Die Hurrikan-Katastrophe "Katrina" hat den USA einen Spiegel vorgehalten, wie es bestellt ist um die "Rassenfrage". Die Opfer in New Orleans waren überwiegend Schwarze und Arme, die keine Mittel hatten, den Flutwellen zu entkommen. Viele Afro-Amerikaner, auch Politiker, werfen der Regierung nun Rassismus vor, auch viele der im Astrodome von Houston Gestrandeten sind voller Wut und Verzweiflung.
In diesem überdachten Sportstadium leben Tausende, die wegen "Katrina" aus dem etwa fünf Autostunden entfernten New Orleans geflohen sind - die Ärmsten der Armen, die alles verloren haben und schon vorher wenig hatten. Aus einem weißen Zelt neben dem Stadion erklingt Gospelmusik; ein Prediger predigt. Vor einem Tor zum Stadion erzählt ein Mann, er suche noch immer Angehörige, die angeblich auch im Astrodome seien. Gelangweilte Kinder trommeln auf leeren Plastikkübeln. Junge Frauen tragen Babys auf dem Arm. Ein paar Männer verfolgen das sonntägliche Football-Spiel auf von der Decke hängenden Monitoren, mehrere liegen auf Behelfsbetten, unter ihnen den mit Plastikplatten zugedeckten Kunstrasen.
Im Astrodome sieht man nur schwarze Familien. Mag sein, dass es hier und da Weiße gibt, die gleichfalls an diesem Ort gelandet sind. Doch in der Regel sieht man Weiße nur unter den Helfern und vielen Wächtern, den Türstehern und Polizisten. Der 1965 für Baseballspiele gebaute Astrodome ist ein kleiner Polizeistaat. Die Zufahrtswege werden kontrolliert. Und manche der zu zweit und zu dritt an allen Eingängen und Türen stehenden Aufpasser scheinen ihre Autorität zu genießen. Wer kein rosafarbenes Armband hat, kommt nicht rein. Auf dem Kunstrasen darf nicht gegessen werden. Um 23.00 Uhr ist Sperrstunde. Auf Anschlagsbrettern erfahren die Flüchtlinge, wo, wann und von welcher Behörde sie Dienstleistungen erwarten können. Wo es die Lebensmittelmarken gibt, wen Rentenempfänger kontaktieren sollen, und wo man etwas über Arbeitsstellen erfahren kann. Letzteres dürfte den Job-Suchern nicht viel helfen. Ohne Auto sitzen sie fest in einer Stadt fast ohne Nahverkehr. Die örtliche Tageszeitung vermerkt, dass Houstons "Gastfreundschaft" nachgelassen habe: Viele Stadtbewohner seien argwöhnisch geworden.
Bei manchen Geflohenen kocht die Frustration. Und angesichts der Lage im Astrodome kann man Afro-Amerikanern schlecht widersprechen, die sich als Opfer einer rassistischen Verschwörung sehen, weil sie als "Katrina"-Entwurzelte so schlecht behandelt werden. Weiße Flüchtlinge habe man in Hotels eingewiesen, heißt es. Und überhaupt seien Weiße im überfluteten New Orleans schneller gerettet worden.
Islamische Aktivisten und schwarze Verbände haben eine Veranstaltung in einem nahe gelegenen Konferenzzentrum organisiert. Die Menschen vom Astrodome sollen berichten, was sie alles durchgemacht haben. Hunderte kommen. Eine Frau um die 40 bricht am Rednerpult fast zusammen, als sie immer lauter, beinahe schreiend erzählt, wie sie und ihre Schwester und ihre Mutter im Rollstuhl tagelang festgesessen hätten, ohne Nahrung und mit wenig Wasser in der brütenden Hitze. Kein Hubschrauber habe sie abgeholt, und ein Polizeiauto mit "zwei weißen Polizisten" sei an ihnen vorbei gefahren, ohne Hilfe anzubieten.
Bittere Worte über das Rote Kreuz und die Katastrophenschutzbehörde sind zu hören. Das Rote Kreuz habe Abermillionen gesammelt - und er habe noch immer nichts, rein gar nichts, beklagt sich einer. Die Empörung richtet sich auch gegen die "Inkompetenz" lokaler Behörden. Es sei doch nicht zu fassen, dass Hunderte Schulbusse auf einem niedrig liegenden Parkplatz überflutet worden seien: Diese Busse hätten Tausende vor der Flut aus New Orleans heraus bringen können. Eine junge Frau kritisiert, dass "Bush im Irak haufenweise Geld" verschwende.
Wie es weiter gehen soll, ist nicht klar. Informationen, wann was passieren soll, ändern sich häufig. Man hat etwas erfahren von drei Passagierschiffen, die im Hafen vor Anker gehen sollten, um Menschen aufzunehmen. Auf ein Schiff wolle er nicht, sagt einer, sei er doch gerade dem Wasser entkommen. Tausende seien aus Houston ausgeflogen worden, um die Stadt zu entlasten. Die Passagiere hätten aber kein Rückflugticket bekommen, meint einer zu wissen. Das sei ganz bewusst geschehen: Die Regierung wolle es nicht riskieren, Zehntausende wütende Schwarze an einem Ort zu lassen.
Viele machen sich Gedanken, wie und ob ihr New Orleans wieder aufgebaut wird. Einer will gehört haben, dass bereits jetzt Firmen von außerhalb Aufträge bekommen hätten, während Tausende Menschen aus New Orleans ohne Arbeit in Houston festsäßen. Auch hier kann man den Menschen keine Paranoia vorwerfen: Präsident Bush hat bereits verfügt, so dass Firmen mit Regierungsaufträgen für den Katastropheneinsatz nicht die "ortsüblichen" Löhne zahlen müssen. In den Astrodome wird Bush wohl nicht kommen.
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