Ein demokratischer Präsident wie Barack Obama würde nach einem solchen Wahlsieg die Fenster öffnen – wenn nicht aufreißen– für Reformen, wollte das linke, grüne und progressive Amerika vor zwei Jahren glauben. Doch die historische Chance ist verpufft.
100.000 dürften es gewesen sein, die Ende August vor dem Lincoln Memorial in Washington unter dem Motto "Restoring Honor" zusammen kamen. Man müsse Amerikas angeblich schwer angeschlagene Ehre retten. Initiator der Kundgebung gegen einen vermeintlich rufschädigenden Liberalismus – verkörpert durch Barack Obama – war Glenn Beck, Supermoderator bei Rupert Murdochs FOX-Fernsehen. Als Hauptrednerin empfahl sich Ex-Gouverneurin Sarah Palin, ebenfalls aus dem Hause FOX und in ihrer Eigenschaft als Soldatenmutter gebeten. Ein paar Kilometer entfernt erinnerten ein paar hundert Bürgerrechtler an Martin Luther King, der vor 47 Jahren, auf den Tag genau am 28. August, vor dem Monument für Präsident Lincoln seine "Ich habe einen Traum"-Ansprache gehalten hatte.
Womit die politischen Zustände knapp zwei Jahre nach Obamas Wahlsieg und zwei Monate vor den Kongresswahlen beschrieben wären. Die Rechten bestimmen Ton und Kurs der Debatte. Ein scharfer Kontrast zu den ersten Monaten der Regierung Obama, als die Republikaner scheinbar orientierungslos durch Washington stolperten. Der neue Präsident hatte einen Draht zur Nation, die dankbar schien für Wandel nach acht Jahren Terror-Paranoia, Irak-Krieg und Wirtschaftskollaps. Wenn in den USA nach George Bush die Karten je neu verteilt werden konnten – das war der Moment. Der schwere Mantel des Rassismus schien gelüftet. Der Kulturkrieg ebbte ab. Der Altar der freimarktwirschaftlichen Lehre schien angefault. Selbst Ronald Reagans Grundsatz, dass die Regierung das Problem sei, landete auf der Müllhalde der Geschichte, musste doch der Staat die Banken retten. Die Geldgeber der Finanzindustrie wünschten sich einen kompetenten Manager.
Die Rechte baut sich auf
Doch lange dauerte es nicht, bis Reagan recycelt wurde und die rechte Opposition sich sammelte. Während Obamas Anhänger noch über zehn Millionen Online-Aktivisten feierten, betankten die Konservativen ihre Institutionen. Im FOX-Fernsehen, einem für die deutsche Medienszene nicht vorstellbaren Propagandaapparat, wurden ohne Rücksicht auf die Faktenlage wüste Thesen über die „wahren“ Absichten des schwarzen Präsidenten verbreitet, der in den USA den Sozialismus einführen wolle und bei der Gesundheitsreform „Todeskomitees“. Amerikas Demagogen verheddern sich nicht in Statistiken. Eine rechte Graswurzelbewegung schien aus dem Boden zu sprießen. Weiße Bürger überwiegend aus der Mittelschicht, die Privilegien verteidigen wollten, vereinnahmten eine Episode der amerikanische Revolution und vereinten sich in der Tea Party-Bewegung – eine „Revolution gegen die Elite“ war ausgerufen.
Rechtsideologen bauen sich seit Jahrzehnten eine Infrastruktur. Denkfabriken wie das freimarktwirtschaftliche Cato Institute, die in den Reagan-Jahren mit Geld von der John M. Olin-Stiftung (Chemie und Munition) hochgezogene Heritage Foundation oder das American Enterprise Institute finanzierten „Enthüllungskampagnen“ gegen Bill Clinton. In den vergangenen Jahren traten besonders die Gebrüder Koch als Sponsoren hervor, nach dem Ehepaar Bill und Melinda Gates und Warren Buffett die reichsten Amerikaner. Wie die Journalistin Jane Mayer im Magazin New Yorker dokumentierte, haben Charles und David Koch mit ihren Koch Industries (Öl und Energie) weit mehr als 100 Millionen Dollar spendiert gegen aktiven Klimaschutz und gegen alles, was nach Begrenzung des freien Marktes roch. Im Namen der Freiheit gegen „big government“. Die Kochs begleichen Rechnungen für viele Graswurzel-Aktionen der Tea Party. Wie die Los Angeles Times berichtet, haben sie auch eine Million Dollar für ein Volksbegehren in Kalifornien gegen das dortige Klimaschutzgesetz herüber gereicht. 97 Prozent der neun Millionen Dollar Spenden für ein solches Plebiszit stammen von Öl- und Energiekonzernen.
