Die Festung Bush bröckelt. Doch noch will oder kann sie keiner stürmen. Die politischen Gegner staunen vielmehr ungläubig über die Steine und Balken, die ihnen jetzt gegen Mitte der zweiten Amtsperiode George W. Bushs vor die Füße krachen. Und erwarten, dass noch mehr kommt, hoffen, dass die vermeintliche konservative Revolution ihre Kinder frisst. Doch Schadenfreude ist kein Ersatz für Politik, und die Republikaner arbeiten inmitten ihrer Krise an Gesetzen, von denen ihre Freunde - etwa die Schusswaffenindustrie - früher nur träumten.
Angeblich liest Präsident George W. Bush keine Zeitungen, sondern lässt sich die Nachrichten von seinen Lakaien vortragen. Aber selbst Meister der Schönfärberei haben Probleme. Eine explosive Mischung hat sich zusammengebraut, bestehend aus Korruption, aufgeflogenen Kriegslügen, aus einer auf Vetternwirtschaft fußenden Inkompetenz und scharfer Kritik vom einst superloyalen rechten Flügel der Republikanischen Partei. Bushs Umfragewerte sind im Keller. Im Irak wird schon bald der 2000. US-Soldat ums Leben kommen. Bush müsse endlich eine "Exit-Strategie" vorlegen, schreibt selbst Melvin Laird, Richard Nixons Verteidigungsminister zu Vietnamkriegszeiten, in der jüngsten Ausgabe von Foreign Affairs. Die Präsenz der US-Streitkräfte stärke die Aufständischen. Bush hat anderes im Sinn. Am Wochenende reiste er nach Kalifornien zu einer Feierstunde in der Ronald-Reagan-Gedenkbücherei, um sich den Mantel des republikanischen Überpräsidenten umzuhängen. Reagan habe doch nach dem Motto gehandelt, dass man "kämpfen muss, bis man gewonnen hat".
Vielleicht hätte Bush ein bisschen in alten Zeitungen blättern sollen: Gegen Mitte seiner zweiten Amtsperiode geriet nämlich auch Reagan in eine Art Götterdämmerung, als illegale Machenschaften von Sicherheitsberater John Poindexter, Staatssekretär Elliott Abrams, des unermüdlichen Oliver North und anderer Regierungsvertreter zu Gunsten der nicaraguanischen Contras bekannt wurden. Die "Junta" leitete illegalerweise Gelder aus Waffenverkäufen ausgerechnet an den Erzfeind Iran auf die Konten der "Freiheitskämpfer" in Mittelamerika um, nachdem der Kongress Hilfsgelder gesperrt hatte. Als die Operation bekannt wurde, öffnete das die Schleusentore: Reagan, der hochgejubelte Mann aus dem Volke, war auf einmal verwundbar. Der Prozentsatz der "mit ihm zufriedenen" Wähler stürzte von über 70 auf unter 50. Time bezweifelte, dass Reagan sich jemals wieder erholen würde, und Journalisten fragten, ob der Präsident die nötigen geistigen Fähigkeiten besäße.
Die kreativsten Seifenopern-Autoren hätten dieses Szenario nicht erfinden können
So weit ist es im Fall Bush noch nicht. Nach den geistigen Fähigkeiten fragen vorzugsweise Kabarettisten, die schon lange derartige Witze reißen. Aber der seit 9/11 erfolgreich gepflegte Mythos der Unverwundbarkeit ist dahin. Schon wegen des Hurrikans Katrina. Und nun rückt ein Sonderermittler dem Präsidenten auf den Pelz. Vordergründig soll der aufdecken, wer in der Regierung den Namen der CIA-Beamtin Valerie Plame preisgegeben und so das Gesetz gebrochen hat; in Frage kommen vor allem Karl Rove, engster Berater des Präsidenten, und Lewis Libby, der Stabschef von Vizepräsident Cheney. Selbst kreativste Seifenopern-Autoren hätten dieses Szenario nicht erfinden können: Vor gut 20 Jahren verabschiedete der Kongress auf Drängen nicht zuletzt von George Bush senior (Ex-CIA-Direktor) ein Gesetz zum Schutz der Identität von CIA-Mitarbeitern. Die Vorschrift richtete sich gegen Enthüllungsjournalisten. Es ist aber niemand auf Grund des Gesetzes schuldig gesprochen worden. Bis jetzt.
