Harry Reid ist einer der wichtigsten Politiker in den USA. Senator seit 1987, Führer der demokratischen Mehrheit im Senat seit 2007. Er zieht die Strippen, bestimmt, was zur Abstimmung kommt und was nicht. Aber nun kämpft der mächtige Mann ums politische Überleben. Bei den Zwischenwahlen im November – ein Drittel der Senatoren und alle Kongressabgeordneten müssen antreten – galt der Senator aus Nevada bis vor kurzem als einer der verwundbarsten Demokraten, als Vorzeigepferd für die verhasste „Elite in Washington“. 15 Prozent Arbeitslosenrate hat Nevada, wo die Demokraten es noch nie leicht hatten gegen Casino-Mentalität und Aktivisten, die in Ruhe gelassen werden wollen von der „großen Regierung“.
Verwundbar ist er noch immer, aber Harry Reid schöpft wieder Hoffnung. Aus Gründen, die symptomatisch sind für die politische Enge der amerikanischen Politik. Harry Reids Licht am Ende des Tunnels kommt ausgerechnet in Gestalt seiner republikanischen Kontrahentin Sharron Angle. Die Ex-Abgeordnete aus dem Parlament des Bundesstaates ist ein Shooting Star der aufbegehrenden rechtspopulistischen Tea Party. Angle schwamm bei den republikanischem Vorwahlen im Juni so richtig im rechten Volkszorn gegen Washington, das „big government“ und den afro-amerikanischen Präsidenten. Und gewann gegen sieben Parteirivalen. Wenn auch nur mit 70.000 Stimmen und 40 Prozent.
Es ist Gottes Plan
Im Hauptwahlkampf gegen Reid wird Sharron Angle jetzt mit der harten Realität vieler aus dem Dunstkreis der Tea Party konfrontiert: Sie könnten nicht mehrheitsfähig sein. Angle etwa mit dem Vorschlag auf ihrer Vorwahlkampf-Website, die staatliche Altersversicherung sollte ausrangiert und privatisiert werden. Einen Austritt aus den Vereinten Nationen („die uns nur Geld kosten“) hat sie auch verlangt und sich in einem Fernsehinterview beifällig zur Theorie geäußert, unzufriedene Bürger suchten nach „Lösungsmitteln unter dem zweiten Verfassungszusatz“ (Schusswaffenbesitz), sollte der Kongress noch weiter ins linke Lager abrutschen. Das hat die Hundertprozentigen begeistert und weitgehend auch die sprechenden Köpfe des medienideologischen Komplexes in Rupert Murdochs FOX-Fernsehen.
Für Senator Reid hingegen ist Angle ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk. Der Wahlkampf in dem 2,5 Millionen Einwohner zählenden Nevada wird nun weniger geprägt von seinen gelegentlich ungelenken Versuchen, die andauernde Wirtschaftsmisere zu erklären, sondern von fortgesetzten Youtube-Videos aus Angles Vergangenheit. Auf denen warnt die Aktivistin, das Arbeitslosengeld mache die Amerikaner faul, und fordert, man solle die Umweltschutzbehörde abschaffen. Oder Angle teilt mit, als Christin lehne sie auch nach Vergewaltigung einen Schwangerschaftsabbruch ab, denn Gott habe einen Plan für jedes Menschenleben. Man müsse „nur ein bisschen glauben“.
Reid gegen Angle ist kein Ausnahmefall. In ein paar Bundesstaaten haben bei Vorwahlen Aktivisten aus dem Umfeld der Tea Party gegen das „Establishment“ gewonnen. Selbst John McCain, der republikanische Bannerträger beim Präsidentenvotum von 2008, wird bei Arizonas Senatsvorwahlen am 24. August von einem rechten Emporkömmling unter Druck gesetzt. Sarah Palin, in ihrer Rolle der „Frau aus dem Volke“, reist Segen spendend durchs Land. Das macht gestandene Republikaner nervös, von denen viele nach Jahren und Jahrzehnten in Amt und Würden nicht glaubhaft behaupten können, sie seien kein Teil der Elite. Wie das Online-Magazin politico.com berichtet, haben Demokraten in vier Bundesstaaten offenbar Tea-Party-Kandidaten geholfen, um Zwist zu streuen unter konservativen Wählern.
Die Wahlstrategie der demokratischen Bewerber zeichnet sich ab: Warnen und Angst machen vor den radikalen Republikanern und Tea-Party-Aktivisten. Die würden außerhalb des politischen Mainstreams stehen. Sehe man nicht schon jetzt, wie sich eine republikanische Minderheit im Kongress mit Blockaden in Szene setze?
Ab zum Drogentest
Das Weiße Haus verbunkert sich in der Mitte und beteuert, man habe doch bei der Gesundheitsreform, der Finanzreform und beim Stimulieren der Wirtschaft getan, was eben machbar sei. Obamas Pressesprecher Robert Gibbs attackierte vergangene Woche in The Hill, der Hauszeitung der Politiker und ihrer Mitarbeiter auf dem Capitol Hill, die „professionelle Linke“. Wer verrückt genug sei, um Parallelen zu sehen von Präsident Barack Obama zu George W. Bush, sollte „sich auf Drogen testen lassen“. Die „professionelle Linke“ sei nur zufrieden, wenn man das Pentagon abschaffe. Wollen die Demokraten bei der Wahl am 2. November ihre Mehrheiten behalten in Senat und Repräsentantenhaus, brauchen sie freilich die verspottete „professionelle Linke“. Nur ist dort die Enttäuschung über die Regierung Obama und ihre vielen Halbherzigkeiten maßlos groß. Aber Wehklagen bringt nichts.
In der Republikanischen Partei müssen sich die Oberen vor der an den Graswurzeln agitierenden rechtsideologischen Basis in Acht nehmen. Bei den Demokraten fehlt die schlagkräftige inner- und außerparteiliche Opposition. Die Parteioberen nehmen sich eher vor der Wall Street in Acht, die 2008 ihre Spenden in Richtung Kandidat Obama fließen ließ, nun aber die Schleusen in Richtung Republikaner geöffnet hat. Auch wenn die mit ihrem Drang nach rechts dabei sind, ihre Zukunft zu gefährden.
Denn der harte Kern der Partei – weiße Christen – ist demografisch gesehen auf dem absteigenden Ast. Die afro-amerikanischen Stimmen haben die Republikaner schon lange verloren. Zudem haben junge Wähler wenig am Hut mit Kampagnen gegen die gleichgeschlechtliche Ehe. Und die Latinos – immerhin 15 Prozent der US-Bevölkerung – vertreiben die Republikaner mit ihrer Hetze gegen „illegal aliens“. Grund zur Freude für die professionelle und sonstige Linke? Eher nicht, wenn die Demokratische Partei letzten Endes nur so aussieht wie die Republikanische vor der jüngsten rechtsideologischen Übernahme.
Konrad Ege ist seit Freitag-Gründung im November 1990 USA-Korrespondent
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.