Medienschaffende können bald Texte recyceln, weil es Stand Frühjahr 2023 denkbar bis wahrscheinlich erscheint, dass bei der Präsidentschaftswahl 2024 Joe Biden erneut gegen Donald Trump antritt. Biden käme die Wiederholung von 2020 nicht ungelegen. Das Werbevideo mit der Ankündigung seiner Kandidatur konzentrierte sich auf eine Kernaussage von damals, es gehe um die „Seele Amerikas“. Für das Ausland bedeutet das, der demokratische Politiker im Weißen Haus könnte durchaus längerfristig Chef der „freien Welt“ bleiben. Ein berechenbarer Chef. Er setzt häufig auf Militärisches, wie seinerzeit die „Liberalen des Kalten Krieges“.
Die erneute Bewerbung erntet bisher wenig Begeisterung, zugleich vermischen si
mischen sich die Reaktionen bei den Demokraten wie in den US-Medien mit Sorgen um das hohe Alter des manchmal verbal zerfahrenen Präsidenten. Joe Biden erweckt den Eindruck, er sei der unverzichtbare Aspirant. Das zeugt vom Zustand seiner Partei, ebenso von Bidens manchmal unterschätztem politischen Geschick wie der Schwäche der Linken bei den Demokraten. So sagte Bidens Ex-Rivale Bernie Sanders der Agentur Associated Press (AP), er werde alles in seiner Macht Stehende tun, „dass der Präsident wiedergewählt wird“.Es ist das alte Lied. Die Linken in den USA stehen am Rand. Zugleich hat Biden manche Forderungen des progressiven Flügels seiner Partei aufgegriffen. Eine Revolution war das nicht, jedoch mehr, als manche 2020 erwartet hatten. An Dringlichkeit fehlte es gerade bei der Erderwärmung und bei brennenden sozialen Themen, wie der von Republikanern per Abtreibungsverbot vorangetriebenen Zwangsschwangerschaft. Je näher der Wahltag rückt, desto mehr werden Beschwerden über Biden in den Hintergrund treten. Was soll man tun? Eine Wahl ist ein binärer Prozess. Im Übrigen treten US-Politiker selten gegen einen Präsidenten der eigenen Partei an. Senator Ted Kennedys erfolglose Kandidatur gegen den regierenden Demokraten Jimmy Carter, unter anderem mit der Forderung nach staatlicher Krankenversicherung, war 1980 ein Desaster für beide und die Demokraten insgesamt, die sich dem Hollywood-Star Ronald Reagan beugen mussten.Obwohl Außenpolitik im Wahlkampf zumeist im Hintergrund steht: Es geht 2024 auch um die Zukunft der Weltmacht USA. Viele Regierungen in Europa waren erleichtert über Bidens Präsidentschaft ab Januar 2021 und eine Rückkehr zur „Normalität“ nach Donald Trump. Zweieinhalb Jahre später erntet Biden noch immer Lob, trotz untrüglicher Anzeichen für einen schleichenden Hegemonie-Verlust der USA. Bei der Ukraine-Politik ziehen manche Nationen nicht mit, darunter große Schwellenländer wie Indien, Südafrika, Brasilien, Argentinien und Indonesien. Die Volksrepublik China dringt in Sphären vor, in denen noch vor wenigen Jahren die USA den Ton angaben. Inwieweit denen das wehtut und wirtschaftlichen Interessen tatsächlich schadet, bleibt vorerst offen. Bei Russland und der Ukraine manövriert Biden bis jetzt machtpolitisch geschickt. Er stößt auf wenig Widerstand in den USA, abgesehen von der Kritik aus dem trumpistischen Lager. Bidens Ukraine-Kurs funktioniert auch deshalb, weil er sich trotz aller Versprechen zu fortgesetzten Waffenlieferungen auf kein Endziel festgelegt hat.Modell KennedyDie kürzlich öffentlich gewordenen Geheimdokumente zur Ukraine zeigen, dass es im Regierungsapparat Warnungen gibt vor einem Patt. Im Fachmagazin Foreign Affairs hat Richard Haass, Präsident des bei Demokraten viel beachteten Thinktanks Council on Foreign Relations, zusammen mit Co-Autor Charles Kupchan im April zum Neuanfang aufgerufen. Der Westen braucht eine neue Strategie zur Ukraine, lautete die Überschrift. Man müsse der Ukraine weiter mit Waffen beistehen, aber noch in diesem Jahr einen Plan vorstellen „für einen Waffenstillstand und einen nachfolgenden Friedensprozess“.Im Kalten Krieg gedieh in der Demokratischen Partei der Typus „Cold War Liberal“, des Liberalen im Kalten Krieg vom Schlag der Präsidenten John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson: relativ progressiv in der Gesellschaftspolitik und mit harter ideologischer Kante gegen den Kommunismus, dem man sich systemüberlegen zeigen wollte. Biden passt in diese Kategorie. Macht unter ihm will militärisch grundiert sein. Der jüngste Pentagon-Etatentwurf für 2024 stellt mit 842 Milliarden Dollar einen neuen Rekord auf (siehe Text unten). Großgeschrieben werden neue Waffensysteme und künstliche Intelligenz. Das soll Überlegenheit auf Jahre hinaus gegen die Hauptgegner Russland und China garantieren. So etwas wie eine Friedensbewegung gibt es in den USA nicht mehr.So wie Biden als unverzichtbar auftritt, dominiert bei den Republikanern Trump, trotz des laufenden Verfahrens in New York, bei dem er der Vergewaltigung beschuldigt wird, und weiterer Konflikte mit der Justiz. Der starke Mann und seine Attacken werden geliebt von seinen Fans. Was in den Medien steht, ist per definitionem verlogen, sind die überzeugt. Und auf die Anhänger kommt es bei den republikanischen Vorwahlen an. Innerparteiliche Rivalen kopieren Trump, der harte Kern bei den Republikanern will ein Abtreibungsverbot, regt sich über alles auf, was „woke“ ist, und warnt vor Bidens liberaler Welt. Diese Rechtslastigen sind freilich nicht die Mehrheit in den USA. Insofern sieht es 2024 gar nicht schlecht aus für die Demokraten. Biden könnte sich schlimmstenfalls selber schachmatt setzen, durch Alterserscheinungen oder das Unvermögen, Wähler zu mobilisieren, denen es nicht reicht, dass Biden nicht Trump ist. Und wer weiß, es sind noch anderthalb Jahre. Zu Bidens größter Errungenschaft wird es einmal gehören, dass er 2020 Trumps Anlauf hin zu einer demokratiefeindlichen Regierung gestoppt hat. Damals war der rechte Sieg durchaus möglich. 2024 wird man sehen.