Gott muss herhalten in den Vereinigten Staaten, wenn Politiker Legitimität beweisen und der Nation das Rückgrat stärken wollen. Am 30. Juli 1956 hat der republikanische Präsident Dwight Eisenhower, im II. Weltkrieg Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in Europa, das Gottvertrauen amtlich gemacht: Für das Land gelte künftig als Leitspruch: „In God we Trust“ (Auf Gott vertrauen wir). Das steht seither auf den Dollarscheinen. Wie viele Amerikaner das wirklich glauben, lässt sich nicht ermitteln. Religiosität prägt die USA mehr als Westeuropa, wobei „Gott“ heutzutage ein großer gesellschaftlicher Konfliktpunkt ist. In den 1950ern erschien das Fromme auf den Geldscheinen nicht blasphemisch zu sein – obw
Die freie Marktwirtschaft ist gottgewollt
1956 Präsident Eisenhower erhebt das „Vertrauen in Gott“ zur Maxime des Regierungshandelns

Für Gott, Kapitalismus und Vaterland: Eine Erfindung der 1940er Jahre
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obwohl in der Bibel die Liebe zum Geld als Wurzel allen Übels bezeichnet wird –, sondern „irgendwie“ als normal. Weiße Protestanten hatten in jener Zeit das Sagen. Sie stellten etwa drei Viertel der Bevölkerung. Kirchenmitgliedschaft und Gottesdienste gehörten zum Bürgertum. Der Kongress hatte für das „In God we Trust“-Gesetz gestimmt. Man müsse wegen der Angriffe des „imperialistischen und materialistischen Kommunismus“ die Grundlagen der Freiheit stärken, sagte der demokratische Abgeordnete Charles Bennett.1956 liefen im Fernsehen Serien über selbstzufriedene Familien in den sich heftig ausbreitenden Suburbs, darunter der Quotenhit Father Knows Best (Vater weiß es am besten). Die UdSSR und die USA testeten Atomwaffen, dazu fotografierten U-2-Spionageflugzeuge die Sowjetunion. Nikita Chruschtschow rechnete auf dem XX. Parteitag der KPdSU mit Josef Stalin ab. Die Zusammenfassung seiner Rede „Über den Personenkult und seine Folgen“ vom Februar 1956 erschien in den US-Medien. Die USA sahen sich als stärkste Macht der Welt. Es gab einen bis dahin so nie da gewesenen Wohlstand, der den Regierungsprogrammen des „New Deal“ gegen die Wirtschaftskrise der 1930er Jahre, der Nachkriegskonjunktur und den Hilfsmaßnahmen für US-Kriegsveteranen zu verdanken war. Die Arbeiterschaft durfte hineinschnuppern ins gute Leben.Doch eine Ordnung ist nie gesichert. Der Koreakrieg endete 1953 mit keinem Sieg, sondern einem Waffenstillstand. Es rührten sich die ersten Beatniks, im Radio und auf den Plattenspielern hörten junge Menschen Elvis Presleys Hound Dog und Heartbreak Hotel. Das Oberste Gericht urteilte 1956 nach Rosa Parks’ Busboykott in Alabama, dass Rassentrennung im öffentlichen Verkehr verfassungswidrig sei. Kinder gingen an integrierte Schulen, manchmal unter Polizeischutz. FBI-Chef J. Edgar Hoover startete 1956 das COINTELPRO-Programm gegen schwarze Verbände und die Kommunistische Partei. Da sollte Religion das „Projekt USA“ zusammenhalten.Präsident Eisenhower hatte sich wenige Tage nach Amtsantritt im Januar 1953 in der Nationalen Presbyterianischen Kirche in Washington taufen lassen. Er suchte Rat beim Prediger Billy Graham (1918 – 2018), der mit patriotischen Erweckungsveranstaltungen Stadien füllte. Graham meinte zur Taufe Eisenhowers: „Das amerikanische Volk wäre nicht glücklich, wenn ein Präsident nicht einer Kirche angehören würde.“ Angeblich ist Eisenhower in einem Elternhaus aufgewachsen mit einer Version des Christentums, die die Taufe erst im Erwachsenenalter vorsieht. Doch rannte Graham bei Eisenhower offene Türen ein. Der republikanische Präsident erklärte 1954 in einer Ansprache, aus dem Glauben heraus hätten die Vorfahren „die Republik entworfen und aufgebaut. Millionen sprechen Gebete, singen Lieder – und ganz gleich, welchen Text sie haben, ihr Geist ist ein und derselbe: Auf Gott liegt unser Vertrauen.