1939: Nazis in Manhattan

Zeitgeschichte Im New Yorker Madison Square Garden marschieren deutschstämmige Anhänger Adolf Hitlers auf. Es ist ihr letzter großer Auftritt, ehe der Krieg ausbricht
Ausgabe 07/2019
Straff und charismatisch wie es sich für Naziführer geziemt: Kuhn (l.)
Straff und charismatisch wie es sich für Naziführer geziemt: Kuhn (l.)

Foto: Bettmann/Getty Images

Das war ganz schön hässlich im August 2017, als ein paar hundert junge Rechtsextreme und Nazis mit Fackeln im Universitätsstädtchen Charlottesville herummarschierten. Wenn das Klima stimmt, rühren sich in den USA immer schon die ganz Rechten.

Es war kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs: An die 20.000 Wohlbekleidete erhoben den rechten Arm zum Hitlergruß im Madison Square Garden in New York City. Veranstalter an diesem 20. Februar 1939 war der Verband „German-American Bund“. Dessen „Bundesführer“ Fritz Kuhn warnte vor einer jüdisch-kommunistischen Verschwörung und vor der verlogenen Presse. Amerika müsse den rechtmäßigen weißen und christlichen Amerikanern zurückgegeben werden. Nicht alle Juden seien Kommunisten, doch Juden „die treibende Kraft des Kommunismus“, verkündete Kuhn in Nazi-Fantasieuniform.

In der Halle schützte der ebenfalls uniformierte Ordnungsdienst des Bundes. Draußen schützten Hunderte Polizisten, viele hoch zu Pferd, vor Tausenden von Gegendemonstranten. New Yorks Bürgermeister Fiorello La Guardia ließ den Bund gewähren im Namen der Rede- und Meinungsfreiheit. „Wir haben genug Polizei hier, um eine Revolution zu stoppen“, versicherte Polizeichef Lewis Valentine in der New York Times. Antisemitismus war weitverbreitet in den USA; es wurde debattiert, was und wie viel Amerika tun solle gegen Hitler. Manch führendes Medium forderte Distanz zum im Europa drohenden Brand.

Der Bund machte im Madison Square Garden auf amerikanisch; man wollte nicht als fünfte Kolonne erscheinen, vielmehr vermitteln, dass Amerikaner und Deutsche gleiche Anliegen hätten. Angeblich feierte die Versammlung den Geburtstag des ersten US-Präsidenten George Washington. Vorn in der Halle hing ein zehn Meter hohes Abbild von Washington, dazu gab es Spruchbänder, Amerika müsse aufwachen und Schluss machen mit der „jüdischen Vorherrschaft“ in den USA. Der „Amerikadeutsche Volksbund“ war Mitte der 1930er gegründet worden. Der 1896 in München geborene Fritz Kuhn, Veteran des Ersten Weltkrieges und des rechtsradikalen Freikorps Epp, das sich am Niederschlagen der Münchner Räterepublik 1919 beteiligt hatte, war 1923 ausgewandert, wie viele Deutsche, die keine gute Zukunft sahen in der Heimat zu Zeiten hoher Inflation und politischer Unsicherheit.

Der gelernte Chemiker landete in Mexiko und kam 1927 über Texas in die USA, ließ sich schließlich in Detroit nieder und arbeitete beim Autohersteller Ford. Dessen Gründer Henry Ford war einer der reichsten Männer in Amerika und in den 1920ern Eigentümer des The Dearborn Independent. Diese Zeitung mit einer Auflage von bis zu 900.000 Exemplaren war wegen heftig antisemitischer Texte bekannt. Kuhn engagierte sich in deutsch-amerikanischen Gruppierungen, die heftig zerstritten waren, unter anderem über ihre Beziehungen zur NSDAP und Fragen politischer Identität: War Amerika die neue Heimat oder zeitweiliger Aufenthaltsort vor der Rückkehr?

Der Historiker Sander Diamond (1942 – 2018), Autor des Buches The Nazi Movement in the United States 1924 – 1941, hat über die komplexe Figur Kuhn in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte geschrieben: „Mittleren Alters, wohlbeleibt, mangelhaft Englisch sprechend, versuchte er bewusst, den Stil Hitlers zu imitieren“, was erkläre, „warum so viele Leute ihn mehr als Clown denn als Führer betrachteten.“ Doch in den Augen anderer hatte der Mann wohl Charisma. Er wurde 1936 zum „Bundesleiter“ des Amerikadeutschen Bundes gewählt und setzte dort, mithilfe des Ordnungsdienstes, das „Führerprinzip“ durch. Die Organisation sollte umgestaltet werden, so Diamond, „zu einer vitalen politischen Vereinigung von Amerikanern deutscher Abstammung“.