Letztlich geht es bei der "Plame-Affäre" freilich um Bushs Rechtfertigung des Irak-Krieges und die heftigen Bemühungen der Regierung, Fakten kriegstauglich zu machen. Die CIA-Beamtin Plame ist die Ehefrau von Ex-Botschafter Joe Wilson, der 2002 bei einer Untersuchungsreise für die CIA in Niger nachwies, dass die als Kriegsgrund vorgebrachte Behauptung, Saddam Hussein wolle im Niger Uran kaufen, nicht der Wahrheit entsprach und Dokumente gefälscht worden waren. Die Regierung Bush konnte Wilsons Erkenntnisse nicht widerlegen und attackierte ihn daraufhin persönlich. Wilson sei nicht kompetent, er sei nur wegen seiner Ehefrau nach Niger geschickt worden, hieß es. Plame habe das arrangiert, und Plame arbeite in der CIA. Sonderermittler Patrick Fitzgerald will jetzt herausfinden, wer Reportern das erzählt hat. In Frage kommen unter anderem Rove und Libby, dessen Chef, Vizepräsident Cheney, noch heute warnt, Saddam habe eine Atombombe bauen wollen. Und wer weiß, wie tief Fitzgerald schon gegraben hat. Die Niger-Uran-Geschichte war nicht die einzige offizielle Lüge vor dem Irak-Krieg.
Aber es gibt noch andere als Rove und Libby, die augenblicklich Zeit mit einem Staatsanwalt und einem Richter verbringen. Tom Delay etwa, Spitzname "Der Hammer", Parteiführer der Republikaner im Repräsentantenhaus, steht in Texas vor Gericht wegen Geldwäsche. Der gelernte Kammerjäger war Bushs Muskelmann im Kongress. Bill Frist, dem Chef der Republikaner im Senat, droht eine Klage der Finanzaufsichtsbehörde wegen möglicher illegaler Aktiengeschäfte. Der Lobbyist Jack Abramoff, persönlicher Freund zahlreicher Republikaner der höchsten Kategorie (Delay nannte Abramoff gern "einen meiner besten Freunde") muss sich wegen Betrugs verantworten. So mancher Republikaner schwitzt wohl aus Angst, Abramoff könnte plaudern über Wahlspenden und erwartete Gegenleistungen. David Safavian - ranghoher Mitarbeiter des Weißen Hauses, zuständig für die Vergabe kommerzieller Aufträge - wurde bereits festgenommen, weil er über seine Beziehungen zu Abramoff falsch ausgesagt hat. Timothy Flanigan schließlich - nominiert zum stellvertretenden Justizminister - nahm seinen Hut wegen seiner engen Beziehungen zu Abramoff.
Es regiert sich nicht leicht, wenn der Staatsanwalt vor der Tür steht. Man trifft Fehlentscheidungen. Bushs jüngster Entschluss etwa, der seine rechten Anhänger brüskierte: Er nominierte seine langjährige Rechtsberaterin Harriet Miers für den frei gewordenen Sitz im Obersten US-Gericht. Miers hat noch nie als Richterin gearbeitet. Vor allem erzürnt die christlichen Rechten, dass Miers in der Vergangenheit nie im Erscheinung getreten ist beim Kampf gegen legalisierte Abtreibung. Da hilft es wenig, wenn das Weiße Haus nun verbreiten lässt, Miers sei Mitglied einer konservativen evangelikalen Kirche in Texas, die gegen Abtreibung kämpfe. Die christlichen Rechten möchten eine Richterin, die der Ansicht ist, die Entscheidung des Obersten Gerichtes von 1973, wonach die US-Verfassung das Recht auf Abtreibung garantiere, gehöre abgeschafft. Das habe Bush im Wahlkampf versprochen. Die Kritik der Rechten ist hart; man fühlt sich verraten. Miers hauptsächliche Qualifikation scheint ihre absolute Loyalität gegenüber dem Weißen Haus zu sein. Bush sei der genialste Mann, "the most brilliant man", den sie kenne, sagte Miers.
Es regiert sich nicht leicht, wenn der Staatsanwalt vor der Tür steht
Dieser Präsident hat immer "von rechts" regiert, anders als andere republikanische Präsidenten (inklusive Reagan), die sich bemühten, auch die politische Mitte auf ihre Seite zu ziehen. Bush verließ sich auf die Rechten, die ganz Rechten und auf eine machiavellistische Macht- und Medienpolitik und den Umstand, dass viele Amerikaner von den Terroranschlägen am 11. September 2001 so verunsichert waren, dass sie dem gestrengen Vater im Weißen Haus fast alles abkauften. Derweil behandelten Bushs Freunde, die Millionäre, die USA wie einen Selbstbedienungsladen.
Aber die Demokraten haben es nie verstanden, dem Präsidenten inhaltlich "etwas" entgegen zu setzen. Nicht einmal jetzt: Der Kongress verabschiedete gerade ein Gesetz, das Waffenhersteller und -verkäufer vor den Klagen von Verbrechensopfern schützt. Nach den Hurrikans liegen nun gar republikanische Gesetzentwürfe vor, die Auflagen für den Umweltschutz weiter einzuschränken, um so den Aufbau zu "beschleunigen". Sozialkürzungen sollen die Auslagen decken.
Sollte Bush nun "gestoppt" werden, ist das nicht Verdienst der vermeintlichen Oppositionspartei, sondern eines Staatsanwaltes, der die ganz altmodische Ansicht vertritt, vor dem Gesetz seien alle gleich. So gesehen, ist es vielleicht doch kein Wunder, dass Bush seine Freundin Miers ins Oberste Gericht hieven will.
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