Es sollte Vergeltung für 9/11 und ein Beweis von Macht sein, tatsächlich haben die USA in Afghanistan nach anfänglichen Erfolgen jahrelang eine desaströse Politik verfolgt. Sie wird nun schöngeredet. Afghanistan war ein überparteiliches Unterfangen. Nur eine Supermacht kann sich solche Verfehlungen leisten. Osama bin Laden, um den es einmal ging, als im Oktober 2001 alles begann, ist seit zehn Jahren tot.
Hauptmann Scott Miller war bei den ersten US-Streitkräften, die nach dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 in Afghanistan gelandet sind. Sie waren auf der Jagd nach Al-Qaida-Drahtziehern, die von den damals herrschenden Taliban beschützt wurden. Gegenwärtig ist der leicht ergraute General Scott Miller zuständig für das Abwickeln der US-Präsenz am Hindukusch. Stichtag ist der von Präsident Biden festgelegte 11. September 2021.
Erfolg sieht anders aus
Material wird ausgeflogen, einiges zerstört, manches afghanischen Einheiten überlassen, Stützpunkte machen dicht, die Küche bleibt kalt in den bei Soldaten beliebten Fast-Food-Lokalen. „Es läuft sehr gut“, versicherte Miller im Sender CBS, teilweise sei man dem Zeitplan voraus. Dann die Frage des Korrespondenten: Ob Miller beim ersten Einsatz in Afghanistan gedacht hätte, er würde 20 Jahre später noch immer dort sein? – „Absolut nicht.“
Erfolg sieht anders aus. Die islamistischen Taliban gewinnen an Boden. Die USA haben die „heiligen Krieger“ unterschätzt und offenbar eigenen irrlichternden Prognosen geglaubt, und man glaubt gern. Die USA würden von außen Einfluss nehmen, „sodass Afghanistan nicht wieder ein Rückzugsort für Terroristen wird“, versicherte David Helvey, der für Sicherheitsfragen in der Region zuständige Vertreter des Pentagon, bei einer Kongressanhörung im Mai.
Die Verantwortung dafür, dass zwei Jahrzehnte lang US-Soldaten und Verbündete aus mehr als drei Dutzend Ländern in Afghanistan gekämpft haben, ist in Washington gut verteilt auf Politiker beider Parteien, Militärs und kluge Experten. Unter Präsident Obama stieg 2010 die Zahl der Männer und Frauen auf US-Basen in Afghanistan vorübergehend auf gut 100.000. Sie flogen Luftangriffe, kämpften gegen Taliban-Verbände, patrouillierten auf holprigen Landstraßen, bauten Netzwerke von Informanten, sicherten US-Einrichtungen, nahmen Verdachtspersonen fest und überstellten sie afghanischen Einheiten zum Verhör und mehr. Soldaten anderer Nationen sollten für Sicherheit sorgen und die Afghanische Nationalarmee (ANA) auf Vordermann bringen. Getragen von einer Berufsarmee wurde der Krieg aus US-Sicht normal und war weit weg. Nur wenige Amerikaner hatten familiäre Bindungen zu den entsandten Militärs.
Anfangs wurden die Taliban schnell aus Kabul und Kandahar vertrieben. Donald Rumsfeld, Verteidigungsminister von Präsident Bush, gab am 1. Mai 2003 bekannt, man bewege sich weg von „größeren Kampfeinsätzen hin zu einer Periode der Stabilität und Stabilisierung sowie Wiederaufbauaktivitäten“. Doch nur vier Monate später vertraute Rumsfeld einem Untergebenen an, er wisse nicht, wer die „Bad Guys“ seien. Er lese viele Geheimberichte, die den Eindruck erweckten, „wir wissen eine ganze Menge, doch wenn man genauer nachfragt, stelle man fest, dass wir nichts Verwendbares haben“. Ein paar Monate später schrieb der Minister, die US-Regierung investiere elf Milliarden Dollar im Jahr für Afghanistan. Doch da es nicht das Ziel sei, „unser Militär permanent dort zu behalten“, brauche man einen detaillierten Plan, um „die Finanzierung von unserem Militär auf das afghanische zu verlegen“.
