Wenn es politisch hart auf hart geht, haben in den USA die Rechten häufig die besseren Karten. Und sie spielen diese auch skrupelloser aus. Irgendwie sind die Tea-Party-Anhänger und ihre finanzstarken Gönner oft einen Schritt voraus. Und so erregt dieser Tage ein Signal Aufsehen, das man vielleicht sonst fünf Monate vor der Wahl ignorieren würde – fünf Monate sind ja im Wahlkampf eine kleine Ewigkeit: Bei der Gouverneurswahl im Bundesstaat Wisconsin Anfang des Monats ist der Versuch misslungen, den Republikaner Scott Walker vorzeitig aus dem Amt zu wählen. Damit sehen sich Präsident Barack Obamas Demokraten – und besonders progressive Idealisten, die Occupy-Bewegung und die Gewerkschaften – auf den Boden der Tatsachen gestoßen.
en.Wisconsin wirft ein fahles Licht auf den November. Es war ein außerordentliches Votum in dem sechs Millionen Einwohner zählenden Bundesstaat im Mittleren Westen. Walker hatte die Gouverneurswahl erst im November 2010 mit 52 Prozent gewonnen – ein desaströser Monat für die Demokraten. Sie verloren damals bei der Kongresswahl die Mehrheit im Repräsentantenhaus. Und in elf Staaten verdrängten Republikaner demokratische Gouverneure.Fighting BobDie Amtszeit in Wisconsin beträgt vier Jahre. Dass Walker bereits diesen Monat erneut antreten musste, verdankte er dem selten ausgespielten Recall-Mechanismus, mit dem Wähler eine Neuwahl erzwingen können. Mehr als 900.000 Unterschriften trug die entsprechende Petition. Die Unterzeichner waren über Walkers Sparmaßnahmen zu Lasten unterer Einkommensgruppen und eine radikal gewerkschaftsfeindliche Politik empört.Zum Protest gegen den Gouverneur – nach Ansicht seiner Gegner die Personifizierung der Tea Party – kamen Anfang 2011 wochenlang Zehntausende in Madison zusammen, der Hauptstadt des Bundesstaats. Wisconsin war Occupy, bevor es Occupy gab. Gewerkschafter, Linke, Umweltschützer, Aktivisten aller Schattierungen formierten eine breite soziale Bewegung. Wisconsin sei „inspiriert worden von den massiven Aufständen in Tunesien und Ägypten“ – „die Arbeiter dieses Staates haben die Nation erschüttert mit ihrer kolossalen Demonstration von Solidarität und Wut“, hieß es in einem Schnellbuch zum Aufstand von Wisconsin.Ausgerechnet Wisconsin. Bier, Bratwürste, Käse – in den USA denkt man bei dieser Wortfolge sofort an den Bundesstaat, wo sich viele Deutsche niedergelassen haben, die Baseballmannschaft Milwaukee Brewers (Bierbrauer) heißt, und die Fans des Footballteams Green Bay Packers Hüte in der Form eines Emmentaler Käses tragen. Linke Amerikaner haben eine nostalgisch angehauchte Schwäche für diese Gegend. Wahlen in Wisconsin gelten als Heimspiele. Obama hat dort 2008 klar gewonnen.Geschichtlich gesehen konnte eine linke Bewegung nirgendwo sonst in den USA solche Erfolge einfahren. Robert La Follette, Wisconsins linkspopulistischer Gouverneur und Senator (1906 – 1925), holte 1924 bei der Präsidentenwahl für die Progressive Party 17 Prozent der Stimmen. Fighting Bob, das war der resolute Kritiker der Monopole. Weniger als hundert Großindustrielle und Banker bestimmten die US-Ökonomie und Politik, klagte La Follette, der das Wahlrecht für Frauen befürwortete (erstritten erst 1920) und Gegner des Einstiegs der USA in den Ersten Weltkrieg war.Wirksames FeindbildDie Walker-Gegner konnten La Follettes Erbe nicht antreten. Das jetzige Wahlergebnis zeigt vielmehr: Erfolge progressiver Bewegungen lassen sich nicht zwangsläufig auf Wahlen übertragen. Scott Walker bekam beim Recall-Versuch 53 Prozent und damit mehr als 2010 bei seiner ersten Wahl. Bei der Suche nach den Ursachen wird ganz oben angeführt, Walker habe 31 Millionen Dollar Wahlspenden bekommen, achtmal mehr als sein demokratischer Rivale Tom Barrett, Bürgermeister von Milwaukee. In der Tat haben die rechten Spender und die Republikanische Partei die Schleusen geöffnet. Walkers Kampagne gegen die Gewerkschaften sei ganz entscheidend, begründete Milliardär David Koch, der Schutzheilige der Rechtsrepublikaner.Demokratische Sponsoren und Parteigrößen hielten sich dagegen zurück. Präsident Obama hat sich nicht ein einziges Mal für Barrett ausgesprochen, außer mit einem Tweet am Wahltag. Der Parteiführung war die Bewegung von Wisconsin wohl nicht geheuer. Man nimmt Rücksicht. Die Finanzindustrie bleibt eine wichtige Einnahmequelle demokratischer Politiker. Und für Gewerkschaftsrechte ist unter Obama fast nichts passiert. Manche Demokraten sahen zudem von Anfang an taktische Probleme mit dem Recall und witterten eine Selbstüberschätzung der sozialen Bewegung. Von Zweifeln, ob dieser radikale Schritt gerechtfertigt sei, ganz abgesehen. Begründung: Walker werde schließlich kein Amtsmissbrauch vorgeworfen. Im Übrigen sei er für vier Jahre gewählt.Bei Umfragen am Wahltag meinten dann auch 60 Prozent der Wähler, Recall sei nur bei Amtsvergehen angebracht. Eine CNN-Erhebung ernüchterte: Selbst 28 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder (17 Prozent der Wähler) stimmten für Walker. Der zielte bei seiner Kampagne besonders auf die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst, wo Angestellte im allgemeinen genug verdienen, um in die Mittelklasse aufzusteigen, und im Unterschied zu Arbeitern im Privatsektor Pensionsansprüche haben. Dieses Feindbild kam offenbar an im Volk.Bei jungen Wählern, die mehrheitlich demokratisch stimmten, lag die Beteiligung deutlich unter dem Wert, den es bei der Präsidentenwahl 2008 gegeben hatte. Und dann der Rassenfaktor: natürlich. Wisconsin hat mit 86 Prozent einen im Vergleich zu anderen Staaten hohen weißen Bevölkerungsanteil. Weiße Männer stimmten zu 62 Prozent für Walker, Frauen zu 51 Prozent. 94 Prozent der Afro-Amerikaner votierten für Barrett, ist er doch Bürgermeister einer Metropole, in der die Weißen nicht die Mehrheit stellen.