Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA: Es hört nicht auf

Meinung Wieder wurde ein junger, unbewaffneter Mann in den USA von einem Polizisten erschossen. Dabei kam im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung Hoffnung auf einen echten Wandel auf
Ausgabe 16/2022
Protestierende in Grand Rapids, Michigan prangern im April den Mord an Patrick Lyoya an
Protestierende in Grand Rapids, Michigan prangern im April den Mord an Patrick Lyoya an

Foto: Scott Olson/Getty Images

Nach dem Schuldspruch vor einem Jahr gegen den Polizisten, der in Minneapolis den Schwarzen George Floyd umgebracht hatte, blühte Hoffnung: Die Gesellschaft würde endlich umdenken. Überdies sollten Handys und Körperkameras Polizeigewalt zügeln und für mehr Gerechtigkeit sorgen. Das ist nicht eingetreten. Das Verhalten der Polizei reflektiert eben gesellschaftliche Machtstrukturen und eine tiefe Ungleichheit.

Ein Polizist hat am 4. April in dem 200.000 Einwohner zählenden Grand Rapids in Michigan den jungen Schwarzen Patrick Lyoya erschossen. Nach einem Verkehrsstopp, angeblich wegen eines Nummernschildes. Wie Floyd trug Lyoya keine Waffe. Die Körperkamera des Todesschützen und weitere Kameras dokumentierten den Vorgang. Bürgerrechtler beklagen eine „Exekution“, Regierungsvertreter sprechen von einer Tragödie. Ein Mensch ist tot. Seine Eltern und Geschwister leiden.

Es hört nicht auf. Die Tageszeitung Washington Post führt eine Datenbank über tödliche Polizeischüsse seit 2015. Die Zahlen sind konstant bei rund eintausend pro Jahr. 2021 haben Polizisten 1.054 Menschen erschossen. 2022 waren es bisher mehr als 280. In Einzelfällen werden wegen Videoaufnahmen Polizisten belangt, die sonst davongekommen wären. Manche Beamte verändern vielleicht ihr Verhalten.

Polizei bewahrt Machtstrukturen

Doch unter dem Strich, so der Bericht einer Technologieexpertin der American Civil Liberties Union 2021, hatten Körperkameras bei Polizisten „keine statistisch bedeutende oder konsistente Auswirkung“ auf Polizeigewalt. Diese Analyse lässt sich zuspitzen: Die traumatisierenden Videos laufen endlos in sozialen Medien und Fernsehsendern. Für Schwarze, Latinos, junge Männer aus den unteren Einkommensschichten bestätigt die Flut der Bilder geradezu, dass ihr Leben eben weniger wert ist. Die Polizei existiert, um Machtstrukturen zu bewahren und Macht zu beweisen. Gesetze sind so geschrieben, dass Beamte nach Todesschüssen ganz selten belangt werden. „Defund the Police“, der Polizei die Mittel zu sperren, das war politisches Thema nach George Floyds gewaltsamem Tod. Passiert ist wenig.

Die Sache ist komplex, und Kritiker verfehlen manchmal ihr Ziel. In Minneapolis stimmten im November 2021 56 Prozent gegen ein Begehren, die Polizei durch eine Behörde für öffentliche Sicherheit zu ersetzen. In den USA mit ihren, verglichen mit Deutschland, enorm hohen Mord- und Verbrechensraten sind es oft Menschen aus unteren sozialen Milieus, die das Gefühl haben, sie brauchen die Polizei.

New York City hat im November einen ehemaligen Polizisten zum Bürgermeister gewählt. Die meisten Politiker sind offenbar erneut zu dem Schluss gekommen, dass Polizeireform kein karriereförderndes Thema ist. Anhaltenden Beifall bekam Präsident Joe Biden bei seiner Rede zur „Lage der Nation“ Anfang März mit dieser Passage über Polizei und Verbrechen: „Wir sollten einer Meinung sein. Die Antwort ist nicht, entzieht der Polizei das Geld.“ Vielmehr sollte die Polizei gestärkt werden mit Ressourcen und Training. Bei der Trauerfeier für George Floyd hatte Biden über Gerechtigkeit gesprochen: Die USA dürften „diesen Moment nicht vorübergehen lassen“. Das haben sie eben doch getan, trotz der Millionen Menschen, die bei Black-Lives-Matter-Protesten auf die Straße gegangen sind. Die USA sind eine waffenstarrende Nation. Die Polizei schießt. Und das augenscheinlich leichter auf Menschen im unteren Gesellschaftsspektrum.

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