Der gute Mensch von Caracas

Freihandel und Demokratie predigen Die US-Lateinamerikapolitik in den Zeiten des Irak-Krieges

Ronald Reagan warnte Anfang der achtziger Jahre vor dem Gespenst des Kommunismus in Mittel- und Südamerika. Und wie viel Energie die USA damals aufbrachten gegen Revolutionäre und Reformer in dem Teil der Welt, der den Politikern in Washington gern als "Hinterhof" gilt. Wie viele Todesschwadronen losgeschickt, wie viele Oppositionelle von Oligarchen und Militärs gefoltert und getötet wurden. Und heute? Die USA sind beschäftigt mit dem Irak und dem Terrorismus, und im "Hinterhof" kommt eine linke Regierung nach der anderen an die Macht: In Bolivien, Chile, Uruguay, Venezuela, Nicaragua, Ecuador, Brasilien und Argentinien. Nur in Mexiko und Kolumbien haben 2006 konservative Kandidaten gegen linke gewonnen.

Mit einem Kennedy-Lächeln

In Washington hat sich gezwungenermaßen ein gewisser Realitätssinn durchgesetzt - man muss mit diesen Mitte-Links-Regierungen leben und diese notfalls zurechtbiegen. Man ist zuversichtlich: Die wirtschaftlichen Zwänge können so forciert werden, dass ein Präsident Morales im verarmten Bolivien (das allerdings bald beträchtliche Einnahmen vom Export seines Erdgases erwartet) an Grenzen des Machbaren stößt. Und ein künftiger Präsident Ortega in Nicaragua mag zwar den Blutdruck erhöhen bei Oliver North und anderen Paten der nicaraguanischen Contras, aber dass der von Kapitalismus und Kirche Geläuterte die Sicherheit der Vereinigten Staaten bedroht, glaubt keiner mehr. Eigentlich versinnbildlicht nichts die gelungene Zerschlagung der sandinistischen Revolution mehr als der Ortega des frühen 21. Jahrhunderts.

So predigt Bush vorerst Freihandel und Demokratie. Auch wenn die Freihandelspolitik nicht immer auf Begeisterung trifft im Süden, denn Lateinamerika setzt zunehmend auf lateinamerikanische Kooperation bei Handel und Energiepolitik. Bei zwei Ländern behält der US-Präsident weiter die Scheuklappen auf, bei Cuba und Venezuela. Gegenüber Havanna klammert er sich an die "disfunktionale", traditionelle (von Republikanern und Demokraten getragene) Politik der Isolierung, wie der ehemalige Cuba-Gesandte Wayne Smith kürzlich schrieb. Aus wahltaktischen Gründen nimmt Bush Rücksicht auf fanatisch gegen Castro eingestellte Exilcubaner. Obwohl inzwischen klar ist, dass die Inselrepublik nicht auseinander fällt, sollte der schwerkranke Fidel Castro endgültig von der Bühne abtreten. In Havanna herrscht offenbar Normalität. Und die cubanische Ökonomie wächst trotz des in Miami und Washington prophezeiten Zusammenbruches.

"Mutti, mir ist so kalt", klagt das Mädchen auf dem Fernsehbildschirm. Eine Mitleid erregende Szene. Die verzweifelte junge Mutter legt der Kleinen eine Decke um die Schulter. Es ist Winter, kein Geld im Haus für Heizöl. Alles scheint verloren, doch siehe da, wie im Wilden Westen, wenn im letzten Augenblick der Retter herbei galoppiert: Der Ex-Kongressabgeordnete Joe Kennedy, Chef der nicht-kommerziellen Firma Citizens Energy Corporation, taucht auf mit einer Öllieferung. Gleich wird es mollig warm, Kennedy lächelt sein Kennedy-Lächeln, das mit dem männlich herben Kinn und den blitzenden Augen. Und der Werbeton sagt: Das Öl komme dank der "guten Menschen in Venezuela" und des Erdölkonzerns Citgo (einem Tochterunternehmen der staatlichen Petróleos de Venezuela). Diese PR-wirksamen Spots empören Bushs Mannschaft. Den linksnationalistisch orientierten und rhetorisch bombastischen Staatschef Hugo Chávez kann das Weiße Haus fast ebenso wenig ausstehen wie Fidel Castro. Und dieser Chávez hat mit Kennedys Firma einen Vertrag geschlossen, einkommensschwachen Bürgern in den USA über Citgo um 40 Prozent verbilligtes Heizöl zu liefern. Mehr als 400.000 Haushalte bekommen auf diese Weise Öl von "den guten Menschen in Venezuela".

Chávez wurde soeben wiedergewählt mit mehr als 60 Prozent, "eine Niederlage für den Teufel", sagte der Sieger mit Blick nach Washington. Und manch revolutionshungriger Linker im Ausland ist versucht, in der Leitfigur der Bolivarischen Revolution einen neuen Hoffnungsträger zu sehen. Als einer der größten Erdölexporteure der Welt schwimmt Venezuela im Geld - im Gegensatz zu seinen linken Partnern auf dem Subkontinent. Mit den Exporterträgen kann Chávez seine sozialen Vorhaben finanzieren, und die US-Regierung der unangenehmen Wahrheit nicht aus dem Weg gehen, dass US-Amerikaner mir ihren Dollars einen Teil der Revolutionsprogramme bezahlen. 2005 importierten die USA immerhin venezolanisches Erdöl im Wert von 28 Milliarden Dollar. Gemeinsam mit Saudi-Arabien ist Venezuela nach Kanada und Mexiko damit der drittgrößte US-Öllieferant.

Im April 2002 unterstützte die Regierung Bush einen Putschversuch gegen Chávez. Das hat nicht funktioniert. Jetzt ist nicht mehr so klar, was die USA gegen diesen Präsidenten noch tun können, der es fast zu genießen scheint, einen so mächtigen Feind zu haben. Der Council on Foreign Relations, Think Tank der außenpolitischen Elite, legte nach Chávez´ erneutem Wahlsieg Anfang Dezember Empfehlungen vor: Bush solle die Sprüche aus Venezuela weitgehend ignorieren und Kooperation anbieten. Das ist bisher noch nicht passiert: George Bush gratulierte lieber dem neugewählten Präsidenten von Ecuador zum Wahlsieg. Dabei unterscheidet sich Rafael Correa nicht allzu viel von Chávez hinsichtlich seiner sozialen Pläne und der Betonung nationaler Unabhängigkeit.

Einfach eine Mauer bauen

Zu Beginn der Ära Bush galten die USA als Supermacht Nummer Eins, inzwischen muss man Abstriche machen. Die verfehlte Irak-Politik und die Arroganz der Washingtoner Administration kosten Prestige und Einfluss. Auch im "Hinterhof", wo Regierungen regionale Bündnisse schließen und auf Souveränität bestehen. Dieser Prozess muss nun gemanagt werden. Zugleich bleibt weiter abzuwarten, was "links sein" konkret bedeutet bei den lateinamerikanischen Präsidenten. Für die meisten US-Bürger spielt - obwohl aus Südamerika neben den Afroamerikanern die größte Minoritätsgruppe stammt - der Kontinent südlich des Rio Grande eine untergeordnete Rolle und veranlasst höchstens zu der Parole: Wenn zu viele einwandern wollen aus dem Süden, dann baut man halt eine Mauer an der Grenze.


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