Fahnen schwenken

US-Wahlkampf Die Kerry-Demokraten präsentieren sich patriotisch und wertkonservativ

Die Vereinigten Staaten im August, zwischen den beiden Parteikonventen: Die Demokraten haben ihren abgeschlossen, der republikanische kommt Ende des Monats. Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg waren die USA so militarisiert wie heute. Zusätzlich hat nun das Heimatschutzministerium die Terrorismus-Warnstufe erhöht. In dieser Atmosphäre sollen sie stattfinden, die Präsidentschafts- und Kongresswahlen am 2. November, die für viele US-Bürger die "wichtigsten Wahlen" seit Jahrzehnten sind.

Eine hervorragende und kämpferische Rede habe er gehalten, der "zukünftige Präsident Kerry", sagen seine Anhänger. Ein Demokrat, der sich bei seiner "Krönung" mit Veteranen umgab, Geld für Werbespots sammelt von Generälen und ehemaligen Republikanern, einen höheren Militärhaushalt in Aussicht stellt und zehntausende zusätzliche Soldaten anheuern will. Einer, der seine Tapferkeit als Offizier im Vietnamkrieg endlos als Indiz seiner Führungsqualität zitiert, nie aber seine Zivilcourage als Heimkehrer und Aktivist gegen den Krieg. Die unangenehme Frage, ob sich Kerry letztendlich wirklich von George W. Bush unterscheidet oder ob er nur aus wahltaktischen Gründen die Flagge schwenkt, wird unter den Teppich gekehrt.

Die Demokraten verteidigen ihre Einheit, und es fällt ihnen nicht schwer. Denn beim Gedanken an noch mal vier Jahre Bush sammeln sich alle hinter dem Kandidaten. Außerdem wolle Kerry, so die Botschaft an die eher skeptischen Wähler, Bush´s Steuerreform zu Gunsten der Superreichen zurücknehmen, den Umweltschutz stärken und die Entwicklung alternativer Energiequellen fördern. Kerry, so heißt es, setze auf internationale Kooperation. Und er will einen Justizminister einsetzen, "der sich an die Verfassung hält" - ein Seitenhieb auf John Ashcroft, der selbst in öffentlichen Bibliotheken schnüffeln lässt.

Was ist Rhetorik und was ist ernst gemeint? Auch nach dem demokratischen Parteikonvent ist nicht ganz klar, wer Kerry ist, was der Politiker will, der beim Volumen der Wahlspenden inzwischen mit den gewöhnlich besser betuchten Republikanern konkurrieren kann. Die Antrittsrede mit ihrem Bekenntnis zum Nationalismus und zu einem starken Amerika und seine Reden beim Zug durch die unentschiedenen Bundesstaaten hätten über weite Strecken auch von einem Republikaner gehalten werden können.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Kerry 2004 etwas vom Reagan der Jahre 1980 und 1984 übernommen hat. Es wird wieder Morgen in Amerika, sagte Reagan. Das Beste kommt erst noch, versichert Kerry. Hoffnung sei "on the way". Er malt ein Bild in patriotischen Farben, verbreitet Optimismus und Zuversicht - Amerika als "Leuchtturm" für die ganze Welt, auch das eine Anleihe beim verstorbenen Präsidenten der achtziger Jahre, der von der "leuchtenden Stadt auf dem Berge" sprach.

Genau so wie Reagan meidet Kerry das Konkrete. Bei Umweltthemen verspricht er "Leadership", aber das von Bush verpönte Kyoto-Protokoll wird nicht erwähnt. Kerry will sich für Arbeiter einsetzen, die ihre Stellen verlieren, weil die großen Hersteller ins Ausland ziehen. Kein Wort darüber, dass er als Senator allen Freihandelsverträgen zugestimmt hat. Auch zum Irak sagt der Kandidat wenig Neues. Er habe genug Ansehen bei den brüskierten Alliierten, um einen Neuanfang zu wagen. Aber trotz aller Versicherungen, er werde bei künftigen Konflikten mit den Verbündeten zusammenarbeiten, schließt auch Kerry Alleingänge "im Interesse der nationalen Sicherheit" nicht aus.

Die Demokraten von heute wollen den Republikanern da Paroli bieten, wo sie früher kaum eine Chance hatten: Bei den Fragen der nationalen Sicherheit und der gesellschaftlichen "Werte". Kerry, so sagen sie, würde das Militär klüger einsetzen, Bush habe im Irak den Karren in den Dreck gefahren, das "homeland" sei nicht sicherer als vor dem Krieg. Sicherheit und Anstand - seit Jahrzehnten sind diese Themen von den konservativen Politchristen belegt. Die Demokraten hätten sich mit ihrer Toleranz gegenüber Homo-Ehen, Abtreibung und anderen "exotischen" Werten vom spirituellen Zentrum der Nation entfernt.

Solchen Vorwürfen wollen die Kerry-Demokraten offensiv entgegen treten und auch jenes Drittel der Nation erreichen, das sonntags in die Kirche geht. Patriotismus ist deshalb im Wahlkampf die wichtigste Pflicht, garniert mit den Werten der Mitmenschlichkeit und der Sorge für Obdachlose und Menschen, deren wirtschaftliche Existenz gefährdet ist. Bush wolle Amerikaner gegeneinander ausspielen und die Nation entzweien, warnt Kerry. Die Demokraten würden die Nation wieder zusammenbringen. Auch deshalb musste Michael Moore beim Konvent draußen bleiben.

Die Republikaner haben sich noch nicht ganz auf die Metamorphose ihrer Gegner eingestellt. Ihren Wahlkampf so zu führen, wie sie es früher gegen andere demokratische Kandidaten taten, könnte für sie gefährlich werden. Vage Unterstellungen werden genau so wenig reichen wie die Kritik des Präsidenten, Kerry habe im Senat nichts Bemerkenswertes geleistet. Die Ausgangssituation könnte sich aber ändern, wenn die Republikaner fündig werden. Im Moment nehmen sie die mehr als 5.000 Abstimmungsentscheidungen unter die Lupe, die Kerry im Laufe seiner Senatskarriere abgegeben hat.

Mit zwei weiteren Unsicherheiten müssen die Demokraten in den kommenden drei Monaten rechnen: mit dem unabhängigen Kandidaten Ralph Nader, der Kerry, wie vor vier Jahren Al Gore, entscheidende Stimmen wegnehmen könnte, und mit dem oft unterschätzten Wahlkämpfer George W. Bush. Viele US-Amerikaner mögen den Texaner, mit seiner bodenständigen Redeweise und seiner Politik, die auf alles eine einfache Antwort hat. Und nicht zu unterschätzen sind die republikanischen Aktivisten, eine kampfbereite Wahltruppe, die gerade in den umkämpften Bundesstaaten das Zünglein an der Waage sein kann und unlautere Mittel nicht scheut. Kerry seinerseits hat bereits Rechtsanwälte rekrutiert, die ihm bei erneuten Streitigkeiten über das Wahlergebnis zur Seite stehen würden. Das Desaster von Florida soll sich nicht wiederholen.


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