Einmal Shanksville und zurück

USA Mythen und Legenden über den 11. September 2001

Präsident Bush blieb am 11. September in Washington. Eine eher bescheidene Zeremonie auch am Pentagon. In Shanksville, dem Dörfchen in Pennsylvania, wo das vierte Flugzeug abstürzte, wurden Bäume gepflanzt. Und in Afghanistan und im Irak setzten US-Soldaten den nach 9/11 ausgerufenen Krieg fort: So verlief der zweite Jahrestag der Anschläge des 11. Septembers 2001.

Für die Angehörigen der Toten wird die Welt wohl nie mehr ganz heil, aber im übrigen Amerika gehört 9/11 allmählich zum Inventar der Trauertage. Viele Amerikaner beklagen, sie hätten das Gefühl der Unverwundbarkeit verloren, haben Angst und neigen dazu, sich zu bewaffnen. Das christliche Amerika, und das ist groß, sucht spirituellen Sinn: Am Absturzort in Shanksville haben Einwohner Engelsfiguren aufgestellt, nach dem Gedanken: Wir haben Menschen verloren, und Engel dazu gewonnen. Und Besucher dort erfahren von einer zerfransten Bibel, die nach dem Absturz gefunden worden sei, aufgeschlagen zum 23 . Psalm. Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.

Gleichzeitig werden in den USA und besonders auf der anderen Seite des Atlantiks Stimmen laut, die an der offiziellen 9/11-Version von muslimischen Terroristen Zweifel anmelden, meist in Form von Fragen und Sätzen im Konjunktiv. Weil Bush und Co. es bei der Mobilmachung zum Krieg gegen den Irak mit der Wahrheit nicht sehr genau nahmen, könnte es doch gut sein, dass sie zu 9/11 lügen, und bei den Attentaten die Hand mit im Spiel hatten, um Zustimmung zu schaffen für ihre neue Kriegspolitik.

Wie bei einem Hurrikan

Bücher und Internetseiten überwältigen die Leser mit Thesen zu den Handy-Telefonaten aus den entführten Flugzeugen, die wegen der Flughöhe gar nicht stattgefunden haben können, zu Abfangjägern, die auf dem Boden geblieben seien, zum Flugzeug von Shanksville, das sich samt Insassen geradezu in Luft aufgelöst habe (es wurde kein Wrack gefunden), und zu manch anderem, eingewickelt in der Kernaussage, dass man sich bei der Analyse um eine Frage besonders kümmern müsse: Cui bono - wem haben die Anschläge genützt?

Shanksville gilt Skeptikern als starkes Indiz, dass es nicht mit rechten Dingen zuging. Man glaubt nicht, dass die Boeing auf dem United Airlines Flight 93 in den Boden gekracht ist. Genaues weiß man natürlich nicht über den "wirklichen" Tathergang, auch nicht über den Verbleib der angeblich verschwundenen Maschine und ihre Passagiere, aber fest stehe: In Shanksville sei sie nicht abgestürzt. Das habe doch schon der Bürgermeister von Shanksville nach seiner Ankunft noch am Ort des vermeintlichen Infernos gesagt: "Da war kein Flugzeug". Die Polizei habe das Gelände schnell weiträumig abgesperrt.

Kritiker an der offiziellen Version der Ereignisse machen einen verhängnisvollen Fehler: Sie benutzen die Verwunderung des Bürgermeisters als Zusammenfassung und Schlussfolgerung, in Wirklichkeit war sie Auftakt eines tagelangen Dramas in der Wiese von Shanksville. Das wird deutlich bei Gesprächen mit anderen Zeugen und Rettungsarbeitern. Richard Lohr ist Chef des Department of Emergency Services im Landkreis Somerset, zu dem Shanksville gehört, und als solcher verantwortlich für Katastrophenschutz und Rettungsdienste. Seine Leute waren gleich nach dem Crash am Absturzort, arbeiteten mit dem FBI und anderen Behörden. (*)

Auch die hätten sich anfangs gewundert: Da konnte man kein Flugzeug sehen, nichts, was man sonst gewöhnt sei nach Abstürzen. Nur höchstens Handteller große Metallteile, Nieten und viel Draht. Aber dafür gebe es eine Erklärung. Das Flugzeug - so Lohr - habe sich mit einer Geschwindigkeit von mehr als 800 Stundenkilometern teils in den wiederaufgefüllten lockeren Boden eines Kohletagebaus gebohrt. Die Explosion des Kerosins habe die übrigen Teile zerfetzt und verstreut, und zwar mit einer solchen Wucht, dass sich Metallteile sogar in Bäume gebohrt hätten, wie bei einem Hurrikan.

Das FBI habe die Black Box und größere Teile der Maschine erst in einer Tiefe von elf Metern im Krater gefunden, berichtet Lohr. Nach Abschluss der FBI-Arbeiten an der Absturzstelle habe er die Operation Clean Sweep organisiert, bei der 300 Freiwillige die Stelle abgekämmt hätten. Dabei seien etwa 20 bis 30 Prozent des Flugzeugs eingesammelt worden, auch menschliche Knochen habe man geborgen.

