März 2003: Die USA brechen einen Angriffskrieg gegen den Irak vom Zaun
Zeitgeschichte Präsident George W. Bush begründet die Invasion mit angeblichen Massenvernichtungswaffen des Diktators Saddam Hussein und dessen Verbindungen zu al Qaida. Beides war gelogen
Es war am 19. März 2003 kurz nach 22 Uhr Ortszeit in Washington. Präsident George W. Bush teilte mit, der Krieg gegen den Irak habe begonnen. Man stehe in der Anfangsphase militärischer Operationen, um das Land zu entwaffnen, dessen Bevölkerung zu befreien und „die Welt vor einer ernsten Gefahr zu schützen“. Massenvernichtungswaffen bedrohten auch die USA. „Wir werden unsere Freiheit verteidigen, und wir werden siegen.“
Der Krieg sollte nach Anfangserfolgen der Invasoren in den folgenden Jahren Zehntausende von Menschenleben kosten. Massenvernichtungswaffen wurden keine gefunden, entgegen der Behauptungen von US-Regierungsmitgliedern über „mobile Labore für biologische Kampfstoffe“, chemische Waffen und ein „massiv
222;massives geheimes Atomwaffenprogramm“, das Iraks Präsident Saddam Hussein betreibe. Gut drei Wochen nach Bushs Rede nahmen US-Einheiten Bagdad ein. Eine überlebensgroße Saddam-Statue wurde vom Sockel gezerrt. Eine Zeit lang sah es so aus, als würden der vorhergesagte Spaziergang und die Prognose von US-Vizepräsident Richard Cheney wahr, die Bevölkerung werde die Eroberer als Befreier begrüßen.Das militärische Vorspiel der US- und britischen Armee, verstärkt durch eine „Koalition der Willigen“, lief zum Zeitpunkt von Bushs Fernsehansprache seit Monaten. Rund 40 Nationen waren dabei, bis auf Kuwait keine arabische. Osteuropa dagegen war stark vertreten, u. a. mit Polen, Lettland, Litauen, Estland, Rumänien, Tschechien. An der Grenze zwischen dem Irak und Kuwait standen Marineinfanteristen bereit in Humvee-Geländefahrzeugen und -Trucks. Der dort in einem Bataillon der Marineinfanterie stationierte Leutnant Nathaniel Fick schrieb in seinen Erinnerungen unter dem Titel One Bullet Away (Eine Kugel entfernt), er habe erstmals durch die BBC vom Kriegsbeginn gehört. Tomahawk-Raketen seien im Einsatz gewesen, um Saddam Hussein zu töten, so die Berichte. Der Befehlshaber von Ficks Einheit, General Jim Mattis (später Donald Trumps Verteidigungsminister), richtete einen Appell an seine Frontsoldaten. Auf deren jungen Schultern laste „die Hoffnung der Menschheit“. Es sei an der Zeit, die Herrschaft des Terrors unter Saddam Hussein zu Ende zu bringen. Die Marineinfanteristen sollten „der Welt zeigen, dass es keinen besseren Freund und keinen schlimmeren Feind“ gebe als einen US-Marine.Dann ging es los nach Bagdad, „begleitet vom Lärm freundlicher Artillerie“, schrieb Fick. „Ein paar Sekunden lang fühlte ich die irrationale Begeisterung des In-die-Schlacht-Ziehens.“ Schon bald sei sein Zug auf irakische Soldaten gestoßen. Die in den vorderen Linien hätten ihre Waffen fallen lassen und ihre Uniformen abgelegt. „Die weiter hinten taten das auch, und bald war der Boden übersät mit abgelegten Waffen und Uniformen.“ Ficks Männer waren nicht interessiert an Kriegsgefangenen. Sie wollten nicht den Anschluss verlieren auf dem Weg Richtung Hauptstadt.Zahllose Menschen weltweit demonstrierten gegen den Angriffskrieg. Die Behauptung, Saddam habe Massenvernichtungswaffen und sekundiere dem Terrorverband al-Qaida, schien nicht glaubhaft. Die Bundesregierung unter Gerhard Schröder war skeptisch. Der SPD-Kanzler setzte auf die im Irak tätigen UN-Waffeninspektoren und diplomatische Bemühungen. Am bekanntesten wurde die Aussage von Außenminister Joschka Fischer im Februar 2003 auf der Münchner Sicherheitskonferenz in Anwesenheit von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld: „I am not convinced“ (Ich bin nicht überzeugt). Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel schrieb in der Washington Post einen Kommentar unter der Überschrift „Schröder spricht nicht für alle Deutschen“. Europa müsse mehr Verantwortung übernehmen für den Druck auf Saddam. Das bedeute auch, als letztes Mittel militärische Gewalt zu befürworten.Schröder bekräftigte nach der Bush-Ansprache vom 19. März, Deutschland beteilige sich nicht. Es war schwierig, Friedensbewegte wollten sich vom Diktator in Bagdad distanzieren und zugleich den Angriffskrieg verurteilen. Kriegsbefürworter, die „Bellizisten“, beanspruchten, die Moral auf ihrer Seite zu haben. Bekanntermaßen seien Saddam Hussein schwere Menschenrechtsvergehen gegen die Kurden im eigenen Land und im Krieg gegen den Iran (1980 – 1988) anzulasten. In den USA fand Bush klare bis verhaltene Zustimmung bei demokratischen Politikern, darunter auch Joe Biden. Der Senator aus Delaware stimmte im Oktober 2002 für eine Resolution, die den Krieg legitimierte. Er hoffe, so Biden, damit den Druck auf Saddam zu erhöhen. Denn letztendlich müssten Massenvernichtungswaffen aus dem Irak entfernt „oder Saddam muss abgesetzt werden“.Alles Lügen, sagten Kriegsgegner, als keine Waffen gefunden wurden. Im politischen Washington wurden die Geheimdienste zum Sündenbock. Außenminister Colin Powell, der wenige Wochen vor dem Angriff dem UN-Sicherheitsrat von Massenvernichtungswaffen erzählt und einen kleinen Glasbehälter mit weißem Pulver vorgezeigt hatte, sagte 2005 in einem Fernsehinterview, seine Rede sei ein Schandfleck in seiner Karriere. Mitarbeiter der Geheimdienste hätten ihn falsch instruiert. Der Geheimdienstausschuss im US-Senat machte ebenfalls die Dienste verantwortlich. Es habe dort ein „kollektives Vermuten“ und „ein Gruppendenken“ gegeben. Interpretierbare Hinweise auf Massenvernichtungsmittel seien zu Fakten erklärt worden, stand im Juli 2004 im Ausschussbericht. Es war keine Glanzstunde des Journalismus. Viele Reporter akzeptierten, was ihnen die Bush-Regierung vorgesetzt hatte. Im Mai 2004 warf ein Editorial der New York Times, die viele Waffenbehauptungen der Regierung und von irakischen Überläufern reproduziert hatte, einen Blick zurück und schrieb, man hätte alles „aggressiver“ prüfen sollen.Es war ein von langer Hand geplanter Angriffskrieg, den man hatte kommen sehen. Wenige Wochen nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 griffen die USA und Verbündete Afghanistan an. Im Januar 2002 legte Bush eine Kampfansage hin gegen eine „Achse des Bösen“, gemeint waren Nordkorea, Iran und Irak, die nach Massenvernichtungswaffen strebten. „Ich werde nicht auf Ereignisse warten, während sich Gefahren zusammenziehen.“ Im Juni 2002 machte Bush in der Militärakademie West Point unmissverständlich klar, worum es ging, die USA müssten zu „präventiver Aktion“ bereit sein.Saddam Hussein und die ölreiche Regionalmacht Irak standen seit Jahren auf der Abschussliste von US-Politikern, die angeblich im Namen der Demokratie eine „neue Ordnung“ schaffen wollten im Nahen Osten. Auf der Website des Forschungsinstituts National Security Archive steht ein Memo von Verteidigungsminister Rumsfeld vom Juli 2001 mit der Prognose, sollte „Saddams Regime gestürzt werden, hätten wir eine deutlich verbesserte Position in der Region. Ein größerer Erfolg im Irak würde Glaubwürdigkeit und Einfluss der USA in der gesamten Region stärken“. Bereits Ende 2001 befahl Rumsfeld General Tommy Franks, dem Kommandeur des zuständigen Kommandos CENTCOM, einen aktualisierten Plan für einen Irakkrieg zu entwerfen. Der Minister machte sich Gedanken, wie man den Feldzug am besten beginnen („How Start?“) könne. Als Optionen wurden ein Disput über UN-Inspektionen angeführt oder „die USA entdecken eine Saddam-Verbindung zu den Angriffen am 11. September“.Die Spaziergänger in der Wüste sollten sich gewaltig verlaufen. Sie stießen auf immer wieder aufflackernden Widerstand. Die Weltöffentlichkeit sah 2004 Folterbilder aus dem US-Gefängnis Abu-Ghuraib bei Bagdad. Erst Ende 2011 wurden unter Bushs Nachfolger Barack Obama offiziell die letzten Streitkräfte abgezogen – mit Ausnahme von Ausbildern. Rund eine Million US-Soldaten waren im Einsatz, 4.500 gefallen. Es gibt keine eindeutigen Zahlen über getötete Iraker. George W. Bush ist im Ruhestand Hobbymaler geworden.
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