FBI-Dokumente zu Kuhn sind im Online-Archiv der Ermittlungsbehörde nachzulesen. Direktor J. Edgar Hoover sah offenbar eine Bedrohung von außen, ein unamerikanisches Getue von Amerikanern und Ausländern mit bestenfalls geteilter Loyalität. Im FBI-Material finden sich Auszüge aus einem Bund-Jahrbuch, aus denen hervorgeht, dass hundert Mitglieder des Bundes im August 1936 zu den Olympischen Spielen in Berlin gereist waren. Eine Delegation unter Kuhn sei von Hitler empfangen worden. Dieser habe jeden per Handschlag begrüßt und seine „Hand auf die Schulter unseres Bund-Führers gelegt“. Hitler habe sich bei den Delegierten bedankt für ihren „energischen Widerstand gegen die unerhörten Provokationen der korrupten Presse“.

Kuhn wurde mit Hitler zusammen fotografiert, was sich bei seinen Anhängern in den USA ausschlachten ließ. Der Bund richtete Jugendlager ein, es wurde marschiert und exerziert. 25.000 seien es gewesen bei einem „German Day“ im Camp Siegfried in Yaphank unweit von New York City, ein Ganztagsspektakel mit Sport, Picknick, Biertrinken und Märschen von Männern, Frauen und Kindern in Uniform, so ein Medienbericht im August 1937. Doch war Nähe zu Hitler problematisch zu einer Zeit, in der die US-Amerikaner in den Kino-Wochenschauen deutsche Nazis marschieren sahen. Sie wurde noch problematischer, als im November 1938 Synagogenbrände und Pogrome Deutschland erschütterten und Hitler am 30. Januar 1939 bei einer Rede im Reichstag einen Völkermord ankündigte: „Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in- und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.“

Der Madison Square Garden leerte sich in der Nacht vom 20. Februar 1939 kurz nach 23 Uhr. Kuhn dürfte die Darbietung als Erfolg gewertet haben. Die Halle war voll, die Sache lief ordnungsgemäß ab, abgesehen von einem jungen Mann namens Isadore Greenbaum, der Richtung Kuhn gestürmt war. Der Dokumentar-Kurzfilm A Night at The Garden – aktuell für einen Oscar nominiert – zeigt, wie der Ordnungsdienst auf Greenbaum einschlägt. Polizisten stellten den 26-Jährigen unter ihren Schutz und nahmen ihn fest. Autor Arnie Bernstein berichtet in seinem Buch Swastika Nation, was bei Greenbaums Verhandlung passiert ist. Dort erklärte der junge Mann, er sei als Beobachter zu der Versammlung gegangen. Als dabei so viel gegen seine Religion gesagt wurde, habe er gefühlt, dass er etwas tun müsse. Der Richter verurteilte Greenbaum zu einer Geldstrafe von 25 Dollar, ersatzweise zehn Tagen Haft. Greenbaums Freunde sammelten das Geld.

Das Madison-Square-Garden-Spektakel sollte der letzte große Versuch des Amerikadeutschen Bundes und seines Anführers sein, deutschstämmige US-Amerikaner zu mobilisieren. Ein halbes Jahr später marschierten die Nazis in Polen ein. Früher oder später würden die USA Stellung beziehen müssen. In den US-Kinos lief 1939 der erste Anti-Nazi-Spielfilm Confessions of a Nazi Spy, bei dem es um einen Agenten ging, der Deutschamerikaner motivieren will, für die alte Heimat zu spionieren.

Für Kuhn sollten die guten Zeiten vorbei sein. Der Staat ermittelte gegen ihn – wegen Veruntreuung. Es ging um mehrere tausend Dollar, die er vom Bund abgezweigt hatte, für sein Privatleben und eine Geliebte. Im Dezember 1939 verurteilte ihn ein Gericht in New York zu zweieinhalb bis fünf Jahren Haft. Die deutsche Kriegserklärung gegen die USA im Dezember 1941 erlebte er in einer Zelle. Er verlor seine US-Staatsbürgerschaft. Nach Kriegsende wurde er nach Deutschland deportiert und starb dort 1951. Der German-American Bund hatte sich bereits 1941 aufgelöst. Wie machtvoll die Bewegung war, bleibt umstritten. Es soll nie mehr als 25.000 zahlende Mitglieder gegeben haben. Nazitum hat in den USA seither nicht mehr viele Anhänger gefunden. Rechtsextremismus und Antisemitismus fallen aber weiterhin auf fruchtbaren Boden. Doch der muss amerikanisch sein.

Info

Der Oscar-nominierte Dokumentar-Kurzfilm ist unter anightatthegarden.com im Internet zu sehen

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