Die Europäer werden gestreichelt und dürfen bluten

Bündnis Transatlantische Priorität genießt, was den USA nützt. Für deren Schicksal sind Europa und die NATO heute weniger wichtig als während des Kalten Krieges

Sowohl Amerikaner als auch Europäer werden in diesem neuen Jahrhundert mehr tun müssen – nicht weniger“, um die „gemeinsame Sicherheit zu gewährleisten“. Sagte ein von Zehntausenden umjubelter Kandidat Obama vergangenen Juli in Berlin. Langsam und allmählich wird deutlich, was die NATO-Verbündeten der USA dabei aus Obamas Sicht zu leisten haben. Pragmatik, Realismus und die Suche nach Machbarem kommen vor „Partnerschaft für den Frieden“ und ähnlich angeblich weltbewegenden Großkonzepten. Nach George W. Bush muss Obama eine neue Sicherheitspolitik erfinden, die US-Interessen dient. Die selber um ihre Existenzbegründung ringende Institution NATO, punktuell weiterhin nützlich aus amerikanischer Sicht, tritt in den Hintergrund.

Obamas Vorgänger trägt viel Verantwortung für die verfahrene Situation des Bündnisses, die – wie es Ex-Außenminister Genscher kürzlich formuliert hat – „von einer Entscheidung in die nächste (stolpert), ohne dass dahinter ein politisches Konzept steht“. Bush hatte Rivalitäten geschürt und auf eine mit „Alteuropäern“ konkurrierende Koalition der Willigen gesetzt, die US-Vorhaben unterstützen sollte, falls die in der Allianz keine geschlossene Zustimmung finden. Der Auftritt von Vizepräsident Joe Biden jüngst auf der Sicherheitskonferenz in München, die Reise von Außenministerin Clinton in den Nahen Osten und nach Europa, schließlich Bidens Besuch im NATO-Hauptquartier Mitte März („Ich bin gekommen, um zuzuhören“) wurden stets als Chance empfunden, Gemeinsamkeiten zu betonen.

Quote für Streicheleinheiten erhöht

Die in der Ära Bush oft brüskierten transatlantischen Verbündeten sollen wieder das Gefühl haben, dass ihre Telefonanrufe nach Washington nicht in den langen Gängen der Außen- und Verteidigungsministerien verhallen. Die Quote für Streicheleinheiten wurde erhöht. Aber Obama ist nicht Präsident geworden, um die angeknacksten Seelen der Europäer zu heilen: Wegen der schlechten Wirtschaftslage und des nach vielen Kriegsjahren schwer gestressten US-Militärs braucht Washington Hilfe. Biden und Clinton ging es deshalb beim Thema NATO bisher hauptsächlich um zweierlei.

Erstens: „intensive Beratung“ (Biden) mit den Verbündeten zur Frage, wie man einen „besseren Job machen“ kann, um Afghanistan und Pakistan davon abzuhalten, „Zufluchtsstätten für Terroristen“ zu sein. Hier sollen offenbar die Alliierten nicht nur mitreden dürfen, sondern auch verstärkt bluten. Obama selber hat 17.000 US-Soldaten nach Afghanistan befohlen, zusätzlich zu den 36.000 dort stationierten. Zweitens: Es geht um Russland. Bush hatte zuletzt gern das alte Feinbild bedient. Das Team Obama setzt auf mehr Entspannung mit Moskau, „gemeinsame Interessen“ und einen frischen Start. Bei strategischer Abrüstung zum Beispiel, und bei dem, was man zu Zeiten des Kalten Krieges „vertrauensbildende Maßnahmen“ genannt hätte.

Barack Obama soll angeboten haben, auf die umstrittene Raketenabwehr in Polen und Tschechien zu verzichten. Man könne „Russland nicht bestrafen, indem man nicht mehr mit Russland redet“, sagte Hillary Clinton in Brüssel, mit Hinweis auf den Russland-Boykott-Beschluss der NATO nach dem russisch-georgischen Konflikt im August 2008. Die Osterweiterung der Allianz wird nun weniger ideologisch vorangetrieben. Bei Hillary Clinton heißt es lediglich, jede europäische Nation habe „das Recht, die Mitgliedschaft in der NATO zu beantragen“.

Ein paar Prozent mehr

Washingtons Freunde auf der anderen Seite des Atlantiks müssen sich daran gewöhnen, dass ihre Wünsche und Eitelkeiten gelegentlich übersehen oder überhört werden, denn für das Schicksal der Vereinigten Staaten sind Europa und die NATO heute weniger wichtig als während des Kalten Krieges. Entscheidungen in Peking, Delhi und Islamabad verdienen mindestens so viel Beachtung wie die in Berlin, London und Rom. Auch für das Weiße Haus ist dieser Umstand – zusammen mit dem eigenen relativen Machtrückgang – politisches Neuland.

Wie sich das atlantische Bündnis in diese Realitäten einfügt, dass weiß man einfach noch nicht. Barack Obama ist der Commander in Chief eines Militärapparats, der über etwa 1.000 Stützpunkte im Ausland verfügt. Für 2010 hat er trotz aller Krisenlasten einen Militäretat von 534 Milliarden Dollar vorgeschlagen. Ein paar Prozent mehr als 2009, um Schritt zu halten mit der Inflation, wie es heißt. Der Wandel hält sich in Grenzen.

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