Vor rund 50 Jahren publizierte die New York Times die ersten Auszüge der sogenannten „Pentagon Papers“ über die Irrtümer im Vietnamkrieg und die fortgesetzten Lügen von Fortschritt auf dem Kriegsschauplatz in Indochina. Die Rumsfeld-Memos zählen zu den „Afghanistan Papers“, die 2019 von der Washington Post veröffentlicht wurden. Die mithilfe des Informationsfreiheitsgesetzes erstrittenen Dokumente stammen vom Generalinspektor für Wiederaufbau in Afghanistan, einer vom US-Kongress eingerichteten Instanz. Sie enthalten Interviews mit etwa 400 Militärs, Diplomaten und Beratern – man wollte aus ihrer Erfahrung lernen. Die Befragten sprachen über massive Korruption und fehlende Orientierung beim Zusammenspiel von Counterinsurgency, „Demokratisierung“ und Entwicklungshilfe. Besonders kamen fortgesetzte Versicherungen zur Sprache, die multinationale Koalition mache Fortschritte, während in Wirklichkeit die Taliban Gelände einnahmen und durch den Drogenhandel enorm verdienten.
Biden steht unter Druck
General Michael Flynn – einer der renommiertesten Geheimdienstexperten des US-Militärs, bevor er zu Donald Trumps Nationalem Sicherheitsberater wurde und heute der Legende von der „gestohlenen Wahl“ anhängt – lieferte eine Antwort auf das Warum: „Wir sind ein so starkes Land, aber wir sind weggekommen von der Idee, wie wir tatsächlich gewinnen können. Da ist eine Maschinerie hinter dem, was wir tun, und diese lässt uns weiterhin am Konflikt teilnehmen, weil das Geld bringt.“ Tatsächlich war Afghanistan ein wahres Schlaraffenland für moderne Söldner und Dienstleister.
Joe Bidens Prioritäten liegen bei Covid-19 und einer wiederbelebten Wirtschaft. Außenpolitik soll nicht stören. „Wir sind nach Afghanistan gegangen wegen eines entsetzlichen Angriffes vor 20 Jahren“, hat er den Abzug rhetorisch verpackt. Das könne nicht erklären, warum man 2021 weiter bleiben sollte. Die Herausforderungen hätten sich verlagert, auch zum „zunehmend selbstbewussten China“ hin. Man müsse die Pandemie bekämpfen und das globale Gesundheitswesen stärken.
Der Präsident steht unter Druck: Sein Vorgänger hatte die USA in einem Abkommen mit den Taliban zum Abzug bis spätestens Anfang Mai verpflichtet. Donald Trump rüstete auf, doch konnte er – bei seiner Manie, gewinnen zu müssen – in einer Afghanistan-Präsenz keinen Sinn mehr sehen. Zur Zukunft gab General Mark Milley als Vorsitzender der Vereinigten Stabschefs eine abwartende Prognose ab. Es gebe nach wie vor viele Möglichkeiten. Die Eroberung Kabuls durch die Taliban sei keine „vorab feststehende Sache“. Etwa 2.300 US-Militärs sind in Afghanistan gefallen.
Kommentare 12
Die Hybris der USA samt ihrer Verbündeten ist phänomenal. Kann auf der US Botschaft in Kabul ein Hubschrauber landen?
Mit etwas Selbstachtung sollte sich unsere Regierung aus der Umarmung durch das USA Regime lösen. Mit diesen "Grünen" und anderen Vasallen steht das leider nicht auf der Tagesordnung.
Wie war die Position zur NATO/USA der SPD im Berliner Programm ? Ich glaube,da gab es gute Ansätze.
Sagen Sie mal, was soll das eigentlich, was Sie hier abgeliefert haben?
Vergeltung für 9/11?
9/11 war vielmehr die AUSREDE, die die USA verwendeten (benötigten), in Afghanistan einzufallen – bereits vier Wochen nach 9/11. Afghanistan- und Irakkrieg waren da längst von langer Hand geplant. Wollen sie uns wirklich verkaufen, ein Krieg wg. 9/11 sei innerhalb von vier Wochen vorbereitet?
