Der Trümmermann

Porträt Keith Ellison soll die schwer angeschlagenen US-Demokraten aus Desorientierung und Depression führen
Ausgabe 47/2016
Geldgeber seien wichtig, meinte Keith Ellison, doch die Wähler wichtiger
Geldgeber seien wichtig, meinte Keith Ellison, doch die Wähler wichtiger

Foto: Stephen Maturen/Getty Images

Ein großer Bernie-Sanders-Fan, Abgeordneter, Afroamerikaner, ausgerechnet Muslim, vielleicht bald Spitzenmann und Hoffnungsgestalt der zerdepperten Demokratischen Partei? Durchaus möglich, dass es so kommt. Keith Ellison, 53-jähriger Kongressparlamentarier aus Minnesota und Co-Vorsitzender des „progressiven Ausschusses“ der demokratischen Abgeordneten, kandidiert für den Vorsitz der Partei. Im US-Kontext gilt Ellison als links. Er soll das leckgeschlagene Boot wieder seetüchtig machen. Sanders hofft das, ebenso die einflussreiche Senatorin Elizabeth Warren. Die Demokraten sind auf der Suche nach einer Strategie. Das Top-Amt ist vakant seit Debbie Wasserman Schultz Tage vor dem demokratischen Parteikonvent im Sommer unfreiwillig zurücktrat.

Wikileaks hatte damals Mails veröffentlicht, denen zufolge die bei den Vorwahlen zur Neutralität verpflichtete Vorsitzende den Parteiapparat einsetzte gegen den Aufsteiger Sanders. Dessen Wahlmanager Jeff Weaver sei „ein ARSCH“ (in Großbuchstaben), schrieb Wassermann-Schultz im Mai 2016. Die Abgeordnete aus Florida war das Gesicht einer Partei, die großen Spendern zu nahe stand und – wie sich am 8. November zeigte – nicht mehr vermitteln konnte, warum Demokraten gewählt werden sollten.

In einem TV-Interview wurde Ellison gefragt, warum er Vorsitzender werden wolle. Die Antwort: Ihm stehe eine Partei vor Augen, von der „jeder Amerikaner weiß, dass sie da ist für die Arbeiterschicht“. Donald Trump habe die Politik auf den Kopf gestellt, sich zum Fürsprecher der Arbeiter gemacht und Wähler gespalten entlang der Trennlinien „von Rasse und Religion“. Geldgeber seien wichtig, meinte Ellison, doch die Wähler wichtiger. Derartige Sprüche hört man viel seit der Wahlkatastrophe, auch wenn Ellison dabei eine gewisse Glaubwürdigkeit genießt. Er war einer der wenigen Abgeordneten, die sich für Sanders einsetzten. Beim Wahlkonvent hielt er die Einleitungsrede für Sanders, warnte aber, alle Demokraten müssten wählen gehen, für Clinton. „Nicht wählen ist kein Protest, sondern Kapitulation.“ In seinem Wahlkreis in Minneapolis, wo Demokraten schon seit Jahrzehnten vorn liegen, bemühten sich seine Mitarbeiter 365 Tage im Jahr, dauerhafte Beziehungen zu den Wählern aufzubauen, erklärte Ellison. Dass diese zur Urne gingen, sei die Top-Priorität. Clinton hat am 8. November fünf Millionen Stimmen weniger bekommen als Barack Obama 2012. Ellison hingegen erhielt als Kandidat für das Repräsentantenhaus 69 Prozent, so viel wie zwei Jahre zuvor. Der Abgeordnete hatte bereits im Wahlkampf den Finger näher am amerikanischen Puls als die meisten seiner Parteifreunde.

Vergebens gewarnt

Im Juli 2015, einen Monat nachdem Trump seine Kandidatur bekannt gemacht hatte, warnte Ellison bei einer Talkshow unter lautem Lachen der Moderatoren, Trump habe das „Momentum“, und die Demokraten sollten sich darauf vorbereiten, dass er republikanischer Bewerber werden könne. Ellison verwies auf die politische Geschichte seines Heimatstaates: Minnesota habe 1998 den Ex-Wrestler Jesse Ventura zum Gouverneur gewählt. Ventura kandidierte damals für die Reformpartei gegen namhafte demokratische und republikanische Politiker mit dem Slogan „Don’t vote for politics as usual“ (Wählt nicht die Politik des Weiter-so), er hatte wenig Geld und veranstaltete viele große Wahlmeetings.

Der gelernte Rechtsanwalt Ellison sitzt seit 2007 im Kongress. In dem überwiegend ländlichen Minnesota, geprägt von skandinavischen und deutschen Einwanderern, war er der erste afroamerikanische Kongressabgeordnete und der erste muslimische überhaupt. Manche rechte Gegner waren empört, dass Ellison bei seinem Amtseid nicht auf die Bibel, sondern eine Kopie des Korans schwor. Im parlamentarischen Alltagsgeschehen indes erschien Ellisons Religionszugehörigkeit – er war als Student vom katholischen Glauben zum Islam übergetreten – zweitrangig. Seit er nun aber als Parteichef antreten will, wird das Thema hochgekocht. 1998 habe Ellison den Namen Keith Ellison-Muhammad benutzt, berichtet der Nachrichtensender Fox News. Attackiert wird der Bewerber auch wegen seiner Arbeit als Freiwilliger beim Million Man March. Diese Kundgebung Hunderttausender afroamerikanischer Männer war 1995 von Louis Farrakhan initiiert worden, dem Chef der „Nation of Islam“. Die „Nation“ predigt Selbsthilfe, Rassentrennung und einen Islam, der – so „Nation“-Gründer Wallace Fard Muhammad – Anfang der 30er Jahre von Allah in die USA geschickt worden sei. Als es die Kundgebung in Washington gab, war sie weit über die Person Farrakhan hinausgewachsen als eine Art frühes Black-Lives-Matter-Statement.

Ellison hat sich später von der „Nation of Islam“ distanziert, weil diese „bigotte und antisemitische Gedanken“ vertrete. Er bedaure seine „Fehler“. Doch die Rechten werden trotzdem versuchen, dieses Thema gegen ihn zu verwenden. Kritikern des weißen Nationalisten Stephen Bannon, Trumps künftiger Chefberater im Weißen Haus, wird bereits Scheinheiligkeit vorgeworfen: Sie ignorierten Ellisons Vergangenheit.

Die rund 450 Mitglieder des Democratic National Committee müssen laut Parteisatzung bis zum 1. März 2017 zusammenkommen, um den neuen Vorsitzenden zu wählen. Manche stellen in Frage, ob man den Posten als „Nebenjob“ machen könne, wie Ellison es vorhat. Andererseits haben sich Harry Reid, der scheidende demokratische Fraktionsvorsitzende im Senat, und dessen Nachfolger, Senator Charles Schumer, für Ellison ausgesprochen, Letzterer verfügt über legendär gute Verbindungen zu einigen großen Spendern. Offenkundig will auch Schumer zumindest ein neues Gesicht an der Spitze der Partei.

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