Trotz Vorankündigung von „etwas sehr Großem“ per Twitter – Donald Trumps Fernsehmitteilung vom Tod Abu Bakr al-Baghdadis hat nicht so eingeschlagen wie Barack Obamas Erklärung vom Mai 2011, US-Verbände hätten Osama bin Laden getötet. Jubler kamen damals mitten in der Nacht zum Weißen Haus. Als Trump sich jetzt bei einem Baseballspiel in Washington zeigte, buhten viele Zuschauer.
Die Nachricht vom Tod des IS-Anführers bei einer Kommando-Aktion in Syrien kam nach schwierigen Wochen für den Präsidenten. Sein Entschluss zum Abzug des US-Kontingents aus Syrien war auf breite Kritik gestoßen. Im Kongress gingen die Vorbereitungen für ein mögliches Amtsenthebungsverfahren weiter. Sitzen auf einer symbolischen Anklagebank, das passt gar nicht zum Image dieses Staatschefs.
Wahrheit ist immer gut
Wie gefährlich ein „Impeachment“ für Trump werden kann, ist ungewiss. Die Anklagen gelten vornehmlich Amtsmissbrauch: Wie hat Trump den ukrainischen Staatschef Selenskyj bedrängt, dem potenziellen Rivalen Joe Biden mit Korruptionsermittlungen zu schaden? Bidens Sohn Hunter war beim größten privaten Erdgasproduzenten der Ukraine tätig, als der Vater in der Obama-Regierung das Gesicht der Ukrainepolitik war. Zeugenaussagen bei Kongressanhörungen hinter verschlossenen Türen belasten Trump. Besonders ins Gewicht fällt der geschäftsführende US-Botschafter in Kiew, William Taylor. Der 72-jährige Diplomat hat die These demokratischer Ankläger erhärtet, Trumps Leute hätten die Regierung in Kiew unter Druck gesetzt, um sie dazu zu bringen, eine Untersuchung gegen Joe Biden und Sohn anzukündigen. Rund 400 Millionen Dollar Militärhilfe hätten zur Disposition gestanden.
Er sei erstaunt gewesen, so Taylor laut Text seiner Aussage, denn „die Ukrainer kämpfen gegen die Russen“. Taylor sprach von „Seitenkanälen“ bei der Ukrainepolitik. Auf diesen Kanälen habe etwa Trumps Anwalt Rudy Giuliani persönliche Interessen des Präsidenten verfolgt. Das habe gegen seit Jahren geltende Ziele der US-Ukrainepolitik verstoßen und untergrabe die Glaubwürdigkeit der USA, sagen Kritiker.
Umfragen zufolge ist der Anteil der Impeachment-Befürworter in der Bevölkerung auf etwas über 50 Prozent geklettert. Womöglich ein Indiz dafür, dass Trump zuweilen die mediale Kontrolle entgleitet. Von Seiten der oppositionellen Demokraten heißt es, Ermittlungen sollten die Nation zur Wahrheit führen. Wahrheit ist immer gut, doch im Kern geht es darum, wer bestimmen soll, wie regiert wird in Washington. Trumps Wahl hat Eliten schockiert, die daran gewöhnt waren, dass führende Figuren aus einem „akzeptablen“ Spektrum kommen. Wer regierte, konnte sich weitgehend auf einen Regierungsapparat verlassen – die Angestellten in den Ministerien, Militärs und Geheimdienste. Zumindest für die Mittelklasse und weiter oben gab es eine gewisse Ordnung. Das galt selbst bei Ronald Reagan, der behauptet hatte, die Regierung sei nicht die Lösung der Probleme, sondern das Problem. Donald Trump ist weiter gegangen als sein ferner Vorgänger. Er hat Rassen- und Klassenressentiments angeheizt, Weißen eine Opferrolle zugeschrieben und viele von denen angesprochen, die glauben, das „akzeptable Spektrum“ funktioniere nicht mehr.
Aus Sicht republikanischer Entscheider des „Establishments“, wie es manchmal genannt wird, war das fast ein bisschen unheimlich: Trump hatte mit seinen sozialen Initiativen, seiner Ausländerfeindlichkeit und seinem Rassismus das auf die Spitze getrieben, was im weißen Amerika schon lange brodelte. Trump hat geliefert. Wirtschaftspolitik für die Begüterten, Gesellschaftspolitik für die Rechten und Rechtschristen. Laut Washington Post sind republikanische Senatoren nun frustriert, weil sie Trumps Verhalten nicht glaubwürdig verteidigen können. Derzeit gibt es allerdings keinen republikanischen Abgeordneten oder Senator, der oder die öffentlich für ein Impeachment eintritt. Brad Parscale, Chef von Trumps Wiederwahlkampagne, wird im Politmagazin thehill.com zitiert: Ein Impeachment werde Trumps Wählern „Energie einflößen und einen Erdrutschsieg für den Präsidenten auslösen“. Trump hat die Normen verschoben, die Normen dessen, was akzeptabel ist. Wer ihn auf diesem Weg begleitet hat, müsste sich selbst in Frage stellen, wollte er jetzt auf Distanz gehen.
Die Impeachment-Ermittlungen, wie sie zum Thema Ukraine stattfinden, wirken streckenweise wie ein Streitfall unter Eliten: Da ist der Präsident, der seine Macht nutzt, um sich selbst zu helfen. Auf der anderen Seite stehen die Demokraten und der administrative Staat, die sich bei der Ukraine als rechtschaffener Verwalter einer Außenpolitik verstehen, die Waffen in ein Krisengebiet liefern will. Befürworter der demokratischen Strategie betonen, man konzentriere sich auf die Ukraine, weil hier Trumps Impeachment-reife Machenschaften so leicht verständlich seien. Insofern ist die angestrebte Amtsenthebung auch Ausdruck des Wunsches nach Berechenbarkeit. Baghdadis Tod und Trumps Triumphrede haben stattdessen demonstriert, dass sich bei diesem Mann nichts vorhersehen lässt. Erst zieht er Truppen aus Syrien ab, dann gibt es dort die Aktion gegen den IS-Chef. Gleichzeitig lässt Trump Soldaten aus Afghanistan nach Hause kommen, was seine Position bei Verhandlungen mit den Taliban schwächen dürfte.
Wenn die Amerikaner in einem Jahr wählen, braucht Trump keine Mehrheit, sondern nur eine Mehrheit in genügend Bundesstaaten mit genügend Wahlmännern. Bei dieser Wahl wird sich zeigen, ob ein Impeachment gegriffen hat. Zunächst stehen dafür als weitere Schritte an: Der Justizausschuss im US-Kongress einigt sich auf Anklagepunkte. Das Repräsentantenhaus stimmt ab, ob das für eine erzwungene Demission reicht; bei einer Zustimmung wird die Anklage dem Senat vorgelegt, der mit seiner republikanischen Mehrheit über eine Amtsenthebung entscheidet.
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