Demografie sticht Demokratie

Reform Die Republikaner drehen am Wahlrecht, damit sie künftig noch eine Chance haben
Ausgabe 15/2021
Protestierende schließen sich zu einer Demonstration gegen die anstehende Wahlrechtsreform zusammen
Protestierende schließen sich zu einer Demonstration gegen die anstehende Wahlrechtsreform zusammen

Foto: Megan Varner/Getty Images

Nichts Geringeres als die politische Zukunft der Vereinigten Staaten wird derzeit anhand der Frage entschieden, wie die Stimmabgabe künftig reguliert sein soll. Unter dem Vorwand von „Integrität“ wollen republikanische Politiker das Wahlrecht so verändern, dass weniger Bürger an Abstimmungen teilnehmen, von denen angenommen wird, sie wollten „Demokratisch wählen“. Es geht um den Standort von Wahllokalen, deren Öffnungszeiten, das Recht auf Briefwahl, letztlich den Status von Demokratie. Eine solche Wahlreform könnte funktionieren. 361 Gesetzentwürfe liegen gegenwärtig in den Bundesstaaten vor, hat der Institut Brennan Center for Justice nachgerechnet. In 27 der 50 US-Staaten regiert ein republikanischer Gouverneur, in 23 kontrollieren Republikaner das Gouverneursamt und das Parlament, darunter Texas, Florida, Arizona, Georgia und einige andere Staaten im Süden. Der Wahlausgang ist häufig knapp. So hat Joe Biden am 3. November in Georgia gerade eben mit 11.779 Stimmen Vorsprung gewonnen, in Arizona mit 10.457. Bei der für die hauchdünne demokratische Mehrheit im Senat maßgebenden Nachwahl in Georgia erhielt der Demokrat Jon Ossoff 50,6 Prozent der Stimmen.

Ex-Präsident Donald Trump bleibt unterdessen bei seiner Lüge, die Wahl sei ihm gestohlen worden. Bei einer Veranstaltung mit Spendern Anfang April in seinem Mar-a-Lago soll er wüst geschimpft haben. Doch Gerichte und Wahlbehörden haben nirgendwo Betrug und Fälschung gefunden. Das hält republikanische Politiker nicht von der Behauptung ab, ihre Reformen seien notwendig gegen möglichen Betrug der Demokraten. Vorzeigekind republikanischer Politik ist Georgia. Dort haben Bürgerrechtler in den 1950ern und zu Beginn der 1960er Jahre ihr Leben riskiert für das Wahlrecht. Georgia mit seiner mehrheitlich weißen Bevölkerung stimmt seit Jahren verlässlich republikanisch. 2016 gewannt dort Trump mit fünf Prozentpunkten vor Hillary Clinton. Umso mehr war Bidens Sieg ein Schock.

„Ich möchte nur 11.780 Stimmen finden“, klagte Trump Anfang Januar in einem geleakten Telefonat mit dem Wahlleiter in Georgia, dem Republikaner Brad Raffensperger. Doch der wollte nicht mitmachen bei der möglicherweise illegalen Ostereiersuche. Nun aber hat Georgia im März ein Reformgesetz beschlossen, das die Frist für die Stimmabgabe verkürzt und die Ausweispflicht verschärft. Der Zeitraum für den Briefwahlantrag wurde reduziert, die Anzahl der Stimmkästen für ein vorzeitiges Votum verringert. Die wegen Corona häufig praktizierte Briefwahl liegt Trump im Magen. Anfang November hätten 1,3 Millionen Bürger in Georgia auf diese Weise abgestimmt, mehr als jemals zuvor, berichtete der örtliche Rundfunksender WABE, gestützt auf Regierungsangaben. Rund zwei Drittel stimmten für Biden. Trump hatte von einer Briefwahl abgeraten.

Die Autoren von Georgias Gesetzesnovellierung haben selbst die Ausgabe von Getränken in den Warteschlangen für die Stimmabgabe verboten. Bei solcherart Reform gehe es augenscheinlich nicht um die Sicherheit der Wahl, urteilte die afroamerikanische Politikerin Stacey Abrams bei CNN. Das einzig Neue bei der Wahl 2020 habe darin bestanden, dass „mehr People of Color abstimmten und dies den Wahlausgang aus republikanischer Sicht in eine ungewollte Richtung verändert hat“.

Die Wirtschaft hat Vorbehalte

Ein Kommentar im National Review, ein bisschen das Intellektuellenblatt in der konservativen Welt, hat infrage gestellt, ob stärkere Wahlbeteiligung wirklich wünschenswert sei. Es gäbe keinen Grund, das zu wollen. „Wir hätten mehr Wähler, wenn wir das Wählen leichter machen würden“, heißt es in dem Text, „wir hätten auch mehr Ärzte, wenn Ärzte kein Diplom bräuchten“.

Talk-Show-Moderator Tucker Carlson, der eines der meist gesehenen Programme bei Fox News bestreitet, schimpfte jüngst, Demokraten wollten Wähler mit „neuen gehorsameren Leuten aus der Dritten Welt ersetzen“. Wenn man die Wählerschaft verändere, verwässere man „die politische Macht der Menschen, die hier leben“. Der Chef des jüdischen Verbandes Anti-Defamation League forderte daraufhin Carlsons Entlassung. Der Show-Mann verbreite die Ideologie von der weißen Überlegenheit.

Aus republikanischer Sicht macht es anscheinend kurzfristig Sinn, die Wählerzahl niedrig zu halten. Den Parteikern bilden konservative weiße Wähler, viele aus dem rechten christlichen Bereich, viele sind mittleren und fortgeschrittenen Alters. Obwohl Trump 2020 ein paar Millionen Stimmen mehr bekam als 2016: Dieses Segment hat ein begrenztes Wachstumspotenzial. Die Demokraten hingegen können sich über mehr Erstwähler freuen, die ihnen zugeneigt sind. Ohnehin hilft ihnen die Demografie: Die protestantischen Weißen sind nicht mehr in der Mehrheit.

Die republikanischen Vorhaben zum Wahlrecht stoßen auf Vorbehalte bei der Wirtschaft, die ansonsten dankbar ist für republikanische Politik, besonders bei der Steuer. Das Gesetz in Georgia basiere auf der Lüge von Wahlbetrug, kommentierte der CEO der in Atlanta ansässigen Fluglinie Delta, Ed Bastian. Mehr als einhundert CEOs seien zusammengekommen, um über Schritte gegen Wahlunterdrückung zu beraten, berichtete der Sender CBS. Unternehmen verdienen gutes Geld in einem sich wandelnden Amerika und wollen ihre Marken nicht besudeln.

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