Eis mit Stil?

Streik Die US-Eishockey-Liga NHL hat ihre Spieler ausgesperrt – die NFL bis vor kurzem die Schiedsrichter. Ein Arbeitskampf, der sich gegen die Missstände im Profisport wehrt
Mancher NHL-Spieler denkt über einen Transfer nach Europa nach
Mancher NHL-Spieler denkt über einen Transfer nach Europa nach

Foto: Jim McIsaac / Getty Images

Mitt Romney spricht von den 47 Prozent, die ein Schmarotzer-Dasein auf Kosten des Staates führen. Occupy wiederum sagt, 99 Prozent leiden unter einem Prozent der Bevölkerung. Kurz: Soziale Gerechtigkeit ist in den Vereinigten Staaten ein Riesenthema. Sogar dort, wo der Amerikaner bei Bier und Burger den Alltag vergessen möchte – beim Sportschauen – ist harter Arbeitskampf angesagt, denn in der National Hockey League (NHL), der nordamerikanische Eishockey-Profiliga, wird gestreikt.

Genauer: Die Tarifverhandlungen zwischen der NHL und der Spielergewerkschaft sind gescheitert. Die Eigentümer der 30 nordamerikanischen Profiteams wollen den Anteil der Spieler von den NHL-Einnahmen – vergangene Saison waren es 3,3 Milliarden Dollar und damit höher als jemals zuvor – von geschätzten 57 Prozent auf 47 Prozent reduzieren. Bereits bestehende Spielerverträge würden aufgelöst.

Die Spieler sagten Nein, und die Eigentümer machten die Stadien dicht. Lockout – das heißt, die Teambesitzer schickten ihre Angestellten in die unbezahlten Zwangsferien. Vorbereitungsspiele wurden abgesagt, die Büros der Teams arbeiten auf Sparflamme. Die Florida Panthers haben sogar ihr Maskottchen entlassen – beziehungsweise den Mann, der im Panther-Kostüm die Zuschauer anfeuert.

Die arbeitsrechtlichen Zustände in der NHL ist kompliziert: Die Liga darf mit den Spielern Gesamtarbeitsverträge abschließen. Diese Verträge umfassen über 500 Seiten und regeln alles von Verpflegungspauschalen bei Auswärtsspielen, Umzugskosten bei Transfers, Anzahl der Flüge der Lebenspartnerin zwecks Wohnungssuche, maximal erlaubte Trainingszeiten oder Anzahl der Vorbereitungsspiele pro Spieler. Im Kern aber geht es um etwas sehr Kluges: Finanzausgleich zwischen profitablen und defizitären Klubs. Der sogenannte Salary Cap – eine Art Lohnobergrenze – soll verhindern, dass nicht, wie im europäischen Fußball, die reichsten Vereine die besten Spieler mit hohen Salären anlocken können. Denn eine ausgeglichene Liga ist attraktiver für die Fans und für die Spieler, denen dadurch mehrere interessante Arbeitgeber zur Verfügung stehen.

Trotz dieser an sich guten Ideen ist das Klima in der NHL vergiftet. Man erinnert sich an den Lockout von 2004, der eine ganze Saison lang dauerte. Eine ganze Saison ohne Eishockey! Die Fans in Nordamerika sind sauer. Die europäischen freuen sich. Warum?

Manche NHL-Spieler überbrücken die Zwangspause mit „Gastspielen“ in Europa. Beliebt ist die Schweiz (Joe Thornton und Rick Nash zieht es nach Davos, Star-Center Jason Spezza an den Zürichsee). Viele zieht es aber auch in die Heimat: Jaromir Jágr spielt im tschechischen Kladno, Evgeni Malkin bei Metallurg Magnitogorsk, Pavel Datsuk geht zu ZSKA Moskau und Superstar Alexander Ovechkin zum Stadtkonkurrenten Dynamo Moskau. Unklar ist noch, wo der vermeintlich beste Spieler der NHL hinwechselt: Sidney Crosby. Russland erteilte er eine Absage, die Schweiz macht sich Hoffnungen.

Europas Problem mit der NHL

Für die Spieler ist die Pause ein Problem. Ovechkin äußerte sich in der Washington Post über den Lockout: „Die Eigentümer spielen nicht Hockey, sie blockieren keine Schüsse, sie schlagen sich nicht, sie kriegen keinen drauf. Sie sitzen nur auf der Tribüne und genießen das Spiel.“ Und sie wollen weniger zahlen. Deshalb ging er nach Russland.

