Flucht nach vorn

Merkel und Rice Mehr Rückendeckung aus Deutschland ist in Washington durchaus erwünscht

Der Besuch einer amerikanischen Außenministerin bei einer deutschen Kanzlerin ist Thema Nummer Eins in Germany. In den USA landen Meldungen und Kommentare dazu eher hinten in den Zeitungen. Trotz des Novums der Berliner Begegnung: Hier die erste Kanzlerin, noch dazu aus dem Osten, und dort eine Außenministerin, die als erste Afro-Amerikanerin in dieses Amt kam. Fragen über Hautfarbe, Gender und Chancengleichheit standen aber wohl nicht zur Debatte. Wegen der Enthüllungen über CIA-Geheimgefängnisse und die Entführungen von Terrorismusverdächtigen bereitet es einige Mühe, den in der Post-Schröder-Ära nun angeblich auf dem Expressgleis stehenden transatlantischen Zug ins Rollen zu bringen.

Dabei waren die Hoffnungen groß - an der Spree ebenso wie am Potomac. Die USA sähen "der Zusammenarbeit mit der neuen Regierung ... freudig entgegen", teilte US-Botschafter William Timken sofort nach Merkels Wahl mit. Die Kanzlerin hat gute Karten im republikanischen Washington. Dort hat man nicht vergessen, dass die CDU-Vorsitzende Anfang 2003 die amerikanische Nation wissen ließ, der auf seinem deutschen Sonderweg wandelnde Kanzler Schröder spreche "nicht für alle Deutschen".

Die Kooperation mit Deutschland erscheint nützlich aus amerikanischer Sicht, gerade jetzt, da viele von Bushs Kabinettsmitgliedern trotz der soeben verkündeten präsidialen "Strategie zum Sieg" allmählich auf die Suche nach Feigenblättern gehen.

Die Frage der Friedensaktivistin Cindy Sheehan, was denn der "edle Zweck" sei, für den ihr Sohn in Bagdad sein Leben lassen musste, lässt sich kaum mehr beantworten. Noch dazu, wenn die nicht-amerikanische Komponente der Kriegskoalition von ursprünglich 50.000 Soldaten auf unter 24.000 geschrumpft ist, Tendenz weiter rapide fallend. Da sind politische Rückendeckung und Schützenhilfe aus Deutschland gewünscht. Nicht in Form von Bundeswehrsoldaten im Irak - so viel Realitätssinn pflegt auch das Weiße Haus zu wahren -, aber wohl in Form von mehr Engagement in Afghanistan, mehr politischem Beistand für die irakische Regierung und mehr Ausbildung für irakische Offiziere sowie - das gilt als deutsche Spezialität - irakische Polizisten. Insofern kommt die Kontroverse um Folter und Entführung höchst ungelegen. Condoleezza Rice trat daher die dreiste Flucht nach vorn an. Nach dem Motto, wer nicht für uns ist, ist selber schuld, wenn bei ihm terroristische Bomben hochgehen. Sie hat auch kein Problem zu behaupten, die USA nutzten "weder den Luftraum oder die Flughäfen irgendeines Landes zum Transport eines Gefangenen in ein Land, wo er oder sie gefoltert wird."

Ob Angela Merkel in der Zeitung und im ARD-Magazin Monitor etwas über die Geschichte des in Syrien gebürtigen kanadischen Staatsbürgers Maher Arar erfahren hat, der 2002 von US-Beamten auf dem Luftweg nach Syrien verschleppt wurde? Die Flugroute führte von Nordamerika durch den europäischen Luftraum (bei einer Zwischenlandung in Rom) nach Syrien. Arar wurde in Damaskus gefoltert. Und selbst einem Laien erscheint Rices Behauptung verwegen, dieser Gefangenentransfer würde nicht gegen internationales Recht verstoßen.

Die Enthüllungen über die Deportationen, die Berichte in Washington über Otto Schilys Mitwissen und das entschlossene Wegsehen wohl so mancher deutscher Stellen - das alles kommt nicht von ungefähr. Einerseits wollen die Plauderer - aus der CIA, dem Außenministerium, der US-Armee? - wohl den scheinheiligen deutschen Offiziellen einen Schlag versetzen und die Europäer in Zugzwang bringen. Wie ernst ist ihre Kritik am Menschenrechtsverständnis der Regierung Bush zu nehmen? Wie weit werden sie gehen? Gleichzeitig aber lassen sich viele Informationen und Indiskretionen auch als Signal der Unzufriedenheit deuten, die es im US-Sicherheitsapparat gibt. Wenn jetzt so viel über die Dimension menschenrechtswidriger Operationen bis hin zu Folterungen durchsickert, hat das Gründe. Die Männer und Frauen in den sprichwörtlichen Schützengräben wissen am besten, dass Bushs Kriegsstrategie nicht funktioniert. Foltern bringt kaum verlässliche Informationen. Und hat man sich einmal vom Rechtsstaat verabschiedet, fällt die Rückkehr schwer.


Die deutsche Irak-Hilfe in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE)

Nach Beschlusslage der NATO bildet die Bundeswehr derzeit in den VAE ein irakisches Pionierbataillon (250 Mann) aus. Im April 2005 wurde an gleicher Stelle ein Lehrgang für 120 Fahrzeugführer der irakischen Armee abgeschlossen. 2004 hatte es die Ausbildung von fast 500 Polizisten beziehungsweise Personenschützern gegeben. Im Irak selbst sollen auch künftig keine deutschen Militärberater präsent sein, ließ Kanzlerin Merkel während ihres Antrittsbesuches bei der NATO in Brüssel wissen. Die deutsche Wiederaufbauhilfe im Irak selbst hat ein Finanzvolumen von 210 Millionen Euro, wobei besonders ins Gewicht fällt, dass sich noch die rot-grüne Bundesregierung bereit fand, dem Irak 4,7 Milliarden Euro seiner Schulden zu erlassen.

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