Mahagonny am Potomac

Amtseinführung Während Washington sich auf auf große Proteste gegen den neuen Präsidenten vorbereitet, verbeugt sich die Wirtschaft vor Trump
Ausgabe 03/2017

Bert Brecht und Kurt Weill haben vor neunzig Jahren die Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny geschrieben. Es geht um eine dystopische amerikanische Stadt mit einem Raubtierkapitalismus, der sich mit diktatorischen Mitteln absichert. Letztendlich versinkt Mahagonny im Chaos. Das Stück sorgte für Aufsehen damals, Nazis randalierten bei Aufführungen.

Nun könnte Mahagonny in der US-Hauptstadt am Potomac auferstehen. Kommt ein neues Zeitalter mit Donald Trump? Man weiß es nicht. Der Mann genießt sein Image der Unberechenbarkeit. Viele Wähler hätten ihn gewählt, um Bestehendes zu zerdeppern. Ob Trump jedoch „Erfolg“ hat mit etwas Neuem, hängt davon ab, ob die Institutionen mitziehen. Und vom Widerstand der Opposition, die angesichts ihrer Sorge um den Umweltschutz und LGBT-Rechte, der Angst vor dem sozialen Kahlschlag, Massendeportationen, einem Überwachungsstaat und vielem mehr, verständliche Schwierigkeiten hat, sich für konkrete Ansatzpunkte zu entscheiden. Trump beeindruckt mit einem überwältigenden Instinkt für Macht. Es hatte surrealen Charakter, als er bei seiner Pressekonferenz im Trump-Turm Reporter attackierte und mitgebrachte Bedienstete und Fans jubeln ließ.

Wer und was kann ihn bremsen? „Unsere Demokratie ist bedroht, wenn wir sie für selbstverständlich halten“, sagte Barack Obama bei seiner Abschiedsrede in Chicago. Demokratie war schon immer ein mühseliges Geschäft in den USA. Für Bürger nicht weißer Hauptfarbe ist sie alles andere als selbstverständlich. Fuck you!, ist Trumps Botschaft an alle, die Zweifel an seiner Person äußern. Er habe gewonnen. Fakten und einmal Gesagtes zählen wenig. „Ich glaube, es war Russland“, sagte Trump bezüglich der angeblichen Hack-Angriffe auf die Demokratische Partei. Empören wollte er sich darüber aber nicht, „schaut doch, was wir durch das Hacking erfahren haben“ über Hillary Clinton. Vor ein paar Wochen rief Trump zum nuklearen Aufrüsten auf; im Interview mit der Bild am Sonntag sprach er sich für „deutlich weniger Nuklearwaffen“ aus.

Bei der Pressekonferenz im Trump Tower lagen Aktenstapel auf dem Tisch, die suggerieren sollten, der Präsident in spe baue Interessenskonflikte zwischen seinem Amt und seinen Firmen ab: Seine Söhne würden das Geschäft übernehmen. Er hoffe, dass er „nach acht Jahren zurückkommen“ werde und ihnen sagen könne: „guter Job“. Ansonsten werde er Don und Eric mitteilen, „you‘re fired“. Nicht ausreichend, konterte der Direktor des Ethikbüros in der Regierung, Walter Shaub. Und bekam prompt einen Brief vom republikanischen Abgeordneten Jason Chaffetz, der Kongress könne das Büro jederzeit dichtmachen. Trumps Stabschef Reince Priebus warnte im ABC-Fernsehen, Shaub solle „vorsichtig“ sein.

Das Thema Interessenkonflikte dürfte auch im künftigen Kabinett eine Rolle spielen, angesichts eines Außenministers vom Mineralkonzern Exxon Mobil, eines Arbeitsministers vom Fast-Food-Konzern und eines Finanzministers aus der Finanzindustrie. Die Sitzungen der Senatsausschüsse zu den künftigen Ministern werden mit Spitzengeschwindkeit durchgezogen, manche finden statt, bevor die Anwärter die Background-Formulare vollständig ausgefüllt haben. Die Taktik, die dahintersteht, ist die Überwältigung der Opposition, auch mit Twitter-Botschaften. Trump tweetet eine Attacke nach der anderen und bestimmt so Medienthemen. Das funktioniert, weil Journalisten das tägliche Crack einatmen und Trumps Botschaften verbreiten.

Am Tag nach der Amtseinführung werden Gegnerinnen und Gegner erstmals Gelegenheit haben, ihr Entsetzen auf nationaler Ebene zum Ausdruck zu bringen. Zum „Women‘s March on Washington“ werden am 21. Januar Hunderttausende erwartet. Es ist eine Versammlung des Widerstands derer, die Trump bedroht. Frauenrechte seien Menschenrechte, sagen die Veranstalter. Die Kundgebung sei als erster Schritt gedacht, um die Communities zusammenzubringen und „von den Graswurzeln her“ Veränderungen zu schaffen. Für den Tag der Amtseinführung organisieren Protestgruppen Blockaden an Sicherheitskontrollpunkten, Straßenkreuzungen und entlang von Trumps Fahrtroute vom Kapitol zum Weißen Haus. Rund 30.000 Sicherheitsleute werden im Einsatz sein.

