Fleisch für die Zornigen

USA Newt Gingrich war Tea Party, bevor es die Tea Party gab. Das konservative Schwergewicht kandidiert für die Vorwahlen der Republikaner

Im amerikanischen Wald ist ein „newt“ ein Wassermolch. In der amerikanischen Politik ist Newt der republikanische Präsidentschaftsanwärter Newt Gingrich – ein Politiker auf Gratwanderung zwischen explosiver Rhetorik und Verantwortungsbereitschaft. Mikrofon und Kamera lieben Gingrich. Er ist immer gut für einen deftigen Spruch. Doch vielleicht hat er den richtigen Moment verpasst.

Gingrich war Tea Party, bevor es die Tea Party gab. Eigentlich heißt er Newton Leroy. Nach seiner Wahl zum Kongressabgeordneten 1978 war er anfangs ein rhetorische Bomben werfender Hinterbänkler, in den neunziger Jahren brachte er es dann dank seiner Kämpfernatur zum ersten republikanischen Speaker des Repräsentantenhauses nach 40 Jahren demokratischer Mehrheit. Er stand im medialen Rampenlicht als Anführer der „Republikanischen Revolution“ gegen Präsident Clinton, gegen big government und das vermeintlich lahme republikanische Establishment. Senator Bob Dole, 1996 Präsidentschaftskandidat der Republikaner, sei doch nur ein „Steuereintreiber für den Wohlfahrtsstaat“, so Gingrich.

Geld, Frauen und konservative Werte

Nach seinem eher unfreiwilligen Rücktritt als Sprecher 1999 – der Kongress-Ethikausschuss hatte ihn wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten zu einem Bußgeld von 300.000 Dollar verdonnert – machte sich Gingrich zum konservativen Hausintellektuellen. Mehr als ein Dutzend Bücher hat der gelernte Historiker geschrieben – über Liberalismus und Säkularismus, über Gott und das auserwählte Amerika, über die freie Marktwirtschaft. Nach seiner Kongresskarriere wollte er auch ein bisschen Geld sehen: So viel hatte er nicht verdient als Parlamentarier. Die 300.000 Dollar Strafe musste sich Gingrich leihen – ausgerechnet von dem offenbar gutmütigen Bob Dole. Als Versammlungsredner aber können Politiker a.D. absahnen. George W. Bush soll bereits 15 Millionen Dollar kassiert haben. Zudem wurde Gingrich Lobbyist für die Energie- und Gesundheitsindustrie.

Geld brauchte er offenbar auch wegen seiner Frauen. Wie politico.com im Mai zu Tage brachte, haben Newt und seine derzeitige Gattin Callista Gingrich (seine dritte) beim Edeljuwelier Tiffany im Wert von 250.000 bis 500.000 Dollar eingekauft. Das sei seine Privatsache, kontert Gingrich. Nur gut sieht das nicht aus in einer rezessionsgeplagten Nation. Und nicht nur der Boulevard macht etwas aus Geschichten über einen älteren Ehemann, der seiner um mehr als zwei Jahrzehnte jüngeren Frau teure Diamanten kauft. Kein guter Wahlkampfstart. Das Thema Privatleben ist ohnehin schwierig für Gingrich, den Apostel für traditionelle Familienwerte. Bei republikanischen Vorwahlen stellen Evangelikale fast die Hälfte der Wähler. Und die stört es, wenn ein Politiker dreimal verheiratet war und mit seiner inzwischen dritten Frau ein Verhältnis hatte, als er noch mit der zweiten liiert war. Und da hilft es wenig, wenn die vorerst letzte Gattin Callista im Kirchenchor singt und Autorin des patriotischen Kinderbuches Süßes Land der Freiheit ist.

Callista Gingrich, so platinblond wie ihr Gatte grauhaarig, spielt allem Anschein nach eine maßgebende Rolle in der Kampagne ihres Ehemannes um die republikanische Präsidentschaftskandidatur. Wegen Callistas katholischem Glauben und unter dem Eindruck von Papst Benedikts USA-Besuch („ich war ergriffen von seiner Glückseligkeit“) sei er 2009 vom Baptisten zum Katholiken geworden, schreibt Gingrich. Er kann nur hoffen, dass konservative Christen die beiden Scheidungen verzeihen und sich mehr stören an der Religion des nach Umfragen derzeit vorn liegenden Republikaners: Mitt Romney ist nämlich Mormone. Und das Mormonentum – es lehrt unter anderem, Jesus Christus habe in Amerika gepredigt – ist in den USA noch gewöhnungsbedürftig. Im März erläuterte Gingrich seine Affären im Christian Broadcasting Network. Er liebe die USA sehr und habe zu hart gearbeitet, sodass „Dinge in meinem Leben passierten, die nicht angebracht waren“.

Der einzige Hoffnungsträger

Kommentatoren rätseln oft und können die Frage nicht schlüssig beantworten, warum Gingrich erst jetzt kandidiert. Im Gespräch war er schon Mitte der neunziger Jahre. Dieser Politiker sei der „einzige“ Hoffnungsträger der Republikanischen Partei, sagte die damals konservative Celebrity-Aktivistin Arianna Huffington. 2008, als Obama und Hillary Clinton für die Demokraten kandidierten, wäre eine Bewerbung wieder möglich gewesen, schließlich sah es keineswegs nach einem sicheren demokratischen Sieg aus. Doch Gingrich wollte wieder nicht, er bleibe seinem Verband American Solutions for Winning the Future treu.

Als er nun seine Kandidatur ankündigte, wirkte Gingrich staatsmännisch, er sprach von Arbeitsplätzen und Wohlstand, sprach von Ronald Reagan. Wenn man dem in einfachen Verhältnissen aufgewachsenen Newt zuhört, möchte man ihm glauben. Doch im Alltag geht Gingrich oft der Gaul durch. Oder er lässt ihn durchgehen. Wenn jetzt der Kampf um das „Wesen Amerikas“ nicht gewonnen werde, könnten seine Enkel einmal in „einem atheistischen Land leben“ oder in einem Land, das von „radikalen Islamisten dominiert“ wird. Obama orchestriere eine „säkulare sozia­listische Maschine“, die eine so große Bedrohung sei wie seinerzeit Nazi-Deutschland oder die Sowjetunion, schrieb er in einem seiner Bücher. Rohes Fleisch für die Hundertprozentigen. Glaubt Gingrich das wirklich? Dem Magazin Esquire gewährte er einen Einblick in sein Inneres: „Ein großer Teil von mir ist vier Jahre alt. Ich wache am Morgen auf, und ich weiß, dass irgendwo ein Keks ist. Ich weiß nicht wo, aber ich weiß, er gehört mir, und ich muss ihn finden. So lebe ich mein Leben.“

Konrad Ege ist USA-Korrespondent des Freitag

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