Aber so sehr sich die europäischen Fans auf die die Topstars freuen, den Ligen bereiten die temporären Neuzugänge Bauchschmerzen. Vor allem die horrenden Summen für die Versicherung der Löhne sind eine große Belastung; zwischen 2500 und 20.000 Dollar kostet die Versicherung eines Spieler im Monat. Das hat dazu geführt, dass Niklas Bäckström, der finnische Torhüter von Minnesota, nicht zu HIFK Helsinki wechselt, wo er Miteigentümer ist, sondern nach Minsk, das bereit war, seine Versicherung zu decken.

Aber auch die russische Liga (KHL) hat Restriktionen eingeführt. Die 20 Klubs dürfen maximal je drei NHL-Spieler zu maximal 65 Prozent ihres NHL-Lohns verpflichten, zwei davon müssen Russen sein. In der schwedischen Eliteserie wiederum sind nur Lockout-Spieler willkommen, die Verträge bis Ende der Saison abschließen, unabhängig von der Dauer des Lockouts. Man will keine Superstars haben, die sich für ein paar Spiele im Glanz sonnen und dann wieder verschwinden, sobald der Lockout in der NHL wieder beendet ist.

Auch im Football, dem profitabelsten Profisport in den USA, gab es dieses Jahr einen dramatischen Lockout: Er richtete sich gegen die Schiedsrichter. Die 121 Unparteiischen sollten eine Gehaltsreduzierung hinnehmen. Zudem wollte die NFL die garantierte Altersversorgung durch Zahlungen an Aktienfonds ersetzen. Die Schiedsrichter weigerten sich. Und wurden ausgesperrt.

An drei NFL-Spieltagen pfiffen stattdessen Ersatzschiedsrichter, die zuvor nur Spiele in Amateur- und Spaß-Ligen geleitet hatten. Es war kein schöner Anblick. Das Regelwerk der NFL ist komplex. Die Männer (und erstmals eine Frau!) in den schwarz-weiß gestreiften Hemden verloren häufig den Überblick. War das nun ein Foul oder nicht? Ein Touchdown oder nicht? Regelverstöße und Gewalt nahmen zu. Dem Quarterback der Houston Texans, Matt Schaub, wurde beim Zusammenstoß mit einem Verteidiger der Denver Broncos ein Stück vom Ohr abgerissen. Das Spiel der Washington Redskins gegen die Cincinnati Bengals endete im Chaos beim Streit um verbleibende Spielsekunden und einen wutentbrannt auf das Feld stürmenden Coach. Ausgesprochen unschön war die Partie Green Bay Packers gegen Seattle Seahawks. Mit einem umstrittenen Touchdown in letzter Sekunde gewann Seattle 14 : 12.

Die Aussperrung der Referees ist schwer zu erklären. Angeblich ging es um einen Streitwert von gerade eben drei Millionen Dollar. Peanuts gemessen am Umsatz der Liga. Die NFL hat im Vorjahr rund neun Milliarden Dollar eingenommen. Ein Schiedsrichter verdient im Schnitt 8.000 Dollar pro Spiel. Die Eigentümer sind Multimillionäre oder gar Milliardäre wie Jerry Jones von den Dallas Cowboys, Paul Allen von den Seattle Seahawks und Dan Snyder von den Washington Redskins. 15 der 32 Besitzer stehen auf der „Forbes Liste der 400 reichsten Amerikaner“.

Schwere Gehirnschäden

Diesen Eigentümern – die Mehrzahl bekannt als stramm konservativ – geht es bei der Aussperrung der Schiedsrichter offenbar ums Prinzip. Sie benehmen sich wie das sprichwörtliche eine Prozent. Großer Konfliktpunkt war offenbar die Altersversorgung, denn bisher finanzierten die Eigentümer eine Rentenversicherung für die Unparteiischen, die zu festen Rentenzahlungen verpflichtete. Dazu erläuterte NFL-Commissioner Goodell in der Huffington Post, das könne nicht so weitergehen, in den USA sei diese Art der Altersversorgung am Verschwinden. Da hat er recht. Feste Betriebsrenten waren früher Teil vieler Tarifverträge. Bei Tarifverhandlungen heute stehen die Renten ganz oben auf der Abschussliste.

Im Trend liegen NFL und NHL auch mit Forderungen nach Zugeständnissen selbst bei Profitabilität. Eher unglaubwürdig ist jedoch der Appell, die Schiedsrichter müssten sich veränderten Wirtschaftsbedingungen und der Marktwirtschaft anpassen. Die NFL ist in den USA ausgenommen vom Kartellgesetz: Sie hat mit Marktwirtschaft wenig zu tun. Die Eigentümer konkurrieren nicht gegeneinander, sondern teilen die Profite auf, sprechen sich ab beim Vertragsabschluss mit Neuzugängen und verpflichten sich zu Gehaltsobergrenzen.

