Etikett "Schurkenstaat"

KIM DAE JUNG ABGEBLITZT Normalisierung stoppen - Bush braucht Nordkorea für seine Raketenabwehr

George W. Bush steckte noch in seiner "jugendlich-alkoholischen" Partyphase, als Ronald Reagan vor 20 Jahren den südkoreanischen Diktator Chun Doo Hwan hochleben ließ, der ein paar Monate zuvor den Volksaufstand in Kwangju blutig niedergeschlagen hatte. Nun nutzte auch der inzwischen ausgetrocknete Bush die Gelegenheit, beim Besuch eines südkoreanischen Staatschefs Zeichen zu setzen. Präsident und Friedensnobelpreisträger Kim Dae Jung kam ins Weiße Haus, wollte die neue Regierung überzeugen, seine "Sonnenschein" genannte Annäherungspolitik an den Norden zu unterstützen. Bush hat Kim sauber abblitzen lassen. Nordkorea sei nicht zu trauen, das Regime in Pjöngjang halte "nicht alle Verträge ein".

So zeichnet sich eine gefährliche Wende der amerikanischen Korea- und Militärpolitik ab. Im Oktober sah es noch so aus, als könnte es nach zwei Millionen Kriegstoten zu Beginn der fünfziger Jahre, fast 50 Jahren Kaltem und immer wieder drohendem heißen Krieg zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen Pjöngjang, Seoul und Washington kommen. Der Nord-Süd-Dialog ließ Fortschritte erkennen, und Außenministerin Albright besuchte den nordkoreanischen Staatschef Kim Jong Il. Eventuell würde sogar der US-Präsident nach Nordkorea reisen - hieß es -, sollte Kim Jong Il sein Raketenprogramm stoppen und sich zur Nicht-Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen verpflichten.

Ist natürlich nicht passiert. Clinton musste sich in seinen letzten Amtswochen mit dem Nahost-Fiasko, dem gegen ihn laufenden Lewinsky-Meineidsverfahren und mit den Gnadenanträgen von Marc Rich und anderen fragwürdigen Gestalten beschäftigen. Das Thema Korea wurde fallengelassen. Jetzt regiert Bush. Über Korea weiß er wenig, und Außenpolitik hatte im Wahlkampf keine Rolle gespielt.

US-Regierungssprecher berichtigten den Präsidenten gleich nach Kim Dae Jungs Visite, dass Nordkorea nur ein Abkommen mit den USA habe (den Nuklearvertrag von 1994) und trotz Bushs Anschuldigungen nichts über Vertragsverletzungen bekannt sei. Der Präsident habe nur spekuliert, ob Korea "zukünftige Abkommen" einhalten werde.

Bush-freundliche Analytiker wollen sich sicher fühlen im Glauben, dass der "pragmatische" Außenminister Colin Powell seinem Zögling schon die Welt erklären werde. Bushs Vorstellung bei Kims Besuch sollte diesen Glauben erschüttern. Manchmal hat Powell scheinbar gar nichts zu melden. Tage vor Kims Besuch hatte er angekündigt, Bush werde bei der Koreapolitik "da weitermachen, wo Präsident Clinton aufgehört hat". Vielleicht verfügen Dick Cheney und Verteidigungsminister Rumsfeld über mehr Gewicht als Powell - beide hart gesottene Antikommunisten, die das Ende des Kalten Krieges noch nicht verkraftet und - zumindest im Fall Rumsfeld - grandiose Visionen von einem Zaubermittel zum totalen Schutz der USA haben.

Die abrupte Wende der Koreapolitik steht im Kontrast zu den Zielen mehrerer EU-Staaten, die gerade diplomatische Beziehungen mit Pjöngjang aufgenommen haben. Europa will mitmischen, wenn die Karten bei der möglichen Öffnung des isolierten Staates neu verteilt werden, und Nordkoreas riesiger Nachholbedarf an Verbrauchsgütern und Technologie gedeckt wird. Doch ökonomische Erwägungen sind offenbar zweitrangig für Bush. Er braucht Nordkorea als Schurkenstaat und nicht als Gesprächspartner. Nordkorea, wo die Bevölkerung hungert und die Regierung angeblich ballistische Raketen bauen will, muss herhalten, wenn Bush sein Raketenabwehrsystem begründet.

Normalisierung würde auch die Daseinsberechtigung von 37.000 GIs in Südkorea infrage stellen und die gesamte US-Militärstrategie in Asien durcheinander bringen. Also agiert Bush unilateral. Schröder und Blair üben sich in Toleranz. Aber wo das enden wird? Möglicherweise denken Bush, Cheney und Rumsfeld auch über eine neue Nuklearpolitik nach, wie der US-Friedensforscher William Hartung vor kurzem warnte. Weniger Nuklearwaffen, aber zielgenauere, und "low yield"-Waffen mit weniger Sprengkraft. Waffen also, die eher eingesetzt werden könnten. Unter dem Schirm der Raketenabwehr, versteht sich, die wegen Nordkorea entwickelt werden muss.

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