Beim Lesen des Senatsberichts über brutale Verhörpraktiken der Central Intelligence Agency (CIA) versteht man schnell, warum Regierungsvertreter so angestrengt versucht haben, die Veröffentlichung zu verhindern. Abstraktes wird konkret. Das sieht nicht gut aus.
Es sind die Details aus dem Report, die entsetzen. Foltern bedeutet neben Waterboarding – oder wie die CIA es nennt: „Serien von Beinahe-Ertrinken“ –, dass es „Untersuchungen mit exzessiver Gewalt“ gab, indem einem Häftling ein Bohrer an den Kopf gehalten oder tagelanges Stehen angeordnet wurde, das zu Fußödemen führte. Auch wurden Vergewaltigungen mit einem Besenstiel angedroht. Der Gefangene Gul Rahman fror im November 2002 zu Tode. Er war so angekettet worden, dass er halbnackt auf dem Zementfußboden seiner Zelle liegen musste. Selbst für Ex-Präsident George W. Bush, der das Haft- und Verhörprogramm sechs Tage nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 autorisierte, waren einige Einzelheiten offenbar ein bisschen zu krass. Bei einer Besprechung im April 2006 habe der Präsident Unbehagen zum Ausdruck gebracht wegen „des Bilds von einem Gefangenen, der an die Decke gekettet war“, so eine CIA-Mail.
Mehr als 2.500 Fußnoten
Seit der Bericht veröffentlicht ist, kämpfen Verteidiger der Geheimdienstbehörde darum, Verantwortliche in Schutz zu nehmen. Dass die CIA gefoltert hat, wird nicht mehr bestritten. Und doch hat die Entrüstung in Politik und Medien über die Verhörpraktiken etwas Scheinheiliges. Die Folterungen im „Krieg gegen den Terror“ sind seit einem Jahrzehnt bekannt. Einstige CIA-Häftlinge haben darüber berichtet. Im Frühjahr 2004 veröffentlichte der New Yorker Fotos von gefolterten Gefangenen im US-Militärgefängnis Abu Ghraib im Irak. Der militärische Ermittlungsbericht sprach von „sadistischen und kriminellen Misshandlungen“.
2005 gab es erste Medienberichte über CIA-Geheimgefängnisse in Osteuropa. Bush räumte deren Existenz im September 2006 ein. Die Verhöre dort seien „hart, gesetzmäßig und notwendig“. Die CIA habe „historische Erfahrungen“ mit dem Einsatz von „Zwangsmethoden bei der Vernehmung“, hält der Senatsbericht fest. Fußnote 40: Bereits 1963 habe der Dienst die sogenannten Kubark-Anleitungen verfasst über „Zwangstechniken“, vorrangig „sensorische Deprivation durch Einzelhaft oder ähnliche Methoden, Drohungen und Angst, Schwächezustand, Schmerz und induzierte Regression“. Die mehr als 2.500 Fußnoten geben dem Report seine Kraft. Er stützt sich akribisch auf zeitgleiche CIA-Memos, Protokolle, Mails von CIA-Beamten, Regierungsvertretern und Vertragspartnern über Vorgänge in den Verhörräumen, in den Gefängnissen, im CIA-Hauptquartier und US-Justizministerium. In Washington saßen Regierungsmitarbeiter in vermeintlich bequemen Sesseln und ordneten an, wie weit „verschärfte Verhöre“ gehen sollten. Geheime Schriftstücke gerieten ans Tageslicht wie auch das Fazit, die Folterungen hätten keine wesentlichen Erkenntnisse geliefert.
Gul Rahmans Tod wird dokumentiert in Fußnote 272 unter „Memorandum an den Stellvertretenden Direktor für Operationen, 28. Januar 2003“. Drei Monate später wurde ein 2.500-Dollar-Bonus vorgeschlagen für den zuständigen CIA-Beamten („CIA Officer 1“) für „hervorragende Arbeit“. CIA-Exekutivdirektor K.B. Foggo teilte „CIA Officer 1“ später mit, er müsse keine Disziplinarmaßnahmen fürchten. Das CIA-Hauptquartier habe von Rahmans Verhörbedingungen gewusst und empfohlen, man müsse möglicherweise „verschärfte Methoden“ anwenden.