Die konservative Strömung hat ihr Geld effektiv angelegt. Das linke und liberale Geld hingegen – sei es von den Gewerkschaften, von Spendern aus Hollywood und Umgebung oder von Mäzenen wie dem Milliardär George Soros – hat kaum Institutionen geschaffen. Man finanziert Humanitäres und hofiert politische Kandidaten. Die Gewerkschaften – die „Institutionen“ der Demokratischen Partei – machen in Wahljahren Dutzende Millionen Dollar locker für oft unzuverlässige Politiker. Und sie verlieren Mitglieder. Die traditionell gewerkschaftlich organisierten industriellen Jobs verschwinden. Nur mehr rund sieben Prozent der im Privatsektor Beschäftigten sind Gewerkschaftsmitglieder.
Der Linken droht Stillstand
Die Struktur des Medienmarktes kommt den Rechten zugute. Die Medien sind in den USA ausschließlich kommerzielle und profitorientierte Unternehmen. Gesetze, die eine ausgewogene Berichterstattung einklagen, existieren nicht. „Die Medien“ sind gewiss kein monolithischer Moloch, aber unterm Strich bestimmen Besitzverhältnisse letztendlich, was diskutiert wird.
Da mag man im Weißen Haus noch so lamentieren, Pragmatiker Obama habe doch viel Positives erreicht trotz des beinharten republikanischen Widerstands: Von dem 787 Milliarden Dollar schweren Konjunkturpaket zu Beginn seiner Amtszeit, das bis zu drei Millionen Arbeitsplätze sicherte und eine Depression verhinderte, von der Krankenversicherung und der Finanzreform bis hin zum „Abzug“ aus dem Irak. Angesichts des Ausmaßes der Wirtschaftskrise, die für die unteren Einkommensschichten schon Jahre dauert, ist das zu wenig, um eine dramatische Umverteilung von unten nach oben umzukehren. Wie der frühere Arbeitsminister Robert Reich vorrechnet: In den siebziger Jahren habe das wohlhabendste eine Prozent der US-Familien neun Prozent des US-Gesamteinkommens erhalten, zuletzt seien es 23,5 Prozent gewesen.
Am Wochenende begrüßte das Weiße Haus die Nachricht, die Arbeitslosenrate sei nur um 0,1 Prozent auf 9,6 Prozent gestiegen. Obama mag reklamieren – und freundliche Kolumnisten mögen zustimmen –, dass angesichts der Machtbalance im Kongress nicht mehr möglich sei. Der Präsident und die meisten Demokraten haben aber auch nicht für mehr gekämpft. Obama scheint in seiner Wirtschafts-und Finanzpolitik endlos auf den überparteilichen Konsens zu warten. Er will sich nicht auf seine engagiertesten Unterstützer verlassen – Afro-Amerikaner, progressive Bewegungen, die Linken bei den Demokraten. Sie alle fühlen sich seit seinem Amtsantritt größtenteils gezwungen und manipuliert, den halbherzigen, verbesserungsbedürftigen Initiativen aus dem Weißen Haus beizustehen – allein um einen Triumph der Rechten abzuwenden.
Banken, Konzerne und Börse erholen sich von der Rezession, Millionen Amerikaner nicht: Das öffnet Tür und Tor für rechtspopulistische Demagogen, die Obama als Vertreter der Wall-Street-Elite brandmarken. Das „Programm“ der Republikaner und Rechten – deren Wortführer sprechen von Steuernachlässen für Unternehmen, der Abschaffung „wirtschaftsfeindlicher“ Vorschriften, von privatisierten Altersversicherungen und massiven Haushaltskürzungen – würde Millionen Amerikaner zusätzlich in Armut stürzen. Kommt aber vielerorts an, weil es gut verpackt ist als Programm gegen die bevormundende Regierung. Und wird angereichert mit der Hetze gegen unamerikanische Liberale, Einwanderer und seit neuestem Muslime, die auf dem „heiligen Grund“ von 9/11 eine Moschee bauen wollen. Jetzt hoffen die Demokraten, manche der republikanischen Kandidaten für den Kongress würden die Wähler mit ihrem Extremismus vertreiben. Feststeht, in Washington droht Stillstand, sollten die Republikaner im Senat und Repräsentantenhaus die Mehrheit gewinnen. Und wenn nicht das, dann zumindest durch die Zwischenwahlen gestärkt werden. Ein politisches Vakuum bleibt nie lange leer.
Konrad Ege ist seit Gründung des Freitag im November 1990 USA-Korrespondent
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