Am Ende schalteten sich sogar Barack Obama und Mitt Romney in den Tarifstreit ein. Sie drängten auf ein schnelles Ende. Selbst Scott Walker, der republikanische Gouverneur von Wisconsin, sprach sich für die Rückkehr der regulären und gewerkschaftlich organisierten Schiedsrichter aus. Er war entrüstet über die Niederlage der Green Bay Packers, dem Team aus Wisconsin. Gleichzeitig will eben jener Walker in Wisconsin den im öffentlichen Sektor Beschäftigten das Recht auf Gewerkschaften absprechen.

Nur Verlierer

Die Erleichterung bei Coaches, Spielern und Fans war schließlich groß, als es letzte Woche zu einer Einigung kam. Der Druck und die Unzufriedenheit der Zuschauer dürfte es der Vereinigung der NFL-Schiedsrichter (NFLRA) in den Verhandlungen mit der Liga leichter gemacht haben, ihre Positionen durchzusetzen. Im neuen, auf acht Jahre angelegten Vertrag erhalten die Schiedsrichter höhere Löhne und bessere Renten. Ihre Löhne sollen von derzeit 149.000 Dollar auf 173.000 Dollar im nächsten Jahr und schließlich auf bis zu 205.000 Dollar im Jahr 2019 steigen. Manche Schiedsrichter sollen ab nächstem Jahr zudem als Vollzeitkräfte arbeiten können.

Aber damit sind noch lange nicht alle Probleme der NFL gelöst: Immer mehr wissenschaftliche Studien können belegen, dass Footballspieler beim gewaltsamen Zusammenstoß langfristig schwere Gehirnschäden davontragen mit alzheimerartigen Symptomen. Bis vor wenigen Jahren hat die NFL das stets kleingeredet. Wer auf dem Spielfeld umgehauen wurde und k.o. ging, der musste sich anschließend nur mal kurz hinsetzen, dann ging es weiter. Die organisierte Gewalt der modernen Gladiatoren auf dem Rasen hat die NFL groß gemacht.

Heute wird der Zusammenhang von Football und Gehirnschäden ernster genommen. Die Helme wurden verbessert und das regelwerk verändert, um Kopf-gegen-Kopf-Kollisionen – eine der spektakulärsten, aber eben auch gefährlichsten Situationen im Football – zu vermeiden.

Mehr als 3.000 Ex-Spieler haben die NFL aufgrund von Spätschäden verklagt. Das könnte selbst einer neun Milliarden Dollar schweren Industrie schwer zu schaffen machen. Auch wegen der Nachwuchs- und Versicherungsfrage: NFL-Spieler kommen aus den Football-Ligen der Colleges. Und die haben keine finanziellen Reserven für Zivilklagen und eskalierende Versicherungsprämien.

Und wie geht es weiter beim Eishockey? Es gibt zwei Interessentengruppen, die in den letzten sieben Jahren von der NHL profitiert haben. Zum einen die Spieler, die durchschnittlich 2,4 Millionen Dollar pro Jahr verdienen. Und zum anderen die oberen zehn Prozent der NHL-Besitzer, die aufgrund der Lohnobergrenze für Spieler jetzt Millionen in die eigene Tasche stecken konnten.

Wer aber profitiert vom diesjährigen Lockout? Wenig wird ruchbar über die Gespräche mit der Spielergewerkschaft. Die Eigentümer und die Spieler seien weit entfernt voneinander, heißt es nur. Schon jetzt ist absehbar, dass es am Ende wohl vier Verlierer geben wird:

1. Die Besitzer – denn ohne Eishockeyspiele hat der Verein auch keine Einnahmen.

2. Die Spieler – besonders jene, die weder in Europa überwintern, noch ein hohes Gehalt haben.

3. Die Nebenverdiener – die Eishockey-Liga ist ein gigantisches Unternehmen, an dem viele kleinen Betriebe mitverdienen. Keine Spiele in der NHL bedeutet große Verluste für die Bars im Umfeld, für die Hot-Dog-Verkäufer, für die Ordner und Ticket-Verkäufer.

4. Die Fans – denn so sehr man sich in Europa über die Stars freut; es ist ein bisschen wie die Vorrunde beim DFB-Pokal schauen, wenn Bundesligisten Hobbykicker 14:0 abfertigen, aber auch mal straucheln. Nett anzusehen, aber irgendwann freut man sich wieder auf echte Duelle.

Konrad Ege hatte zuletzt die schwindenden Chancen der Republikaner im US-Wahlkampf kommentiert

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