Für diesen Krieg wurde von den USA und der NATO der Bündnisfall ausgerufen. Man erklärte, die USA seien kriegerisch angegriffen worden. 9/11 war nach deren Logik der Anfang eines Krieges gegen die USA, die es jetzt kriegerisch zu verteidigen gelte. Die Gegner hatten westliche Think Tanks des Hegemonen definiert. Der Lump von George W. Bush begann in Afghanistan seine elenden Feldzüge gegen den War On Terror.
Warum eigentlich ist die USA-NATO in Afghanistan eingefallen?
Osama bin Laden, der Saudi, musste als Schreckgespenst herhalten, um den militärischen Einfall in Afghanistan halbwegs zu legitimieren. Dabei wusste man, dass die Architekten des World-Trade-Center-Attentats in Saudi-Arabien saßen. 15 der 19 Täter von 9/11 hatten die saudische Staatsbürgerschaft, zwei die der Vereinigten Arabischen Emirate und je einer aus Ägypten und dem Libanon. Kein einziger Afghane ist jemals als Täter oder Mittäter von Nine/Eleven ermittelt worden.
Osama bin Laden war ein Saudi und ehemaliger Mudschahed im Kampf gegen die Sowjets, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, den Sturz der "pro-kommunistischen" afghanischen Regierung durch die USA zu vereiteln.
Die Taliban, die als Mudschahedin im Kampf gegen die Sowjetunion die vollste Unterstützung auch der Vereinigten Staaten genossen und von diesen zur schlagkräftigen Rebellengruppe geformt wurden.
Außerdem: Niemand hat irgendeinen Beweis für die Täterschaft von Osama bin Laden vorgebracht. Da finden Sie nichts, was irgendwie gerichtsfest wäre. Das ist die Feststellung von Condoleezza Rice, von 2005 bis 2009 war sie Außenministerin der Vereinigten Staaten unter George W. Bush
Getötet wurde bin Laden auch nicht in Afghanistan, sondern im benachbarten Pakistan.
…
»Sie waren auf der Jagd nach Al-Qaida-Drahtziehern, die von den damals herrschenden Taliban beschützt wurden.«
So? War das so? Dabei hat es bis in die Zeiten von Donald Trump hinein eine CIA-Unterstützung von Al-Qaida gegeben, die erst Trump abstellte. Letzteres transportieren devote Medien nicht so gerne. Das passt nicht gut in ihr Trump-Narrativ.
…
»Der Präsident steht unter Druck: Sein Vorgänger hatte die USA in einem Abkommen mit den Taliban zum Abzug bis spätestens Anfang Mai verpflichtet.«
Wieso steht der Bellizist Biden hierdurch unter Druck. Biden selbst ist einer der Stifter dieses Afghanistan-Debakels und will dort ganz einfach gesichtswahrend verschwinden. Hierdurch steht er unter Druck!
Biden setzt die Politik um, die er schon 2009 gerne gemacht hätte. Das mag gut oder schlecht sein, situationsgerecht oder nicht, aber nach zwölf Jahren Misserfolgs darf man wohl sagen, dass er mit seiner Sicht an der Reihe ist.
"Etwa 2.300 US-Militärs sind in Afghanistan gefallen."
Es haben sich mittlerweile wohl sehr viel mehr Soldaten selbst umgebracht, als Zivilisten bei den 9/11-Attentaten umkamen. Man sollte eigentlich annehmen, dass allein wegen dieser Tatsachen dann auch mal Konsequenzen gezogen werden.
Schon interessant, dass sich General Flynn mal traut:"Da ist eine Maschinerie hinter dem, was wir tun, und diese lässt uns weiterhin am Konflikt teilnehmen, weil das Geld bringt.“
https://www.nzz.ch/gesellschaft/die-gebrochenen-helden-ld.1326621
Das alles sollte sich doch längst auch in der US-Army rumgesprochen haben. Aber als wahrscheinlich ganz gut zahlender "Arbeit"geber offensichtlich immer noch attraktiv. Bis zum bitteren Ende.