Der Schock macht mobil

Manche Gegner von Hillary Clinton, die es nicht übers Herz brachten, für die angeblich kriegsfreudige und korrupte Kandidatin zu stimmen, rechtfertigen ihre Entscheidung mit dem Argument, wirkliche Veränderungen seien nur möglich, wenn man nicht immer für das „kleinere Übel“ stimme. Angesichts der These von den „wirklichen Veränderungen“ müsste nun eine breite Oppositionsbewegung aus dem Boden sprießen, die von Obama lediglich eingelullt wurde. Und tatsächlich hat der Schock mobilisiert. Es geht aber weniger um große Veränderungen als um das Bewahren des Bedrohten. Die Kampagne gegen die Erdöl-Pipeline, die durch das Gebiet der Standing Rock Sioux führen soll, geht weiter, auch wenn die Erfolgschancen schlechter geworden sind. Die Aktivisten, die für 15 Dollar Mindestlohn kämpfen, hören nicht plötzlich auf. Der Familienplanungsverband Planned Parenthood und die Bürgerrechtsorganisation ACLU berichteten von großen Spendenzuwächsen. Voriges Wochenende demonstrierten in vielen Städten Menschen gegen Kürzungen im sozialen Bereich und gegen die Abschiebungen von Migranten ohne Papiere, die Trump angekündigt hat. Mehrere hundert Kirchen haben verkündet, bei ihnen könnten Migranten Zuflucht finden.

Donald Trump ist verwundbar trotz seines Polterns und Prahlens und Drohens. Er ist ein Präsident mit geringer institutioneller Hausmacht. Der Parteiapparat reagierte auf seine Kandidatur alles andere als begeistert. Die Parteispitze unterstützte den Präsidentschaftskandidaten erst spät. Nun muss Trump regieren mit diesen Republikanern. Die Sache mit Russland sorgt für Verstimmung. Ansonsten machen die Republikaner bisher mit. Doch noch ist nicht regiert worden. Trumps Wahlversprechen von den vielen Jobs und der „wunderschönen Mauer“ an der Grenze zu Mexiko müssen erst einmal in konkrete Gesetzesentwürfe umgewandelt werden.

Zurzeit läuft eine kritische Testphase für das Regieren: Ganz oben auf Trumps Regierungsagenda rangiert die Abschaffung von „Obamacare“. Von der 2010 eingeführten Gesundheitsreform profitieren vor allem die unteren Einkommensgruppen, nach Ansicht vieler Republikaner gibt sie dem Staat zu viel Macht. Der „Affordable Care Act“ schreibt Versicherungspflicht vor, Bedürftige bekommen staatliche Zuschüsse. Versicherungsfirmen dürfen niemanden mehr diskriminieren wegen „vorexistierenden Krankheiten“.

Trump nennt „Obamacare“ ein „komplettes und totales Desaster“ und klagt über steigende Kosten. Wenige Tage vor der Amtseinführung votierten der Senat mit 51 zu 48 und das Repräsentantenhaus mit 227 zu 198 Stimmen für Gesetzesvorlagen zum Einleiten des Abschaffungsprozesses. Trump will angeblich gleichzeitig eine Alternative beschließen lassen. Doch noch liegen keine Alternativentwürfe vor, um die Krankenversicherung „billiger und besser“ zu machen. 20 Millionen Menschen sind mithilfe des „Affordable Care Act“ krankenversichert. Auch viele Trump-Wähler. Kürzlich lief auf CNN eine Geschichte über den früheren Kohlearbeiter Neil Yonts aus Kentucky. Er habe Trump gewählt, weiler versprochen habe, Kohlejobs zurückbringen zu wollen. Vielleicht ein Fehler, meint Yonts jetzt. Er leide an Kohlenstaublunge und sei auf ACA angewiesen. Bei Facebook gibt es eine Gruppe „Obamacare hat mein Lebengerettet“.

Am Wochenende vor der Amtseinführung fanden in einem Dutzend Staaten Kundgebungen für den Erhalt von „Obamacare“ statt. In Michigan sprach Bernie Sanders in einem Wahlkreis, der 2012 für Obama gestimmt hatte und 2016 für Trump. Unter tausenden Zuhörern waren laut Rundfunksender NPR mehrere mit Plakaten: „Ich bin nicht schuld. Ich habe Bernie gewählt.“

Versprechen und Wirklichkeit

Auf eine Wirtschaftselite, der es unter Obama ziemlich gut ging, ist hingegen kein Verlass, wenn es um Opposition geht. Dabei ist deren Verhältnis zu Trump kein besonders gutes. Bei den Hauptwahlen unterstützte das Big Business weitgehend Clinton. Nach der Wahl sind die Wirtschaftsbosse aber offenbar der Hoffnung, dass Trump vielleicht gar nicht so schlecht für sie sein könnte. Vielleicht erfüllt der starke Mann mit Steuergesetzen, Deregulierung und Gewerkschaftsfeindlichkeit Wünsche, von denen die Manager früher nur träumen konnten. Der Aktienkurs jedenfalls geht seit dem Wahlsieg in die Höhe. Trump schüchtert ein. Konzernchefs von Ford bis Northrop-Grumman verneigen sich vor dem künftigen Präsidenten, der mit Strafzöllen droht. Amazon verspricht in den kommenden 18 Monaten 100.000 neue Arbeitsstellen; das passt zu Trumps Versicherung, er werde der größte Job-Beschaffer sein, „den Gott jemals geschaffen hat“.

Das entscheidende Ungewisse ist die Frage, was Trumps Wähler tun, wenn ihre wirtschaftlichen Erwartungen nicht in Erfüllung gehen. Bernie Sanders hat angekündigt, er werde der Öffentlichkeit immer wieder Trumps Wahlversprechen vor Augen halten. Die „Obamacare“-Debatte zeigt, dass die Spannung zwischen Wahlrethorik und konkreter Umsetzung einige republikanische Politiker nervös macht. Es lassen sich Angstszenarien ausmalen, wie der Präsident zum Ablenken von Missererfolgen vorgeht gegen jene, die er nicht zu „seinem“ Amerika zählt. Als Präsident hat er mehr Arsenal als die Beleidigungsschleuder Twitter.

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