“Offenbar im Glauben an die Bedeutung des Glaubens hatte Eisenhower im Juni 1954 an dem bei politischen Veranstaltungen und vielerorts vor dem Schulunterricht bis zum heutigen Tag obligatorischen „Pledge of Allegiance“ herumgedoktert. Mit diesem Treueschwur, aufrecht stehend, mit der Hand auf dem Herzen und die Augen auf eine Nationalflagge gerichtet, geloben Bürgerinnen und Bürger „Treue zur Flagge der Vereinigten Staaten von Amerika und der Republik, für die sie steht – eine Nation unter Gott, nicht teilbar, mit Freiheit und Gerechtigkeit für alle“. Der Spruch war Ende des 19. Jahrhunderts von einem Baptistenprediger in Massachusetts verfasst worden für die Jugendarbeit. Der Bürgerkrieg gegen die wegen ihrer Befürwortung der Sklaverei abtrünnigen Südstaaten (1861 – 1865) war frisch im Gedächtnis; das Konzept „nicht teilbar“ sollte jungen Amerikanern nahegebracht werden. In der ursprünglichen Version des Versprechens war allerdings von Gott nicht die Rede gewesen. Eisenhower hat das korrigiert.Der Historiker Kevin Michael Kruse von der Princeton Universität in New Jersey hat in seinem Buch One Nation under God die Geschichte der zunehmenden Religiosität untersucht. Er kam zu einem Schluss, der im zweiten Teil des Buchtitels steht: How Corporate America Invented Christian America (Wie das amerikanische Unternehmertum das christliche Amerika erfunden hat). Seine These: Die Religiosität der Eisenhower-Epoche habe ihre Wurzeln auch in einer von Unternehmen finanzierten Kampagne der 1940er und 1950er Jahre gegen den „New Deal“ und dessen Folgen. Mit dieser Reform hatte der 1932 gewählte demokratische Präsident Franklin Roosevelt dem Unternehmertum Vorschriften wie noch nie zuvor auferlegt und dem Prinzip Geltung verschafft, dass staatliche Planung und Intervention eher als die freie Marktwirtschaft dem Gemeinwohl dienen. Empörte Unternehmensführer seien zum Schluss gekommen, dass sie ihre Botschaft gegen den Staat am besten mit christlicher Rhetorik verbreiten können, schreibt Kruse. Eine neue Organisation von Geistlichen, die „Spiritual Mobilization“, habe Pastoren in den 1940ern wegen der Gefahr wachrütteln wollen, dass die „Trends zu gottlosem Etatismus unsere grundlegende Freiheit und unsere spirituellen Ideale zerstören“. Viele Tausend Geistliche hätten sich angeschlossen. Hunderte Rundfunksender sendeten die Botschaft, dass Christentum und Kapitalismus zusammengehören. Ein jeder erhalte, was er verdiene. Gute Christen kämen in den Himmel. Im Kapitalismus machten die Erfolgreichen Profit. Letztlich betonte der US-Protestantismus eher die Errettung des Einzelnen als die Frohe Botschaft für die Gemeinschaft.Finanziert wurde diese Propaganda von General Motors, Chrysler, National Steel, Firestone, Gulf Oil und weiteren Großkonzernen. 1949 schaltete der Verband der Reklameindustrie, Advertising Council, eine Werbekampagne über „Religion in amerikanischen Leben“. Sie forderte zum Kirchgang auf, denn Amerika sei eine gläubige Nation. Unter Eisenhower, republikanischer Präsident von 1953 bis 1961, konnte dieses Vermengen von Kapitalismus und Christentum Einzug halten ins Weiße Haus. Wenn Donald Trump und seine Gefolgsleute von „Make America Great Again“ sprechen – führen wir Amerika wieder zu seiner Größe zurück –, denken sie an die 1950er Jahre. Doch sind die USA mehr als sechs Jahrzehnte später nicht mehr überwiegend weiß und protestantisch. Weiße Christen stellen nicht einmal mehr die Hälfte der Bevölkerung. Die am schnellsten wachsende „Glaubensgruppe“ sind Menschen ohne religiöse Bindung, rund 25 Prozent der US-Amerikaner rechnen sich dazu, Anfang der 1970er Jahre waren es lediglich fünf Prozent.Der Streit um Amerika als christliche Nation oder nicht ist gewaltig am Köcheln, eben weil die „gute alte Zeit“ der Vergangenheit angehört. Die Mehrzahl der weißen Christen wählt republikanisch; weiße Evangelikale gar zu 80 Prozent. Die Idee von Kapitalismus und Christentum als dem Gemeinsamen hat sich vielerorts durchgesetzt. Viele der weißen republikanischen Christen haben sich in der Ära Trump radikalisiert. Sie fühlen sich diskriminiert von einer kulturellen Elite und dem schnell wachsenden Anteil der US-Amerikaner, die eben keine weißen Christen sind.