Im größten Teil der Welt ist das unvorstellbar. Die USA haben seit mehr als einem Jahrhundert eine gesetzliche Schuldenobergrenze für Staatsausgaben. Ist die derzeit verbindliche ausgeschöpft, könnte man im Juni zahlungsunfähig sein, warnt Finanzministerin Janet Yellen. Das gegenwärtige Limit von 31,4 Billionen Dollar sei beinahe erreicht und müsse ausgesetzt oder erhöht werden. Manche rechtsstehenden Politiker wittern eine Chance auf drastische Kürzungen bei Sozial- und Klimaprogrammen.
Zudem fordern die Republikaner als Gegenleistung für ihre Zustimmung, dass auch bei bereits beschlossenen Programmen gekürzt werden kann. Etwa sollen Steuererleichterungen für Klimaschutz reduziert werden. Präsident Joe Biden dagegen beto
gegen betont, das Anheben der Obergrenze sei nicht verhandelbar. Es stehe außer Frage, dass man Gläubiger bezahlen müsse und Senioren die Rentenüberweisung nicht kappen dürfe.Die Instanz der Schuldengrenze geht zurück auf das Jahr 1917, als die USA in den Ersten Weltkrieg eintraten. Der Wechsel in die Schützengräben im fernen Europa war umstritten. Präsident Woodrow Wilson war 1916 mit dem Slogan „Er hat uns aus dem Krieg herausgehalten!“ zur Wiederwahl angetreten. Ein paar Monate später hieß es aus dem Weißen Haus, man dürfe nicht neutral bleiben. Der Kongress stimmte für eine Schuldengrenze als Teil eines Gesetzespakets, das Kriegsanleihen ermöglichte.Diffuse DemokratenSeither ist das geltende Limit immer wieder per Gesetz angehoben worden, um die Regierungsgeschäfte zu finanzieren. Unter Donald Trump stimmten Republikaner und Demokraten dreimal gemeinsam für ein Aufstocken. Häufig war die Debatte Anlass für Machtspiele. Republikaner gaben sich gern als sparsame Wirtschaftswächter, die nachkommende Generationen vor Schuldenlasten bewahren. Dabei haben von Republikanern durchgesetzte Steuerreformen und Ausgaben zur Hochrüstung wie unter Präsident Ronald Reagan maßgeblich zu expandierenden Verbindlichkeiten beigetragen. Bisher jedoch rang sich die Politik noch immer zu der Ansicht durch, man müsse erhöhen, denn sollte der Regierung das Geld ausgehen, drohe eine Wirtschaftskatastrophe. Ein Zahlungsausfall beträfe alle Sektoren – von Großaktionären bis hin zu Sozialhilfeempfängern.Experten sind uneins bei Prognosen dazu, ob man diesmal die Kurve kriegt. Das nötige Gesetz muss vom Repräsentantenhaus mit seiner knappen republikanischen und vom Senat mit seiner knappen demokratischen Mehrheit bewilligt, dann von Joe Biden unterzeichnet werden. Es kommt viel auf die Zustände bei den Republikanern an. Mancher Abgeordnete hatte sich im Januar kaum dazu durchringen können, den eigenen Bewerber Kevin McCarthy zum Sprecher des Repräsentantenhauses zu wählen. Ob der nun die Flexibilität hat, mit Biden irgendeinen Kompromiss zu schließen – und sei es nur ein temporärer Aufschub –, hängt von einem bis zwei Dutzend Rechtsausläufern ab. Darunter sind welche, die versucht sind, Schaden für den vermeintlich liberalen und „zu großen“ Staat bei einer temporären Pleite zu riskieren. In ihren Augen wäre Biden schuld.Die Demokraten agieren unscharf. Sie hätten zu Zeiten ihrer Mehrheiten im Kongress Möglichkeiten gehabt, ein Gesetz für eine neue und superhohe Schuldengrenze zu schreiben, um das Problem ein für alle Mal zu lösen, kritisiert ein Aufsatz in The American Prospect, einer Zeitschrift aus dem progressiven Spektrum der Partei. Da habe der politische Mut gefehlt. Und jetzt? Könnte doch noch irgendwie auf Zeit gespielt werden?Angeblich bemühen sich demokratische Politiker, im Repräsentantenhaus eine Handvoll moderater Republikaner zu finden, die für ein Anheben ohne Vorbedingungen stimmen. Es gäbe noch eine weitere Option für Biden, die laut Medienberichten im Weißen Haus diskutiert wird. Verfassungsrechtler Laurence Tribe schreibt in der New York Times: „Die Lösung starrt uns ins Gesicht.“ Biden könnte sich auf einen Verfassungsstreit einlassen und vorbringen, die Schuldenobergrenze sei nicht verfassungskonform. Im 14. Verfassungszusatz steht, die Gültigkeit der Staatsverschuldung („public debt“) dürfe nicht in Frage gestellt werden. Die These von der Verfassungswidrigkeit ist noch nie auf den Prüfstand gestellt worden.