Selten waren die Chancen für einen demokratischen Wahlsieg und für progressive Politik so groß – wenn auch nicht für eine Revolution. Bitte auf Eitelkeiten verzichten, in fünf Monaten wird über den neuen Präsidenten der USA abgestimmt, so dass Clintonistas und Sanderistas zusammenkommen müssen, auch wenn es wehtut. So läuft US-Politik: Vorwahlgegner machen letztendlich gemeinsame Sache. Donald Trump hat im Mai die zur republikanischen Nominierung erforderliche Delegiertenzahl geknackt und geht fröhlich weiter auf Beleidigungstour: nur nicht mehr gegen seine Ex-Rivalen Ted Cruz, den trägen Jeb Bush und den kleinen Marco Rubio, sondern gegen den „verrückten Bernie“ und die „verlogene Hillary“.
Clinton kann in der kommenden Woche nachziehen. Dann ist in Kalifornien die letzte wichtige Vorwahl der Demokraten. Bestätigt sich, was alle ohnehin erwarten, dann stehen vom 7. Juni an die beiden Kandidaten um den mächtigsten Job der Welt endgültig fest: Trump gegen Clinton
Aber Clinton steht vor steinigen Problemfeldern. Sie und ihre Leute müssen die Empörung von Sanders’ Anhängern ernst nehmen, dass die Demokraten die „kleinen Leute“ vernachlässigt hätten. Meckern, dass der Präsidentenbewerber Sanders endlich aufgeben sollte, bringt gar nichts. Der Sozialist aus Vermont hat den Demokraten viel Energie gebracht, nur müssen auch Sanders’ Leute nun persönliche Attacken zurückschrauben. Ihr Kandidat, der Streiter gegen die Klasse der Milliardäre, hört sich zuweilen an, als sei er das Opfer eines demokratischen Establishments, das den Ausgang der Vorwahlen am Willen der Wähler vorbei bestimmen wolle.
Vor einem Jahr galt der linke Senator als chancenlos. Ein paar Prozent Zustimmung hatte er da, rekapituliert Sanders genüsslich. Clinton kapierte wohl nicht so recht, was da auf sie zukam. Inzwischen haben manche Sanders-Fans offenbar Probleme damit, die Lage so zu akzeptieren, wie sie sich nun mal ist. Denn trotz der Mega-Wahlevents, des Jubels und manches Triumphs hat Bernie Sanders rund drei Millionen Stimmen weniger bekommen als seine Kontrahentin. Dabei trägt Clinton zementsackschwere Altlasten wie den Skandal um die Nutzung ihres privaten E-Mail-Konto im Außenministerium und bestens bezahlte Geheimreden vor Bankern und Konzernchefs.
Umfragen zeigten, dass die Wähler Clinton nicht trauen. Zugespitzt könnte man sagen, dass noch nie zwei so unbeliebte Politiker kandidiert haben wie Clinton und Trump. Doch ist Hillary nicht die Feindin des Bernie-Anhangs, auch wenn sich das so anhört bei manchen Sanderistas, die „Bernie or Bust“ verkünden – Bernie oder keiner.
Politischer Wandel kommt im Zweiparteiensystem der USA am besten durch Wählerkoalitionen zustande. Das heißt, Sanders braucht Clinton und ihre Anhänger, und er braucht die Demokratische Partei, soll es zu tiefgreifenden wirtschaftlichen Reformen kommen. Sie wären möglich unter einer Präsidentin Clinton: Ihre soziale und wirtschaftliche Agenda steht in manchen Punkten links von der Barack Obamas. Zudem ist die Demokratin eine kluge Politikerin, die weiß, wann sie Kompromisse schließen muss.
Vorwahlen sind keine lupenrein saubere Veranstaltung. In manchen Bundesstaaten dürfen Unabhängige und eingetragene Demokraten abstimmen, in anderen nur Demokraten. Einmal finden Vorwahlen statt, dann wieder entscheiden Wähler bei einem sogenannten caucus. Clinton hat Freunde in der Parteiführung, aber wer ein „abgekartetes Wahlsystem“ für Sanders’ Rückstand verantwortlich macht, der argumentiert an dessen Schwächen vorbei. Er hat ganz einfach die Wählergruppen nicht gewonnen, die zu den verlässlichsten Parteigängern der Demokraten zählen: Afroamerikaner, Latinos, Frauen mittleren und gehobenen Alters stimmten mehrheitlich für Clinton. Sie trauen ihrer Politik der kleinen Schritte mehr zu als Sanders’ Revolution.
Die Vorwahlen gehen nun zu Ende und die Schatten, die sie auf den demnächst beginnenden Präsidentschaftswahlkampf werfen, lassen nichts Gutes ahnen. Trump sagt Dinge, die so hirnrissig sind, dass es einem die Sprache verschlägt. Die Trockenheit in Kalifornien werde er beseitigen, denn es gebe die Dürre nur, weil „sie“ das Trinkwasser in den Ozean geleitet hätten. Die Energiekrise sei gelöst, wenn wieder mehr Kohle gefördert und das Ölland Irak erneut von US-Soldaten besetzt werde. China habe die Erderwärmung erfunden, um der US-Wirtschaft zu schaden. Der Mann schockiert und bestimmt den Nachrichtenrhythmus. Doch spricht er offenbar manchen aus dem Herzen, die so die Nase voll vom „Establishment“ haben, dass es auf Fakten nicht mehr ankommt.
Aber immerhin ist durch die teils populistischen, teils chauvinistischen und rassistischen Äußerungen von Trump in den US-Medien eine Debatte angestoßen worden, wie Faschismus heute aussieht. Zugleich halten sich TV-Sender aber weiter an das Trump-Phänomen. Der Mann ist nach wie vor gut für die Einschaltquote. Demografisch gesehen sollte Trump nicht mehrheitsfähig sein. Die Wähler von Clinton und Sanders zusammen wären unschlagbar. Doch Demokraten und Progressive müssen aufpassen: So etwas wie diesen Wahlkampf in einer extrem polarisierten Gesellschaft hat es noch nie gegeben.
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