»Biden gab zusammen mit 97 Kollegen Präsident George W. Bush grünes Licht für den Einsatz militärischer Gewalt, um die afghanische Taliban-Regierung zu beseitigen, die die Al-Qaida-Terroristen beherbergte, die sie für den 11. September 2001 verantwortlich machten.«
Der Demokrat Biden gab zusammen mit 97 Kollegen dem Republikaner George W. Bush grünes Licht...
... und es war noch gar nicht lange her dass die Taliban im "Wertewesten" als "Ordnungsmacht" gelobt wurden...
Danke für deine Unterstützung!
"Da ist eine Maschinerie hinter dem, was wir tun, und diese lässt uns weiterhin am Konflikt teilnehmen, weil das Geld bringt.“ Tatsächlich war Afghanistan ein wahres Schlaraffenland für moderne Söldner und Dienstleister."
Hier steckt der Kern warum der unsinnige Krieg so lange andauert. Krieg ist privatisiert worden. Interessengruppen haben fett abgesaht und tun es immer noch. Die selben "externen Dienstleister" erstellen dann auch die "Erfolgsmeldungen" und Strategien, wie der Krieg denn doch noch zu gewinnen sei. (was man eigentlich meint ist wie man weiterhin Profit daraus schlägt). Sie sind auch verantwortlich für andauernde, ungesühnte Greueltaten an Zivilisten, deren Angehörige hinterher die Ränge der Taliban füllen. So geht dass dann ewig weiter.
Nur verliert man militärisch langsam entgültig den Boden, und es wird immer teurer in Afghanistan weiter Krieg zu spielen, bzw. Zuhause die Versäumnisse irgendwie vor der Bevölkerung schön zu reden. In anderen Konflikten ist es mitlerweile nicht anders.
Biden isn't ending the Afghanistan War, he's privatizing it: Special Forces, Pentagon contractors, intelligence operatives will remain | The Grayzone
Der Krieg ist ein besseres Geschäft als der Friede. Ich habe noch niemanden gekannt, der sich zur Stillung seiner Geldgier auf Erhaltung und Förderung des Friedens geworfen hätte. Die beutegierige Canaille hat von eh und je auf Krieg spekuliert.
Carl von Ossietzky (1889 - 1938), deutscher pazifistischer Chefredakteur der "Weltbühne", Schriftsteller und Symbolfigur des Widerstands gegen das NS-Regime, Friedensnobelpreis 1935
Quelle: Ossietzky, in: Die Weltbühne. Offener Brief an Reichswehrminister Groener, 8. Dezember 1931
"Osama bin Laden, um den es einmal ging, als im Oktober 2001 alles begann, ist seit zehn Jahren tot." – Natürlich ging es NIE um Osama bin Laden: Bush hatte nicht nur schon im Frühjahr 2001 den Taliban gedroht, sie würden mit einem Bombenteppich zugedeckt, wenn sie sein Angebot eines "goldenen Teppichs" für die Erlaubnis, eine Pipeline durch Afghanistan zu bauen, nicht annähmen. Vor allem hatten die US-Truppen Tora-Bora, bin Ladens angebliches Versteck, eingekreist … aber eine Straße als Fluchtweg offen gelassen, über welche bin Laden und seine Leute dann seelenruhig unter den Augen der verdutzten Soldaten abziehen konnten. Wenn man aber von falschen Voraussetzungen (wie dieser Artikel) ausgeht, kann man Beliebiges daraus "ableiten" – wie schon Aristoteles wusste, auf Latein lautet dieser eherne Grundsatz der Logik: "Ex falso quodlibet"
Bei jetziger Struktur und Aufbau sind das US-Militär, die ISAF - und natürlich die Bundeswehr, als Teil davon - wie „Sitting Ducks“ in Afghanistan, falls die für dieses Jahr geplanten NATO-Abenteuer in der South-China-Sea schiefgehen, oder die Gesamtsituation USA-PRC eskaliert.
… vielleicht ein guter Grund für den etwas überraschenden verstärkten Rückzug ausgewählter US / ISAF-Truppen aus dem besetzten Land.
Die US werden ihre militärische Präsenz in irgendeiner Weise aufrechterhalten, die logistischerweise für sie Sinn macht.
Mit dem Unterhalt von weltweiten Truppenübungsplätzen kennt man sich im Pentagon aus.