Der Folterbericht ist auch Instrument im Washingtoner Gerangel um Macht und Status. Dianne Feinstein – Vorsitzende des Geheimdienstausschusses, engagierte Verteidigerin der NSA-Megadatensammlung und des Drohnenkriegs – war verschnupft, dass die CIA sich nicht an Regeln und Gepflogenheiten hielt: Man habe sich zu diesem Bericht entschlossen, als bekannt wurde, dass die CIA Videos von Verhören vernichtet habe. Außerdem sei der Ausschuss während seiner Arbeit bespitzelt geworden sei. Dafür hat sich CIA-Direktor John Brennan bereits im Juli entschuldigt. Die späte Reue hat Feinstein anscheinend nicht groß beeindruckt.
Als Brennan bei einer Pressekonferenz seine Version der Wahrheit verkündete, Folter habe doch zu Erkenntnissen geführt, funkte Feinstein per Twitter dazwischen. Ohnehin nahm der Direktor das Wort „Folter“ nie in den Mund – im Gegensatz zu seinem Chef im Weißen Haus, der zugegeben hat: „Wir haben einige Leute gefoltert.“
Was den Verteidigern wichtig erscheint: Sie widersprechen den Vorwürfen im Bericht, CIA-Beamte hätten Vorgesetzte im Justizministerium, im Weißen Haus und in der CIA selbst in die Irre geführt über die „enhanced interrogation techniques“ (erweiterte Verhörtechniken). Auf ihrer Webseite betont die CIA, „trotz einiger Mängel“ habe der Dienst das Programm gegenüber „der Exekutive und der Legislative sowie dem Justizministerium akkurat dargestellt“. John Rizzo, CIA-Chefjurist zur Zeit der Folterprogramme, räumte im Hörfunksender NPR ein, es seien manchmal „unautorisierte“ Methoden üblich gewesen, doch man habe diese Vorfälle gemeldet. Gefoltert habe man im Auftrag von oben.
Schutz um jeden Preis?
So sagte Ex-Vizepräsident Dick Cheney am Wochenende im FernsehsenderNBC über George W. Bush: „Der Mann wusste, was wir getan haben. Er hat es autorisiert. Er hat es bewilligt.“ Noch 2008 wies Bush ein Gesetz zurück, in dem es hieß, die CIA müsse sich an – mit der Genfer Konvention im Einklang stehenden – Verhörmethoden der US-Army orientieren. Michael Hayden, CIA-Direktor 2006 bis Anfang 2009, sprach im März 2007 zu Botschaftern aus EU-Staaten über den Kampf gegen Terrorismus: Das Haft- und Verhörprogramm sei „kein CIA-Programm, sondern Amerikas Programm“. Und John Rizzo teilt mit, nach 9/11 hätten der US-Kongress, das Weiße Haus und die Bevölkerung verlangt, die CIA müsse die Nation „um jeden Preis“ schützen.
Folter verjährt nicht, sagt Hina Shamsi, Direktorin des Nationalen Sicherheitsprojekts im Bürgerverband American Civil Liberties Union. Der US-Justizminister müsse einen Sonderermittler einsetzen. Tatsächlich dürften George W. Bush und einige seiner Mitstreiter künftig vorsichtig sein bei Reisen nach Europa. Irgendein Staatsanwalt könnte auf die Idee kommen, Anklage zu erheben. Ob freilich in den USA das FBI einmal an Haustüren der Folterer und ihrer Dienstherren klingelt, das ist eher unwahrscheinlich. Man müsse bei der Folterfrage vorwärts blicken und nicht zurück, sagte Barack Obama schon vor fünf Jahren. In der CIA arbeiteten „außerordentlich talentierte Leute“. Und diese Beamten sollten „nicht das Gefühl haben, dass sie ständig über ihre Schultern schauen müssen“. Verhörexperten bestätigen, dass Folter kaum verlässliches Material liefert. Offenbar will das Imperium auch seine Macht demonstrieren und strafen, wenn es Menschen foltert.
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