Großer Lauschangriff

USA Die Paranoiden hatten Recht - Bush bespitzelt alle

In den USA würden die Berichte von der BND-Bespitzelung, die ein paar Journalisten zuteil wurde, im Moment niemanden vom Hocker reißen. Hier deckte vergangene Woche eine Tageszeitung einen Skandal ganz anderer Dimension auf: Die drei größten Telekomkonzerne haben dem Geheimdienst National Security Agency seit Ende 2001 Daten über alle Telefongespräche fast aller Menschen in den USA verkauft. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Die Telekomriesen Verizon, AT, und BellSouth übergaben der mit elektronischer Aufklärung beauftragten NSA Daten über alle Telefongespräche fast aller Fernsprechteilnehmer in den USA - Telefonnummern, Dauer und Zeit der Anrufe, Wahlwiederholungen.

Angeblich um al-Qaida zu bekämpfen, legte die NSA die wohl größte Datenbank der Geschichte an. Würde man das in einem Kriminalroman lesen, dürfte man es als übertrieben abtun. Man müsste schon paranoid sein, um das für möglich zu halten: Dass eine Behörde Rohdaten von Milliarden Telefongesprächen von mehr als 200 Millionen Amerikanern speichert und analysiert, um "terrorismusverdächtige Telefonverhaltensmuster" zu entdecken. Und dass Verizon, AT, und BellSouth diese Daten ohne richterliche Anordnung liefern. Nur Qwest, ein regionaler Konzern, verweigerte angeblich die Kooperation.

Das Weiße Haus widerspricht den Enthüllungen nicht. Der Präsident versichert, dass die Regierung "Anrufe in den USA nicht belauscht" und dass sie nicht Daten über das Verhalten "unschuldiger Amerikaner" sammelt - man beachte das Adjektiv "unschuldig". Der Enthüllungsartikel in der Zeitung USA Today hat freilich gar nicht behauptet, dass die NSA die Telefongespräche abhöre, sondern nur festhalte, wer wen wann und wie lange anruft. Genug, um ein detailliertes Bild vom sozialen und beruflichen Umfeld der Bespitzelten zu zeichnen.

General Michael Hayden, Chef der NSA von 1999 bis 2005 und als solcher verantwortlich für das Überwachungsprogramm, beschwichtigt ebenfalls: Es sei nichts Illegales passiert. Mehr könne er nicht sagen, denn Geheimdienstliches sei halt geheim. Bush hat Hayden zum neuen Direktor der CIA ernannt. Bereits im Januar hatte die New York Times aufgedeckt, dass Haydens NSA - ebenfalls ohne richterliche Genehmigung - Telefongespräche von Menschen in den USA mit angeblichen al-Qaida-Personen im Ausland abgehört habe. Ein Ermittlungsgremium im Justizministerium wollte die Legalität dieser Lauschangriffe prüfen, musste aber vergangenen Monat seine Arbeit einstellen: Die Operation sei so geheim, dass die untersuchenden Beamten keine Erlaubnis bekamen, relevantes Material einzusehen. Eigentlich erscheint die Rechtslage ziemlich klar: Ein Gesetz von 1978 schreibt vor, dass Telefonabhörung nur mit richterlicher Genehmigung geschehen darf. Noch im Frühjahr 2004 sagte Bush: "Telefonabhörung ist nur mit richterlicher Genehmigung erlaubt.... Das gilt noch immer." Als der Präsident das aussprach, liefen bereits die Lauschangriffe auf US-Bewohner mit angeblichen al-Qaida-Kontakten und die Speicherung der Daten aller Telefongespräche. Ohne richterliche Genehmigung.

Die Debatte über die NSA-Operation wird nun zeigen, wie weit die Amerikaner bereit sind, ihre Rechte aufzugeben. Wie lange sie einen Präsidenten gewähren lassen, der eine imperiale Auffassung von Demokratie und Verfassung zur Schau stellt. Sei es nun bei der Telefonüberwachung oder beim Begründen des Irakkrieges, der "Legalisierung" der Folter oder der unbegrenzten Inhaftierung so genannter Terror-Verdächtiger in Geheimgefängnissen. Es protestieren nun prominente Politiker gegen das Datensammeln. Aber es ist schon gegen andere Auswüchse der Bush-Präsidentschaft protestiert worden, bevor man dann wieder zur Tagesordnung überging.

Einstweilen bleiben viele Fragen offen. Was passiert mit dieser größten Datenbank aller Zeiten? Wird sie missbraucht, um nebenbei Informationen über politische Gegner auszuwerten? Die Bush-Regierung versucht zu beschwichtigen. Man solle doch die schwierigen Entscheidungen über die Sicherheit des Landes den Experten überlassen. Welche Experten meint der Präsident, fragt sich nun verwundert mancher Amerikaner. Den Experten, die Saddam Husseins Arsenal an Massenvernichtungswaffen analysierten? Den klugen Strategen, die für die Nachinvasionszeit im Irak planten? Den Fachleuten, die Hilfsprogramme für die Hurrikanopfer in New Orleans organisierten?


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