Kaffeesatzleser der US-Denkfabriken im Kalten Krieg rätselten gern „über den Kreml“. Heute lässt sich schwer ergründen, was das Weiße Haus plant bei seiner Außenpolitik. Donald Trumps Statements beim G20-Gipfel in Hamburg verdienen extreme Skepsis. Man weiß nie, wie schnell der Präsident die Meinung ändert. Es mangelt Trump und seiner Umgebung an handwerklicher Fähigkeit, das gesprochene und getwitterte Wort umzusetzen. Gerade bei der Russlandfrage kollidiert Trump mit institutionellen Interessen, auch klappt sein autoritärer Stil nicht so recht. Bisher schockiert er eher mit Worten als mit Taten. Ausgang ungewiss.
Die Sache mit den ungeklärten Russlandkontakten im Wahlkampf und nach dem Wahlsieg schadet außenpolit
23;enpolitischer Handlungsfreiheit. Ein belasteter Staatschef ist zum G20-Treffen gereist. In Washington zieht unterdessen Sonderermittler Robert Mueller immer weitere Kreise durch Fragen zu Geschäften mit russischen Unternehmen und Banken. Donald Trump hat Grund zur Sorge: Das Impeachment-Verfahren gegen Bill Clinton 1998 begann Jahre zuvor ganz harmlos mit Medienberichten über den zweitrangigen, heute längst vergessenen Whitewater-Immobiliendeal in Arkansas. Auch wenn Clinton freigesprochen wurde.Hang zum SeelenforscherSeit Wochen kochen Geschichten hoch in der New York Times, Washington Post und anderen Leitmedien über Russland und werden nacherzählt im Rest der Welt. Freilich ist das für die Trump-Gegner ein zweischneidiges Schwert. Die Russland-Kontroverse und Träume von einem neuen Watergate, angereichert mit Empörung über Trumps vulgäre Twittereien, fressen viel politischen Sauerstoff. Wie hieb- und stichfest oft als Gewissheiten zitierte Medienberichte sind, weiß man noch lange nicht.Im Umfeld der Demokraten werden zudem beim Russland-Thema auch interne Konflikte vom Wahlkampf 2016 aufgewärmt. Angenommen, dass Russland irgendwie manipuliert hat – mächtige Staaten tun so etwas, wenn sie können –, so verdrängen die Freunde von Hillary Clinton mit der Klage über beeinflusste Wahlen harte Fragen nach dem Zustand einer Partei, die „natürliche“ Wähler an den politischen Gegner verloren hat. Wie unzureichend die Alternativen der Demokraten sind, zeigt sich gerade bei bei der Debatte um die Gesundheitsreform.Hier wähnen sich die Republikaner auf der Zielgeraden zu Trumpcare, einem Gesetzeswerk mit verheerenden Folgen für gut 20 Millionen Menschen. Demokratische Politiker stellen sich vereint dagegen, doch anzubieten haben sie wenig außer Festhalten an Obamacare. Bernie Sanders reist durchs Land mit der Forderung nach umfassender staatlicher Versicherung ohne maßgebende Rolle für die Versicherungskonzerne. Es gehe hier um Leben und Tod. Oben in der Demokratischen Partei stößt Sanders auf wenig Gegenliebe.Als George W. Bush 2001 Wladimir Putin erstmals begegnete, wollte der damalige US-Präsident seinem Pendant „in die Augen sehen“, um einen „Eindruck von seiner Seele zu gewinnen“. Die vermeintliche Blauäugigkeit hat damals Russlandexperten aufgeregt. Mit der Männerfreundschaft hat es dann nicht ganz geklappt. Und Trump? Das Gespräch mit Putin beim G20-Gipfel gehe man ohne „spezifische Agenda“ an, sagt der Nationale Sicherheitsberater Herbert R. McMaster. Es komme darauf an, worüber der „Präsident reden will“.Mit