen.

Nach Ansicht Lerners hat es die Demokratische Partei vollkommen versäumt, soziale, spirituelle und wirtschaftliche Alternativen aufzubauen für die vielen Verunsicherten. Die Demokraten haben mitgemacht beim Abbau des ohnehin brüchigen sozialen Netzes und machten nicht geltend, dass staatliche Programme für Arme und Obdachlose durchaus biblisch verwurzelt sein könnten und ungezügelter Kapitalismus mit dem Gebot kollidiere, man solle seinen Nächsten lieben wie sich selbst. Dieses Versagen habe den rechten Demagogen Tür und Tor geöffnet. Das Tor bringt kann man so schnell nicht wieder schließen. Da reicht es nicht, wenn demokratische Politiker nun vorbringen, sie seien doch auch Christen, oder Hillary Clinton viel von "Werten" spricht, an denen man sich orientieren müsse. Rechte Christen und Republikaner bieten ihren Gefolgsleuten ein festes Weltbild, das die Marktwirtschaft, eine aggressive Außenpolitik und den Glauben verbindet. Bei den Demokraten müsste man lange suchen, um ein zusammenhängendes Weltbild zu finden. Die Partei wartet, dass Bush sich selber zerstört. Ein Programm ist das freilich nicht.

Im November stehen Kongresswahlen an. Das Repräsentantenhaus und ein Drittel der 100 Senatoren werden neu gewählt. Die republikanischen Politiker - noch haben sie die Mehrheit in beiden Kammern - sind besorgt über Bushs schlechte Umfragewerte. Es wird viel davon abhängen, ob die noch sporadischen Bemühungen um sich greifen, Amerikanern die andere Version einer glaubensmotivierten Politik vorzuführen. So rief Roger Mahoney, der römisch-katholische Kardinal von Los Angeles, Priester und Laien zum zivilen Ungehorsam auf, sollte eine Einwanderungsreform in Kraft treten, die es verbieten würde, illegalen Immigranten zu helfen: Da dürfe die Kirche nicht mitmachen. Jesu´ Auftrag sei unmissverständlich: Man müsse den "Geringsten unter uns" zur Seite stehen. Auch und besonders Flüchtlingen.

86 evangelikale Theologen, Universitätspräsidenten und Publizisten veröffentlichten vor kurzem einen Appell zum Treibhauseffekt. Blieben Regierung und Privatwirtschaft weiterhin passiv, würden "in diesem Jahrhundert Millionen Menschen ums Leben kommen".

Die Bibel rufe zur Sorge um den Mitmenschen und die Schöpfung auf. 34 große US-Kirchen erklärten bei einem Treffen des Weltkirchenrates - des weltweit größten ökumenischen Verbandes - die USA hätten nach dem 11. September 2001 "Terror auf die wahrhaft verwundbaren unter unseren globalen Nachbarn" herabgesandt und die "Familie der Menschheit gefährdet". Der Krieg im Irak verstoße gegen die "universellen Normen der Gerechtigkeit und der Menschenrechte". Und dann ein mea culpa: Leider hätten die Kirchen sich nicht frühzeitig und stark genug gegen Bushs Kriegspolitik eingesetzt. Ganz gleich, wer die nächsten Wahlen gewinnt: Die religiöse Rechte dürfte eine der mächtigsten sozialen Bewegungen bleiben.


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