Ein undiplomatischer Diplomat

Auf dem Abstellgleis oder im Hauptbahnhof? Außenministerin Rice will die Wirkungsstätte ihres Staatssekretärs John Bolton von Washington nach New York in das UN-Hauptquartier verlegen

Es wird viel Feuerwerk geben, wenn sich der US-Senat diesen Monat mit der Nominierung des neuen US-Botschafters für die Vereinten Nationen beschäftigt. Der designierte Mann heißt John Bolton, bekannt ist er wegen seiner häufigen und harten Kritik an der Institution, in der er nun die Vereinigten Staaten repräsentieren soll. Liberalen gilt Bolton als ausgesprochener Scharfmacher. Die New York Times leitartikelte, Bolton, in George W. Bushs erster Amtsperiode Staatssekretär im Außenministerium für Rüstungskontrolle, sei eine "entsetzliche Wahl". 59 noch aktive oder pensionierte US-Botschafter, die demokratischen und republikanischen Präsidenten gedient haben, protestierten gegen Boltons "ungeeignete" Ernennung (s. neben stehende Dokumentation). Bolton gehe anscheinend davon aus, dass die UNO nur nützlich sei, wenn sie den USA nütze.

Der zuweilen undiplomatische Diplomat gilt als Gesinnungsgenosse der Neokonservativen um Vizepräsident Dick Cheney, deren Credo lautet: Die USA müssten den Alleingang einlegen, wenn sonst niemand mitmache. Im Außenministerium soll Bolton der neokonservative "Aufpasser" des Ministers Colin Powell gewesen sein. Für Schlagzeilen sorgte er 2002 mit der Verlautbarung, Kuba habe biologische Waffen entwickelt - eine Aussage, von der sich sein Ministerium alsbald distanzieren musste.

Besonders pikant war im Jahr 2000 Boltons Erklärung im Rundfunksender National Public Radio, wie er sich eine Reform der UNO vorstelle, in deren Sicherheitsrat es nach einem Umbau nur noch einen permanenten Sitz geben solle. Und auf dem säßen die USA. Bolton hat sich auch dafür eingesetzt, dass Taiwan volles UN-Mitglied werden solle. Republikaner vom konservativen Parteiflügel reagierten bereits begeistert auf die Ernennung des Hardliners: Er werde den "Debattierclub in New York" auf Vordermann bringen.

Condoleezza Rice hatte während ihrer kürzlichen Europa-Tour bei vielen ihrer Gastgeber Hoffnungen auf mehr Multilaterales, Moderates und Versöhnliches in der Politik der USA geweckt. Die Außenministerin erinnerte von ihrer Strategie der Beschwichtigung her durchaus an Colin Powell, nur verfügt sie im Unterschied zu ihrem Vorgänger über enge persönlichen Bindungen an den Präsidenten. Und daraus entstehen Nominierungen wie die von John Bolton oder dessen Gesinnungsfreund Paul Wolfowitz zum neuen Chef der Weltbank (ein Echo aus den sechziger Jahren, als seinerzeit Robert McNamara seine "Sünden" als Verteidigungsminister in der Anfangszeit des Vietnamkrieges durch gute Taten in der Weltbank abarbeiten durfte).

Manche Kommentatoren schlagen nun unüberhörbar Alarm, Boltons Ernennung demonstriere, die zweite Amtszeit des Präsidenten werde erneut von Alleingängen geprägt - anders lautenden Prophezeiungen zum Trotz. Das ist freilich noch nicht entschieden. Man kann Boltons Berufung auch anders deuten: Im Außenministerium hatte er als Staatssekretär am politischen Kuchen mitgebacken. In der UNO wird er hauptsächlich das Gebackene servieren. Es könnte auch sein, dass Condoleezza Rice dieser Personalentscheidung zugestimmt oder sie zumindest hingenommen hat, um den erklärten Falken aus Washington zu entfernen. Und nach außen hin sieht es so aus, als würde Rice viel Rücksicht nehmen auf den neokonservativen Flügel. Bolton hätte zwar in der UNO eine Plattform für seine Reden, wäre aber letztendlich ein Weisungsempfänger. Wie sich die US-Regierung zu Kofi Annans Reformplänen stellt, wird nicht Bolton entscheiden, sondern das "Team" in Washington. Wer gern im Kaffeesatz liest und über Interna spekuliert: Die Tatsache, dass Rice und nicht der Präsident Boltons Nominierung bekannt gegeben hat, könnte auch so gedeutet werden, dass damit die Grenzen für den künftigen Einfluss des Kandidaten innerhalb der amerikanischen UN-Mission umrissen wurden: Boltons Chefin Rice will sich nicht dazwischen funken lassen.


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