Tätowierung auf der Schulter

Jeff Phillips, etwa 30, arbeitet bei der Autoverwertung Stoystown Auto Wreckers in der Nähe des Absturzortes. Sein Kollege Terry Butler nahm damals gerade auf dem Autofriedhof der Firma einen PKW auseinander. Er habe ganz in der Nähe ein Passagierflugzeug sehr niedrig fliegen sehen, erzählt Terry heute. "Es kam über diesen Hügel, flog etwa parallel zum Grund, stieg ein bisschen auf, dann ist es so nach rechts abgebogen". Und verschwand aus Butlers Blickfeld. Dann habe er einen lauten "Boom" gehört, Rauch sei aufgestiegen. "Ruft 911 an, ruft 911 an!", habe er in seinen Walkie Talkie an seine Kollegen in der Werkstatt geschrieen. Butler kommen noch heute die Tränen. Auf seine Schulter hat er sich "Flight 93" tätowieren lassen, "um die Angehörigen zu ehren".

Phillips hörte Terrys Alarmruf, rannte mit dem Vorarbeiter zu dessen Auto. Dann seien sie hinter einem Krankenwagen her an die Absturzstelle gefahren. Dort habe das Gras gebrannt und alles stark nach Treibstoff gerochen, sagte Jeff. "Wir haben uns angeschaut: Wo ist das Flugzeug, wo sind die Menschen?" Aufgefallen seien ihm nur Papierschnipsel, Gutscheine und andere leichte Gegenstände. Einen Schuh habe er gesehen, und so etwas wie ein Sitzkissenpolster. Dann sei er direkt zum Krater gegangen. "Ich habe hinuntergeschaut, und gesagt: ›Da ist unser Flugzeug‹ ". Es sei in der "sehr weichen Erde" verschwunden. Er habe aber ein Triebwerksteil gesehen, das in lange, dünne Metallstreifen zerfetzte Gehäuse des Triebwerkes und etwas vom Fahrgestell des Flugzeuges. FBI-Beamte hätten ihn dann weggeschickt.

Trotz des Gegenbeweises hält sich auch die Geschichte, dass der Flight-93-Passagier Todd Beamer via Handy 13 Minuten lang mit einer Telefonistin gesprochen und diese informiert habe über die Entführung. Kann nicht sein, sagen Skeptiker, Handys funktionieren so weit oben nicht. Da haben sie recht. Beamer hat aber nicht mit seinem Handy angerufen, sondern mit einem Airfone des Flugzeuges. Telefoniert hat er mit Lisa Jefferson, einer Telefonistin der Firma Verizon Airfone, die sich noch genau erinnert.

Nach erschütternden, geschichtsverändernden Ereignissen - dem Mord an John F. Kennedy zum Beispiel - sucht man nach Erklärungen, will Erklärungen, die "groß" genug sind, um die Tragweite des Geschehens abzudecken, und zugleich das Weltbild des "Suchers" zu bestätigen. So auch bei 9/11, wo alle möglichen Gewächse auf dem Boden des Zorns gedeihen, den die USA des George W. Bush ausgelöst haben.

Diesen Sport betreiben Kritiker, die eigentlich eher links einzuordnen sind, genauso wie Kritiker von ganz rechts. Rechte Verschwörungstheorien führen schnell zu "den Juden". Und manchmal sind links und rechts nur einen Maus-Click voneinander entfernt. Die Website (www.hintergrund.de) zur Ankündigung des kürzlichen 9/11-Kongresses im Berliner Tempodrom, zu dem die führenden Kritiker geladen waren, bietet ein Link an zu der rechtsextremen US-Zeitung www.americanfreepress.net. Dort wird unter anderem versichert, Israel habe im Voraus Bescheid gewusst und in Kauf genommen, dass auch Juden im World Trade Center umkommen würden.

Konvent zum Jahrestag

Wenn Präsident Bush 2003 nicht zu den 9/11-Gedenkfeiern in New York, am Pentagon oder in Shanksville kam, mag es damit zusammenhängen, dass die politischen Winde nun ein bisschen anders wehen. So manches ist ja wirklich noch offen, etwa ob die Bindungen des "Erdölpräsidenten" an das saudische Regime den saudischen Tätern und ihren Geldgebern die "Arbeit" erleichtert haben. Oder wer in der Regierung wirklich verantwortlich ist, dass 9/11 nicht vorher aufgedeckt wurde, und inwiefern die Strategen des Afghanistan-Krieges Verantwortung übernehmen müssen für einen wachsenden fundamentalistischen Terrorismus.

2004 um diese Zeit planen die Republikaner ihren Parteikonvent in New York, um den 9/11-Patriotismus mit dem triumphalistischen Patriotismus der Republikaner zu vermengen. Aber wer weiß, wie die Welt in einem Jahr aussieht. Wenn US-Soldaten dann noch immer im Irak und noch immer unter Beschuss liegen, sieht sie vielleicht ganz anders aus. Dann erinnern Ground Zero und der Jahrestag an eine verfehlte Politik. Mit Verschwörungen hat das Ganze nichts zu tun. Es geht um Strukturen der amerikanischen Politik.

(*) Konrad Ege interviewte Lohr bei Recherchen für die WDR-Sendung Wahrheit oder Täuschung? Verschwörungstheorien zum 11. September, ausgestrahlt am
10. September.

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