Die Feindin der Fossilen

Porträt Deb Haaland kommt als erste indigene Innenministerin seit Gründung der USA ins Kabinett
Ausgabe 12/2021
Sie kämpfte als junge Frau mit Obdachlosigkeit und mit Alkoholismus, Haaland war auf Marken für Nahrungsmittel angewiesen
Sie kämpfte als junge Frau mit Obdachlosigkeit und mit Alkoholismus, Haaland war auf Marken für Nahrungsmittel angewiesen

Foto: Imago Images

Kaum jemand im Kabinett von Joe Biden macht dem grünen und bunten Amerika so viel Hoffnung wie die neue Innenministerin, eine indigene Frau aus dem Bundesstaat New Mexico. Vielleicht sei die Berufung von Deb Haaland der „vielversprechendste Augenblick in der Biden-Transition“, lobt Bill McKibben, Gründer des Klimaverbandes 350.org. Die bisherige Kongressabgeordnete – 2019 errang Haaland ihr erstes Mandat in Washington – hat sich häufig mit der Öl- und Fracking-Industrie angelegt. Sie war 2016 bei Kundgebungen gegen die Dakota Access Pipeline in North Dakota, die indigenes Land bedrohte. Sie ist eine frühe Befürworterin des „Green New Deal“. Wie Haaland selbst sagt: Menschen wie sie hätten noch nie ein Ministerium geleitet.

Nach ihrer Nominierung betonte sie in Bidens Heimatstaat Delaware, man stehe auf dem Land der „Stammesnation der Lenape“, und bei der Senatsanhörung in Washington, an der Schwelle zum Ministeramt, erklärte die Aspirantin unter Verweis auf die US-Hauptstadt, die Sitzung finde auf dem Land der Anacostan, Piscataway und Nacochtank statt. Mitte März hat der Senat die Nominierung bestätigt, trotz Beschwerden des fossilen Energiesektors über Haalands „radikale Politik“. Es werde Geschichte geschrieben, urteilt Vizepräsidentin Kamala Harris. Haaland vom Stamm des Pueblo of Laguna im Südwesten der USA ist die erste Ureinwohnerin an der Spitze des Innenministeriums. Der Moment sei zutiefst bewegend, so Haaland, wenn man bedenke, dass einer ihrer Vorgänger das Ziel gesetzt habe, Ureinwohner „zu zivilisieren oder zu exterminieren“. Gemeint war Alexander Stuart, im Amt 1850 – 1853. Sie sei ein „lebendes Testament des Fehlschlages dieser schrecklichen Ideologie“, sagt Haaland.

Die Tochter einer indigenen Mutter und eines von norwegischen Immigranten abstammenden Vaters spricht viel über ihre Geschichte. „Meine Leute, die Pueblo-Indianer, sind im 13. Jahrhundert in das Tal des Rio Grande gezogen, um einer Dürre zu entkommen ... Meine Leute haben Jahrhunderte von Sklaverei, Genozid und brutaler Assimilation überlebt.“ Haalands Lebensgeschichte ist nicht normal für US-Minister, die häufig Abschlüsse von Elite-Universitäten in der Tasche haben und auf bereits lukrative Karrieren zurückblicken. Bei Haaland hat nicht immer alles geklappt, sie kämpfte als junge Frau mit der Obdachlosigkeit und war als Alleinerziehende auf Lebensmittelmarken angewiesen. Probleme mit Alkohol gab es auch. Sie sei seit 30 Jahren trocken, erzählte Haaland 2018 in einem Videospot, mit dem sie sich um einen Abgeordnetensitz bewarb. 2006 machte sie den Abschluss in Indianischem Recht an der University of New Mexico, noch heute zahle sie Studiendarlehen zurück. 2012 koordinierte Haaland indigene Wähler in New Mexico für Barack Obama. 2015 wurde sie zur Vorsitzenden der Demokratischen Partei in New Mexico gewählt. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung in ihrem Staat sind Indigene. Die 60-Jährige leitet nun ein Riesenministerium mit mehr als 70.000 Mitarbeitern, zuständig für das Fünftel des Landes, das sich im Besitz der nationalen Regierung befindet.

Haalands Ressort ist maßgebend bei der Vergabe von Schürf- und Bohrrechten, bei Umwelt- und Klimaschutz, es verantwortet die Nationalparks. Zum Ministerium gehört das „Büro für indianische Angelegenheiten“. Laut Gesetz sind die 574 heute in den USA lebenden Stämme souveräne Nationen.

Rechte Milizen stellen Befugnisse des Ministeriums grundsätzlich in Frage und verlangen: Die Regierung müsse das von ihr verwaltete Land den einzelnen Bundesstaaten zurückgeben. 2016 besetzten Rechtsextreme ein Wildschutz-Resort in Oregon. Einer der Männer wurde bei der Auseinandersetzung vom FBI erschossen. 2014 standen Dutzende von Bewaffneten einem Rancher in Nevada zur Seite, der sich weigerte, für die Nutzung von staatlichem Terrain zu bezahlen. Der Mann kommt bis heute nicht dafür auf. Im April vor einem Jahr hat Haaland ein sprichwörtlich heißes Eisen angefasst, mit der Forderung, den wegen Mordes an zwei FBI-Agenten seit mehr als vier Jahrzehnten inhaftierten Anishinabe-Lakota Leonard Peltier, inzwischen 76 Jahre alt, freizulassen. International genießt Peltier Unterstützung wegen großer Zweifel an dem Urteil. In den USA ist der Fall ein „rotes Tuch“ im Law-and-Order-Milieu. Fotos der Agenten Jack Coler und Ronald Williams hängen beim FBI in der Ehrenhalle. Barack Obama hat Anfang 2017, kurz vor dem Ende seiner Amtszeit, Peltiers Gnadengesuch abgelehnt. Haaland verlangt nun, Peltier zu entlassen, angesichts der Covid-19-Notlage in den Gefängnissen.

Bei der alle zehn Jahre stattfindenden Volkszählung haben sich 2010 5,2 Millionen Menschen als „amerikanische Indianer“ oder „Eingeborene von Alaska“ identifiziert, Zahlen für 2020 liegen noch nicht vor. Biden kann sich bedanken. Laut High Country News, einem Magazin über den US-Westen, hat er am 3. November in Wahlbezirken mit hoher indigener Bevölkerung deutlich gewonnen. In Arizona gab es 10.000 Stimmen mehr als für Trump. In Navajo-Wahlbezirken dieses Staates sollen 60 bis 90 Prozent für Biden gestimmt haben.

Haaland ist das zweite indigene Kabinettsmitglied der US-Geschichte. Das erste war Charles Curtis, Vizepräsident von 1929 bis 1933, zuvor Abgeordneter und Senator aus dem Staat Kansas. Der republikanische Politiker gehörte dem Kaw-Volk an. Sein politischer Nachlass ist das von ihm mitverfasste „Curtis-Gesetz“, mit dem die US-Regierung den Verkauf indianischen Landes im heutigen Oklahoma an Weiße in die Wege leitete. Das US-Innenministerium muss über die Vergabe von Schürf- und Bohrrechten dort befinden. Die Entscheidung liegt bei Deb Haaland.

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