anderen Worten, man weiß nicht, was Trump gerade in den Kopf schießt. Etwas zur Ukraine und zu den US-Kampfbrigaden in Osteuropa? Etwas über Trumps Miss-Universe-Wettbewerb in Moskau 2013? Über den Kampf gegen den IS (man wartet noch auf Trumps im Wahlkampf versprochenen „Geheimplan“)? Oder über Syrien? Bleiben die USA und Russland bei der sogenannten Konfliktentflechtung, bei der russische und amerikanische Luftstreitkräfte einander im Voraus über geplante Luftoperationen informieren? Worin besteht eigentlich Trumps Syrienpolitik, die Schlangenlinien fährt zwischen Forderungen nach Regimewechsel und der Behauptung, den US-Streitkräften gehe es allein um die Vernichtung des IS?CNN hat sich die Mühe gemacht, Aussagen von Privatmann, Kandidat und Präsident Trump über Russland und Wladimir Putin zu erfassen. Rund 80 liegen vor, äußerst wechselhaft in der Tonlage. Der Mann verwirrt viele, die glauben wollen, was er sagt. 2014 zollte er einer mutmaßlichen Aussage von Putin Beifall, der zufolge das amerikanische Selbstverständnis als außergewöhnliche („exceptional“) Nation eine gefährliche Sache sei. Im Frühjahr 2015 sagte Trump laut Zeitung Daily Mail, seine Beziehung zu Putin sei „großartig, und sie wäre großartig, hätte ich die Position, die ich haben sollte“. Im Oktober 2016 meinte er in einem Hörfunkinterview, er werde Putin im Fall eines Wahlsiegs möglicherweise noch vor Amtsantritt treffen. Im Übrigen seien Hillary Clintons Putin-Kommentare „zu tough“. Und Mitte Februar 2017 hieß es bei einer Pressekonferenz: „Ich würde liebend gern mit Russland auskommen. Wir hatten viele Präsidenten, die nicht diesen Weg gegangen sind. Und schaut, wo wir jetzt sind.“Das übliche FeindbildTrumps militärischer Geheimdienst DIA hat vor Tagen einen Bericht über die russische Armee vorgelegt, der so gar nicht nach Friede, Freude und Auskommen klingt. Der Report warnt auf mehr als hundert Seiten (russische Panzer auf dem Titelblatt) vor einem „Wiederaufleben Russlands auf der Weltbühne“ durch „Destabilisierung der östlichen Ukraine“, vor einer Intervention Moskaus zugunsten der syrischen Regierung und vor russischer Einwirkung auf die „Informationsumwelt“. Dieses Russland sei eine bedeutende Herausforderung für die USA, die künftig „russischen Handlungen zuvorkommen und nicht reagieren“ sollten. Der Kreml sei „überzeugt, dass die Vereinigten Staaten an Grundlagen für einen regime change in Russland arbeiteten“.Trumps Haushaltsentwurf sieht zusätzliche Rüstungsauslagen vor. Fast wie im Kalten Krieg. Bei diesem Thema finden demokratische und republikanische Politiker zu bemerkenswerter Einheit, obwohl die Republikaner Ermittlungen zur Wahlbeeinflussung auf Sparflamme stellen möchten. Mit 98 zu 2 Stimmen beschloss der Senat Mitte Juni ein Gesetz, um Barack Obamas Exekutivorder zu Wirtschaftssanktionen gegen Russland Gesetzeskraft zu verleihen. Das würde Trump die Hände binden, selbst wenn er die Beziehungen entkrampfen wollte: Präsidenten dürfen Exekutivanordnungen jederzeit umschreiben. Werden Sanktionen jedoch Gesetz, können sie nur per Gesetz aufgehoben werden. Senator Sanders stimmte dagegen. Das Repräsentantenhaus berät noch, während sich Trump derweil mit CNN und anderen Medien streitet, die unfair über ihn berichteten. Das sei Hexenjagd, sagt er.