Mit Paul Ryan kommt eine Lichtgestalt der Tea Party-Bewegung der Macht zumindest ziemlich nahe. Seit der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney den Erzkonservativen aus Wisconsin zu seinem Vize erkor, heißt es in Kommentaren, gerade das illustriere die Polarisierung der US-Politik. Wahr ist aber auch: Die Medien leben von dieser Polarisierungsgeschichte und der Story der „historischen“ Konfrontation im Wahlkampf. Und Ryan liefert eifrig Nachschub – während er seine US-Version von Geiz ist Geil in ein dünnes intellektuelles und moralisches Mäntelchen kleidet: Er höre gern Rage against the Machine und Grateful Dead, heißt es bei ihm auf Facebook.
Rente für Ayn Rand
Es verblüfft, dass bei den Reaktionen auf Romneys Personalie oft so getan wird, als würde „der amerikanische Wähler“ wirklich für ein Ryaneskes Wirtschaftsprogramm stimmen wollen. Als Chef des Haushaltsausschusses im Repräsentantenhaus hat sich Ryan – Fan der 1982 verstorbenen Philosophin Ayn Rand und ihres „rationalen Egoismus“– für eine Privatisierung der staatlichen Krankenversicherung für Senioren eingesetzt und einen drastischen Abbau der entsprechenden Versicherung bei Einkommensschwachen. Ryan zweifelt zudem an der Haltbarkeit der staatlichen Rentenversicherung Social Security und verspricht den Allerreichsten weiter fallende Steuern. Doch die US-Senioren lieben ihre Renten- und Krankenversicherung. Tea-Party-Aktivisten im Rentenalter schimpfen, beziehen aber selbst Social Security. Selbst das konservative Oklahoma fordert Beistand aus Washington, wenn die Hitze den Futtermais und die Sojabohnen auf den Äckern austrocknet. Und dann soll ja auch Ayn Rand gegen Ende ihres Lebens eben diese Sozialrente kassiert haben. Es irritiert seit Jahrzehnten, dass Arbeiter und Geringverdiener in den USA häufig gegen ihre wirtschaftlichen Interessen stimmen und Republikaner wählen. Man fühlt sich offenbar gern frei von staatlicher Bevormundung. Andererseits können sich die Demokraten mit ihrer Abhängigkeit von Spenden der oberen Zehntausend auch nicht glaubhaft in Szene setzen als „Verteidiger des Bürgers“.
Kämpfer gegen den Moloch
Romney und Ryan, der Heuschreckenkapitalist und sein Wasserträger? Das Team ist sich der Zweischneidigkeit von Ryans wohl dokumentierter Vergangenheit offenbar bewusst: Er begeistert die rechte Basis und die rechten Geldgeber. Doch Ryans Wirtschaftskonzept macht viele Bürger nervös. So versicherte Romney kürzlich in Florida, dem sonnigen Zufluchtsort für Amerikas Pensionäre, er habe einen eigenen Haushaltsplan.
Ryan sei problematisch für die republikanische Partei, schreibt der Wirtschaftsexperte Mark Schmitt vom Roosevelt Institute. Gewöhnlich laufe das politische Spiel so in den USA: Die Republikaner verdammten eine übergroße, bevormundende Regierung. Sie verlangten Kürzungen einerseits und Steuererleichterungen andererseits. Bei den Kürzungen blieben die Republikaner oft abstrakt; die Steuernachlässe indes würden durchgesetzt, was dann wiederum das Defizit hochtreibe. Republikaner könnten sich so als Kämpfer gegen den Moloch Washington in Szene setzen, ohne den Wählern wirklich in den Geldbeutel zu greifen. Doch da liege Ryans Problem, so Schmitt: Sein Plan sei zu spezifisch.
1976 wollte Ronald Reagan Präsident werden, unterlag aber bei den Vorwahlen gegen Amtsinhaber Gerald Ford. Eine Episode aus Reagans Kampagne ist im nationalen Gedächtnis geblieben: Reagans Mär von der „Wohlfahrtskönigin“ aus der Innenstadt von Chicago, die mit gefälschten Ausweisen auf staatliche Hilfe von 150.000 Dollar im Jahr gekommen sei. Der Kandidat hat den Namen der angeblichen „Welfare Queen“ nie verraten, aber sie ist noch heute der Prototyp des von konservativen Publizisten gepflegten Mythos, dass die Wohlfahrtsempfänger die Beihilfen nicht wirklich verdienten. In dieser Version von Realität sind die Wohlfahrtsköniginnen und -könige heutzutage schwarz oder auch Latino.
Auf eben dieses Thema ist der Rechtspopulismus vieler Tea-Party-Aktivisten fixiert. Man müsse weg von Wohlfahrt und hin zur Arbeit, so Romney, als er seinen Vizepräsidenten vorstellte. Romney und Ryan haben im November nur eine Chance, wenn sie „jeden erdenklichen weißen Wähler“ für sich gewinnen, schreibt der Politikwissenschaftler Rodolfo de La Garza (Columbia Universität) in der Huffington Post. Sie brauchten weiße Wähler aus der Arbeiterschicht und arme Weiße. Das ist die wirkliche Polarisierung, die sich abzeichnet: Es geht oft um Rasse in diesem Wahlkampf, auch wenn das Thema direkt nicht angesprochen wird. Man versteht die „Codes“. Sarah Palin hatte das als Vizepräsidentschaftskandidatin 2008 mit ihrem Lob des „wirklichen Amerika“ versucht. Demografisch wird das Aufbäumen der konservativen Weißen gegen den Verlust des weißen Privilegs und der Mehrheit schwieriger. Obama braucht dagegen nur gut 40 Prozent der weißen Stimmen.
Und das mit den Anti-Establishment Musikern Rage against the Machine? Ryan fällt in die Kategorie des Republikaners, der Liedtexte ignoriert. George W. Bush hatte 2004 bei Wahlmeetings das kritische Born in the USA spielen lassen, bis Bruce Springsteen den Stecker zog.
Konrad Ege schrieb zuletzt über das Leben der Schauspielerin Marilyn Monroe
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